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Seine Eltern, seine Geschwister, seine Verwandten, ja, sein ganzes Heimatdorf in China will, dass Yao endlich heiratet. Er will aber etwas anderes: endlich den Mann fürs Zusammensein finden. 

The Silk and the Flame (2018)

Eine Filmkritik von Sonja Hartl

Der zweite Sohn

Bereits 2016 lieft mit San Fu Tian ein fiktionales Werk des New Yorker Filmemachers Jordan Schiele auf der Berlinale, in dem er sich mit der Suche einer Mutter nach ihrer Tochter beschäftigt. Um Familie geht es auch in dem Dokumentarfilm The Silk and the Flame, der 2017 auf der Berlinale Weltpremiere hat.

Im Mittelpunkt steht der unverheiratete Yao. Zum Neujahrsfest, dem wichtigsten Familienfest in China, kehrt er aus Peking in sein Heimatdorf zurück. Mit 16 Jahren ist er von dort weggegangen, hat die Universität besucht und nun einen guten Job bei einem Medienunternehmen gefunden. Von dem Geld, das er dort verdient, gibt er nur wenig für sich aus, den Rest schickt er an seine Familie. Mittlerweile leben sie alle von diesem Geld: seine Eltern, seine beiden Geschwister und deren Familien. Dennoch ist die Familie nicht stolz auf Yao, vielmehr will sie, dass er endlich heiratet. Allerdings will Yao lieber einen Freund finden, einen boyfriend.

Jordan Schiele begleitet Yao zu seiner Familie und filmt sowohl deren Alltag als auch Monologe von Yao, in denen er von seinen Wünschen, Ängsten und Hoffnungen spricht. In Schwarz-Weiß gedreht, sind gerade die Monologe deutlich stilisiert: Zumeist ist ein Teil des Gesichts von Yao im Schatten, die Zigarette, die er dazu raucht, dagegen in sehr strahlendem Weiß. Hiermit soll Intimität suggeriert werden, die aber nicht immer gelingt – dazu wiederholt sich das Gesagte zu oft, manchmal scheint es, als sollten damit bestimmte Aspekte noch einmal betont werden, obwohl es nicht nötig wäre. 

Ohnehin ist die Balance aus Distanz und Intimität nicht immer gelungen: Fraglos erlauben die Bilder Einblicke in das Leben dieser Familie und die Erwartungen, die an Yao gestellt werden. Yaos Vater hatte zwei Schlaganfälle und wird seither von Yaos Mutter, die seit ihrer Kindheit gehörlos ist, gepflegt. Dadurch findet mit Yaos Vater nur wenig Kommunikation statt, stattdessen filmt Jordan Schiele die Bemühungen um ihn beim Rasieren, beim Füttern. Yaos Mutter verständigt sich in einer Mischung aus Gesten und Lauten, die der Vater eigens entwickelt hat und nur von der Familie verstanden wird. Die soziale Isolation, die damit zusammenhängt, wird angesprochen und auch ins Bild gefasst. Etwas spät klingt zudem an, dass Yao geboren wurde, als es in China noch die Ein-Kind-Politik gab, er aber der zweite Sohn der Familie ist. Daher musste sein Vater eine hohe Strafe zahlen – und hat diese immer wieder angesprochen, um seiner Enttäuschung über seinen Sohn Ausdruck zu verleihen. Denn Yao hat den Ansprüchen seines Vaters nur in akademischer Hinsicht genügt, ansonsten hielt er seinen Bruder für den besseren, weil typischeren Sohn. 

Hier zeigt Jordan Schiele die schwierige Stellung von Yao, aber bisweilen wirkt die Kamera fast aufdringlich. Als er mit Yao am späten Abend zu dessen Familie geht und den Vater filmt, ist die Nähe unangenehm, ja, nahezu erzwungen. 

Da sind die Einblicke in die gesellschaftliche Struktur besser: In China spielt die Familie eine große Rolle – und je größer die Familie ist, desto mehr Macht hat sie auch in den Ortschaften. Dadurch üben nicht nur Yaos Eltern Druck auf ihren Sohn aus, sich endlich zu verheiraten, sondern seine Geschwister, Verwandten und der gesamte Ort. Mit Jordan Schiele kommt nun eine andere Sichtweise hinzu und er hinterfragt bei einem Besuch von Yaos Lehrer auch diese Einflussnahme der Eltern auf das Leben des Kindes. Eine Antwort liefert hierzu die Frau des Lehrers: Er käme aus einem kapitalistischen Land und könne das nicht verstehen. 

Tatsächlich wirkt diese Welt des Dorfes bisweilen verschlossen, auch ist nicht immer zu verstehen, warum Yao nicht offener rebelliert. Aber dann zieht er sich sogar um, als seine Mutter befindet, seine Kleidung sähe hässlich aus. So weit geht er also, der Wunsch zu gefallen. 

The Silk and the Flame (2018)

Zum Neujahrsfest, dem wichtigsten Familienfest in China, reist der unverheiratete Yao aus Peking in sein Heimatdorf. Mit seinem Einkommen aus der Großstadt versorgt er nicht nur die alten Eltern, auch seine Geschwister und deren Kinder leben wie selbstverständlich von seinen regelmäßigen Zahlungen. Die Mutter, die seit ihrer Kindheit gehörlos ist, versorgt den pflegebedürftigen Vater. Der will seinen zweiten Sohn unbedingt mit einer passenden Frau verheiratet sehen, doch Yao selbst würde eigentlich lieber den Mann fürs Leben finden. Er hat es in die Hauptstadt geschafft und durch herausragende Leistungen den Respekt seines Vaters gewonnen, doch seine eigenen Bedürfnisse steckt er als braver Sohn zurück, um die ewig fordernde Familie zu unterstützen. Ein berührender Einblick in einen chinesischen Alltag, in dem der wirtschaftliche Boom in den Städten in krassem Gegensatz zur Armut auf dem Land steht.

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