Silence (2016)

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Überlebenskampf einer Liebe

Wir müssen uns Silence als einen Liebesfilm vorstellen. Martin Scorseses Herzensprojekt, über Jahre entwickelt und angekündigt, immer wieder aufgehalten aufgrund finanzieller Schwierigkeiten und anderer Projekte: Silence, dessen Titel andere Töne als die so lieb gewonnene Hysterie des Hektikers Scorsese verspricht, basiert auf dem gleichnamigen 1966 veröffentlichten Roman des katholischen Autors Endō Shūsaku und spielt im 17. Jahrhundert in Japan. Zwei portugiesische Priester (sehr portugiesisch: Adam Driver, weniger portugiesisch: Andrew Garfield) reisen nach Japan (gedreht im nicht mehr japanischen Taiwan), um den verschollenen Vater Ferreira (gar nicht portugiesisch: Liam Neeson) ausfindig zu machen. Dieser soll aufgrund der grausamen Verfolgung von Christen durch die japanische Regierung Apostasie vollzogen haben, was die beiden idealistischen Jungmissionare so gar nicht glauben wollen.

Hier setzt der Film an zu einer Reise in ein sich duckendes, nur selten lächelndes Land der Schatten. Von Anfang an agieren die beiden kämpferischen, leicht überheblichen Jesuiten im Verborgenen, in einer Welt, in der man den christlichen Glauben nur unter enormer Angst ausüben kann. Scorsese findet dafür die richtigen Bilder. Viele Naheinstellungen und der beständige Widerspruch einer in raren Totalen eingefangenen, majestätischen Insellandschaft mit Bildern blockierter Sicht, wenn die Kamera durch Gitterstäbe oder Büsche huscht und blickt. Im Halbdunkel sieht man Gesichter der Angst vermischt mit dem Stolz eines Glaubens. Oft gefolgt von fatalen Schreien, Schmerz und Trauer. Es verwundert nicht, dass Scorsese als junger Mann auf dem Weg war, ein Priester zu werden. In seiner spirituellen Haltung und seinem Erfahrbarmachen extremer religiöser Erfahrungen reiht sich der Film im Œuvre von Scorsese zu Die letzte Versuchung Christi und Kundun.

Die Christenverfolgung ist ein selten thematisiertes Kapitel der japanischen Geschichte. Nachdem der christliche Glaube mit der Ankunft der ersten europäischen Schiffe zumindest scheinbar, das heißt einer bestimmten, nicht unbedingt westlichen Interpretation der Lehre folgend (Scorsese traut sich auch diesen Zweifel in stellenweise absurden Szenen zu thematisieren), zunächst Fuß fassen konnte, mündeten die nicht gewaltfreien kolonialen Bestrebungen und inneren politischen Konflikte der verschiedenen Orden und Kronen schnell in eine brutale Abwehrhaltung durch den japanischen Machthaber Toyotomi Hideyoshi. Christen wurden ausfindig gemacht, gefoltert und hingerichtet. Der Glaube sollte ausgerottet werden.

Der Film beginnt mit einer Aneinanderreihung von Leidensbildern als Folge dieser Ausrottungsbestrebungen. Die Bilder arbeiten immer wieder analog zur Leidensgeschichte von Jesus. Diese Analogie hängt eng an der Praxis von Padre Rodrigues (Garfield), der mehr und mehr ins Zentrum eines moralischen Konflikts rückt. Seine Art der Glaubensausübung verlangt eine Identifikation mit Christus, was so weit geht, dass sein eigenes Spiegelbild im Fluss mit jenem des Abbilds des sogenannten Erlösers verschwimmt. Es ist in der Tat ein fremdes Land, in das uns Silence entführt. Damit ist weniger Japan gemeint, das hier angenehm und unangenehm ambivalent gezeigt wird. Scorsese tut nicht so, als würde er das fremde Land verstehen, er mystifiziert es aber auch nicht. Es wird klar, dass es auch eine japanische Perspektive gibt, dass das Selbstverständnis einer globalen Weltsicht und eines universellen Glaubens nicht haltbar ist. Immer wieder lässt Scorsese auch das japanische Kino in seine Bilder. Sei es ein an Akira Kurosawa erinnerndes Regenbild oder eine Bootsfahrt à la Kenji Mizoguchi. In diesem Sinn ist Silence auch, wie fast immer bei Scorsese, eine Liebeserklärung an das Kino. Immer ein wenig hilflos, nicht zu reflektiert, fast wie ein Kind, das gerne mit dem Kino spielt. Die zum Teil haarsträubend unpassenden und bewusst schlampigen Schnitte von Thelma Schoonmaker gehören da zum Inventar, auch wenn es bei diesem tendenziell ruhigeren Film schon mehr auffällt als bei einem Speed-Scorsese wie The Wolf of Wall Street oder GoodFellas.

