Siddhartha

Eine Filmkritik von Stephan Langer

Einen leichten Geruch metaphysischer Lederhosen

„Einen leichten Geruch metaphysischer Lederhosen“ witterte zu Beginn der 1970er Jahre ein Rezensent der New York Review of Books im Werk Hermann Hesses. Das spricht weder für Hesse noch für steigende Verkaufszahlen seiner Bücher. Doch noch bevor die Wiederbelebung von Hesses Schriften in den USA, zu nennen sind vor allem der Steppenwolf und Siddhartha, durch Beatniks und Hippies vorüber war, fasste sich Experimentalfilmer Conrad Rooks 1972 ein Herz und verfilmte die Sinnsuche des jungen, adligen Inders Siddhartha.
Regisseur Rooks erkannte in der Geschichte des Siddhartha eine Widerspiegelung seines eigenen Lebens. Vielleicht kann sein zweiter (und letzter) Film Siddhartha als Gegenstück gesehen werden zu seinem Erstling Chappaqua von 1966, der auf persönlichen Reiseerfahrungen, Drogensucht, Lebensekel basiert und in dem unter anderen William Burroughs, Allen Ginsberg und Ravi Shankar zu sehen sind. Der destruktive Raubbau an sich selbst scheint mit dem neuen Projekt einem spirituellen Erleuchtungsstreben gewichen zu sein, einer Aussicht auf bewusstseinserweiternde Einsicht in die Verworrenheit des Lebens.

Jetzt, zum 50. Todestag Hermann Hesses am 9. August dieses Jahres, kommt Rooks’ Siddhartha wieder in die Kinos. 40 Jahre nach Fertigstellung des Films und 15 Jahre nach der Erstaufführung in Deutschland. Erzählt wird die einfach gestrickte Geschichte des jungen Brahmanen Siddhartha (Shashi Kapoor), dessen verschiedene Etappen seiner lebensumspannenden Suche nach dem Sinn des Seins bebildert werden. Gemäß jeder Literaturverfilmung beschränkt sich Rooks auf das subjektiv Wesentliche von Siddhartas Entwicklung: wie er mit seinem Freund Govinda das Zuhause verlässt und sich in die Welt aufmacht, wie er inmitten der Wälder mit Samanas in völliger Mittellosigkeit und Askese lebt, wie er sich enttäuscht von seinen Lehrern dem Sinnenrausch eines überaus weltlichen Lebens hingibt: er entdeckt seine Sexualität mit der Kurtisane Kamala (Simi Garewal) und er entdeckt auch seine Gier nach Gewinn als Kaufmann. Schließlich stellt sich die Erleuchtung endlich ein, als er aufhört, nach ihr zu suchen (folgerichtig bedeutet der Name „Siddhartha“ übersetzt „derjenige, der am Ziel angekommen ist“) und vollkommen in seinem Alltag als einfacher Fährmann am Fluss aufgeht.

Ähnlich zu Siddharthas Schicksal in Buch und Film musste auch das Team um Rooks einige Hindernisse überwinden, bis sie am Ziel angelangt waren. Das Ziel lautete nämlich: drehen an Originalschauplätzen in Indien. Keineswegs einfach war dieses Unterfangen zu jener Zeit, da wenige Jahre zuvor Louis Malle die indische Regierung mit seinem Dokumentarfilm Kalkutta verärgerte. Dessen spezielle Faszination für das vormoderne Indien stieß den politisch Verantwortlichen äußerst sauer auf. Visa für westliche Filmemacher zu bekommen war also schwierig. Gelingen konnte es nur aufgrund persönlicher Kontakte von Rooks zu Premierministerin Indira Gandhi und dem Versprechen, dass Siddhartha Indiens Kultur achten würde. Mit dem Einverständnis von Gandhi und anderen Regierungsmitgliedern konnte Rooks an Drehorten filmen, die zuvor noch keinem anderen amerikanischen Filmemacher zugänglich gemacht worden waren. Das sind zum Beispiel die heilige Stadt Rhishikesh, die Paläste und Besitztümer des Maharadscha von Bharatpur neben diversen Tempelruinen des Landes.

