Sin Nombre (2009)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Unterwegs als Fremder in der Fremde

Wer bei ihr mitmachen will, muss jemanden töten: Die Mara Salvatrucha ist eine der gewalttätigsten Banden der Welt. Vor dem sozialrealistischen Hintergrund dieses Milieus hat der amerikanische Regisseur Cary Joji Fukunaga einen Thriller von gnadenloser Konsequenz inszeniert. Sein stilsicheres, unter die Haut gehendes Langfilmdebüt Sin Nombre gewann beim Sundance-Filmfestival 2009 den Regie- und den Kamerapreis.

Casper (Edgar Flores) ist erst 18, aber seit Jahren in die kriminelle Welt der lokalen Mara-Bande an der mexikanischen Grenze zu Guatemala verstrickt. Die bietet dem Jungen trotz aller Grausamkeit auch eine Art Ersatzfamilie. Das Problem ist nur, dass Casper heftig verliebt ist. Loyalität zur Bande und Gefühle für ein „normales“ Mädchen – beides geht nicht zusammen. Als der Bandenchef dahinter kommt, bringt er Caspers Freundin kurzerhand um. Der wiederum rächt sich, als der Anführer beim Überfall auf einen Flüchtlingstreck die junge Sayra (Paulina Gaitan) vergewaltigen will. Casper erschlägt seinen Boss, rettet Sayra und bekommt kurze Zeit später eine SMS mit seinem Todesurteil. Die Mara jagt Verräter so lange, bis sie sie findet. Für Casper und Sayra beginnt eine abenteuerliche Flucht Richtung Norden, ins gelobte Land der USA.

Zwei Verlorene in aussichtsloser Lage, ebenso verträumt wie clever – das ist die hervorragende Konstellation für einen Thriller, der sich zum Roadmovie entwickelt. Sin Nombre bietet eine ganze Menge, was das Genreherz begehrt: packende Szenen auf einem überfüllten Zugdach, subtile Hinweise auf eine Gefahr, von der die Flüchtenden nichts wissen, und einen wundersamen Spürsinn eines Protagonisten, der dem Kugelhagel in letzter Sekunde entwischt. Schön, wie Regisseur Fukunaga die Spannung mit energiegeladenen Bildern statt mit hektischen Schnitten aufbaut, wie er einen Rhythmus findet, der immer wieder Verschnaufpausen zulässt. Noch schöner aber ist, dass ihm seine realistisch verankerte Geschichte wichtiger ist als die Genreregeln. Statt eines Superhelden zeigt er einen widersprüchlichen Protagonisten, statt einer Lovestory skizziert er eine Seelenverwandtschaft ohne Zukunft und statt des Gut-Böse-Schemas wirft er einen differenzierten Blick auf die Verhältnisse, aus denen die brutalen Gangs entstehen.

Cary Joji Fukunaga, Sohn eines japanischen Vaters und einer schwedischen Mutter, hat für das Drehbuch gründlich recherchiert. Er reiste 2005 ins mexikanische Grenzgebiet, sprach mit der Polizei ebenso wie mit Gang-Mitgliedern, die er im Gefängnis besuchte. Und er sprang sogar auf einen der Güterzüge auf, mit denen die Flüchtlinge die Reise ins vermeintlich gelobte Land antreten, in dem viele niemals ankommen. 27 Stunden, die nicht gerade ungefährlich waren. Wie es überhaupt Mut braucht, einen Film über die Mara zu machen. Der Dokumentarfilmer Christian Poveda, der La vida loca — Die Todesgang über sie gedreht hatte, wurde 2009 von der Bande erschossen.

Im Gewand des Thrillers macht Sin Nombre also auf ein Problem aufmerksam, das in Europa noch weitgehend unbekannt ist, obwohl die Mara in Spanien bereits Fuß gefasst haben soll. Mit wenigen Strichen zeichnet Fukunaga dabei ein Bild, das die Gräueltaten ebenso wenig ausspart wie die Faszination, die die Organisation vor allem auf haltlose, entwurzelte junge Leute ausübt. Natürlich sprechen allein die brutalen Aufnahmeriten der Gruppe für sich selbst. Dass der Regisseur der Versuchung widersteht, dies noch einmal eigens zu kommentieren, macht seinen Film umso glaubwürdiger.
 

Sin Nombre (2009)

Wer bei ihr mitmachen will, muss jemanden töten: Die Mara Salvatrucha ist eine der gewalttätigsten Banden der Welt. Vor dem sozialrealistischen Hintergrund dieses Milieus hat der amerikanische Regisseur Cary Joji Fukunaga einen Thriller von gnadenloser Konsequenz inszeniert. Sein stilsicheres, unter die Haut gehendes Langfilmdebüt „Sin Nombre“ gewann beim Sundance-Filmfestival 2009 den Regie- und den Kamerapreis.

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Meinungen

Joe · 14.09.2010

Unerträglich grausam, alptraumhaft!

Paul · 02.05.2010

Ich habe den Film gestern gesehen und er hat mir sehr gut gefallen!

Linda · 29.04.2010

Zur Info: Es muss zwischen den beiden größten Gangs Mara Salvatrucha und Mara 18 unterschieden werden. Während SIN NOMBRE offensichtlich die Mara Salvatrucha thematisiert, beschäftigt sich LA VIDA LOCA vor allem mit der Mara 18. Christian Poveda wurde im September 2009 vermutlich (!) von Mitgliedern der Mara 18 ermordet.