Die Fremdheit des Films entsteht aber vielmehr aus einer Welt, in der ein Bild alles bedeuten kann. Ein Bild wird als Rettung oder Gefahr gesehen. Eine für uns fast unvorstellbare Bedeutung geht hier von Abbildern, Kreuzen oder kleinen Symbolen aus. Hier lebt noch niemand in einer Flut des Visuellen, eher ist es eine bilderlose Wüste, in der jedes Bild ein Indikator für ein Jenseits, für ein „Paraiso“ sein kann. Auch wenn man es fast vergessen hat: Das ist vor allem eine Sache des Kinos. Selten hat man einen Film gesehen, in dem so penetrant die Kraft von Bildern und Illusionen gegen die Erbarmungslosigkeit und (Un)Gerechtigkeit der Welt, auf die sie treffen, verhandelt wird. Immer wieder setzt Scorsese das Bild gegen die Natur, den Idealismus gegen die Realität. Vor allem in einigen Naheinstellungen wird die Bedeutung dieser Abbilder in einer für Scorsese ungewohnt lyrischen Stille, ja einem Schweigen gezeigt. Das mündet seltener in komische Konflikte wie den beständigen Beichtdrang des chronischen Sünders und Apostaten Kichijiro (japanisch: Yōsuke Kubozuka), häufiger in innere Zweifel, wie wenn die beiden Missionare sich uneinig darüber sind, ob die Dorfbewohner im Angesicht des sicheren Todes ihren Glauben verleugnen dürfen. Meist mündet es indes in heftiges Leid mit kaum ertragbarer Folter bis zum Tod. Diesen Widerstreit zwischen Bild und Natur setzt Scorsese markanterweise mit digitalen Bildern in Szene, wobei er auch nicht vor Spezialeffekten zurückschreckt. Er bringt diesen Konflikt in einer furiosen Schlusseinstellung, in der wir einem offensichtlich künstlichen Bild entweder glauben oder nicht, zum Schweigen.

Moralische Fragen werden in Silence zu körperlichen Fragen. Es mag eine Redundanz geben im Film mit all diesen Jesusabbildern, auf die getreten werden muss, den vielen Leidensbekundungen und den wiederkehrenden „Padre, Padre“-Rufen. Die Frage muss sein, warum uns Scorsese diese Bilder zeigt. Ja, das Leiden wiederholt sich tatsächlich und der Film vermag sich auch kaum aus den Konventionen von Folterdarstellungen befreien. Darüber hinaus variiert Scorsese die verschiedenen Foltermethoden immer wieder minimal, setzt immer noch einen drauf, verrät uns erst ganz am Ende einer Sequenz, wie unmenschlich die Qual sein wird. Warum arbeitet der Film so, will er, dass wir mitfiebern, dass wir schockiert sind? Für einen Filmemacher, der sich normal auf jene fokussiert, die anderen Gewalt antun, ist es vielleicht auch normal, dass er das Spektakel des Leidens sucht, und so überrascht es auch kaum, dass die faszinierendste Figur im Film der Inquisitor Inoue (Issei Ogata, der zum Beispiel in Alexander Sokourovs Sonne in unfassbarer Manier den Kaiser Hirohito verkörperte) ist, ein zwischen extremer Gewalt und süffisanter Freundlichkeit schwankendes Wesen, vollgetankt mit einer kauzigen Müdigkeit, die sich in einem herausragenden Gegenschuss offenbart, als in einem Gespräch gleich eines löchrigen Reifens sämtliche Luft aus ihm weicht, bis er einen Kopf kleiner ist.

Es gibt jedoch noch einen anderen Grund für diese paradoxe, sich steigernde Redundanz des Leidens. Denn es geht hier um eine Prüfung für den Glauben. Eine Prüfung der Liebe, der inneren Überzeugung einer Harmonie im Angesicht eines Sturms, der sie brechen will. So sieht man zwar häufig dasselbe Leiden, aber dieses Leiden beherbergt immer eine andere moralische Implikation. Mal leiden die Jesuiten selbst, dann gibt es Mitleid, dann überlegt man, ob das Leiden nötig ist, dann rechtfertigt man das Leiden durch ein Ideal, dann begreift man, dass das Leiden anderer an einem selbst hängt, bis man schließlich leidet, um Leid zu verhindern. All diese Akte des Leidens, des Zweifelns, des Bedauerns sind Akte der Liebe. Natürlich wäre es eine naive Interpretation von Scorsese, wenn er die bisweilen fragwürdigen Motivationen der Kirche alleine darauf reduzieren würde. Er löst das, in dem er seinen Protagonisten Rodrigues zu dieser naiven Figur macht, ein Mann, der an eine universelle Wahrheit glaubt, ein Liebender, der wirklich und von Herzen lieben will und liebt. Was er liebt, ist ein Bild, eine Illusion. In dieser Liebe gegen alle Hindernisse findet der Film dann eine Spiritualität und den Mut zur Frage: Kann eine Liebe überleben, auch wenn man sie nicht leben darf?
 

Silence (2016)

Wir müssen uns „Silence“ als einen Liebesfilm vorstellen. Martin Scorseses Herzensprojekt, über Jahre entwickelt und angekündigt, immer wieder aufgehalten aufgrund finanzieller Schwierigkeiten und anderer Projekte: „Silence“, dessen Titel andere Töne als die so lieb gewonnene Hysterie des Hektikers Scorsese verspricht, basiert auf dem gleichnamigen 1966 veröffentlichten Roman des katholischen Autors Endō Shūsaku und spielt im 17. Jahrhundert in Japan.

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Meinungen

Sascha · 13.03.2017

Ein Scorsese Film ist natürlich nie schlecht, so auch Silence nicht. Aber die erste Hälfte zog sich teilweise wie Kaugummi, bis der Film dann an Fahrt und Wucht aufnimmt. Kamera zur Recht für den Oscar nominiert, dennoch bleibt mein Fazit weniger wäre mehr gewesen und der Regisseur hätte die Geschichte besser auf 120min gestrafft.