Alle diese Orte besitzen für sich schon etwas sehr Atmosphärisches, eine Kombination des Zaubers religiöser Geschichte und einer leicht maroden Architektur vielleicht, den alle Indienreisenden bis heute dort wiederfinden können. Selbst nach 40 Jahren immer noch wunderbare visuelle Eindrücke dieser Plätze lieferte Kameramann Sven Nykvist, Cineasten aller Couleur bekannt durch seine langjährige Zusammenarbeit mit Ingmar Bergmann, mit Woody Allen und vielen anderen Schwergewichten der Kinogeschichte. Nykvist sagt von sich selbst, dass Licht zur Passion seines Lebens geworden ist, und das sieht man in Siddhartha überdeutlich. Seine Lichtbilder zu verschiedensten Tageszeiten schwelgen in gemächlichem Tempo dahin, sind allerdings sehr nah an der Grenze zum Kitsch, stellenweise auch darüber. Aber: immerhin ist es wunderschöner Kitsch! Dieses herrliche Land Indien, all diese wunderschönen Paläste und Menschen, diese Postkartensonnenaufgänge, diese Postkartensonnenuntergänge. All das untermalt von den unerhört eingängigen Rhythmen der indischen Filmmusik (verantwortlich: Hemant Kumar), eine optisch- akustische Verbindung, die dem Film fast schon dokumentarische Züge verleiht.

Auf Bild- und Musikebene kann man Siddhartha getrost als Zeitdokument bezeichnen. Wäre da nur nicht das Gesprochene, denkt man sich still in manchen Momenten der Vorführung. Das Spiel der Schauspieler wirkt sehr oft hölzern, fast schon albern, wie bei der Liebesszene zwischen Siddhartha und Kamala oder der offensichtlichen Abscheu, die Siddhartha in seinem weltlichen Leben gegenüber sich selbst und seinem Leben als Kaufmann entwickelt. Dazu legt ihnen das Drehbuch einen Text in den Mund, den sie von Anfang bis Ende thesenartig rezitieren. Fehlten alle Schauspielenden im Film einfach, wäre es ein gefälliger Bilderessay. Doch sie sind alle da und sprechen, nur klafft zwischen Gesprochenem und bildhaft Gezeigtem eine Lücke, die beiden Stränge finden nicht zusammen. Man hört nach einer Weile lediglich immer mal wieder hin und genießt schlicht Optik und Musik.

In einer gegenwärtigen Zeit, die jeden sinnsuchenden Menschen mit Angeboten der „Selbstverwirklichung“ medial bombardiert, wirkt Rooks’ Film seltsam antiquiert. Siddhartha erkennt im Laufe seines Lebens, dass Erkenntnis nicht aus Lehren vermittelt, sondern durch eigene Erfahrung erworben wird. Das ist soweit völlig in Ordnung, nur: heute ist die Welt durch die teils aberwitzigen Möglichkeiten von (medialer) Technik auf solch eine Weise zurechtarrangiert, dass reale Erfahrung kaum noch möglich ist. Demnach gäbe es ohne die Möglichkeit realer Erfahrung auch keine Erkenntnis, wenn wir analog der Logik Siddharthas denken. Oder vielleicht urteilen wir doch etwas versöhnlicher: alle diejenigen, die nicht sowieso bereits Hesse-Jünger sind, das heißt sich im Stande sehen mit bedürfnisloser Kinderseele das Leben zu lieben, zu meditieren und genüsslich Weisheitshappen in sich aufzunehmen, alle diejenigen werden Siddhartha lieben. Für alle anderen wird es da ein bisschen schwieriger.

Siddhartha

„Einen leichten Geruch metaphysischer Lederhosen“ witterte zu Beginn der 1970er Jahre ein Rezensent der „New York Review of Books“ im Werk Hermann Hesses. Das spricht weder für Hesse noch für steigende Verkaufszahlen seiner Bücher. Doch noch bevor die Wiederbelebung von Hesses Schriften in den USA, zu nennen sind vor allem der „Steppenwolf“ und „Siddhartha“, durch Beatniks und Hippies vorüber war, fasste sich Experimentalfilmer Conrad Rooks 1972 ein Herz und verfilmte die Sinnsuche des jungen, adligen Inders Siddhartha.
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