Sicario (2015)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

An der Oberfläche des Drogenkrieges

In Mexiko heißen Auftragsmörder Sicario. In den USA heißen sie wohl FBI und CIA. Das zumindest muss die FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt) bald schmerzhaft herausfinden. Nach einem Einsatz, in dem in einem Haus in Arizona in Zwischenwänden ein paar Dutzend Leichen gefunden werden, die das mexikanische Drogenkartell gerade verschwinden lassen wollte, wird Macer ein neuer Job angeboten. Sie soll bei einer Sondereinheit unter dem Kommando des etwas eigenartigen Matt (Josh Brolin) eingesetzt werden. Es heißt, man will in El Paso nach dem Bruder von Diaz, dem Stellvertreter des Kartells auf amerikanischem Boden, suchen. Doch als sich Macer plötzlich in Júarez, Mexiko befindet, wird klar, die Undercover-Einheit operiert auf internationalem Boden und damit eigentlich im illegalen Bereich. Zumal sie sich bei ihrem Einsatz reihenweise durch Zivilisten schießen. Doch damit nicht genug. Matt arbeitet ebenfalls mit dem undurchsichtigen Medellín (Benicio del Toro) zusammen, der wiederum für das kolumbianische Drogenkartell tätig ist.

Nichts an den Einsätzen, die Macer ab diesem Augenblick miterlebt ist legal oder moralisch vertretbar. Reihenweise werden Zivilisten, Kinder, Frauen, die in die Schusslinie geraten, geopfert, um das Ziel zu erreichen. Welches das ist, wird erst gegen Ende des Filmes klar, denn Macer wird wiederholt ignoriert und angelogen.

Auf den ersten Blick überzeugen die Bilderkompositionen von Villeneuve und seinem Kameramann Roger Deakins (No Country for Old Men). Der dröhnende Bass unterlegt diese Bilder mit bedrohlich anmutender Musik, wenn die schwarzen Vans, aus Helikopter- oder Drohnenansicht gefilmt, sich durch das staubige Niemandsland an der amerikanisch-mexikanischen Grenze bohren. Emily Blunts Figur erinnert mit ihrer strengen, aber stets aufmerksamen Stille an Jessica Chastain in Zero Dark Thirty oder Jodie Foster in Das Schweigen der Lämmer, der Film an sich reminisziert Steven Soderberghs Traffic – nur trister, bedrohlicher, apokalyptischer. Ja, auf den ersten Blick müsste man meinen, Villeneuves Sicario sei ein exzellenter Film.

Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich auch, dass der Film ein massives Problem hat – und zwar dank seiner Hauptfigur, die im Verlauf der Handlung jegliche Relevanz verliert. Mercer ist zwar eine gute Beobachterin und Trägerin von Moral und Gerechtigkeit, aber weder setzt sie sich in irgendeiner Weise durch, noch versucht sie das so richtig. Sie schließt sich der Undercover-Operation an, in der Hoffnung, etwas bewirken zu können und obwohl sie schon beim ersten Einsatz belogen wird und hochgradig illegale Aktivitäten beobachtet, tut sie wenig, um dem ein Ende zu setzen oder ihre eigenen Konsequenzen zu ziehen. Sie vermag es auch nicht, Informationen über die Einsätze zu erhalten; das schafft erst ihr Kollege. Grundsätzlich ist sie auch nie an vorderster Front, sie ist kaum aktiv, sie leitet nichts, sie begleitet nur als passive Beobachterin, die nur involviert sind, wenn ihr Dinge passieren.

Kurzum: Mercer ist weit entfernt von den harten, aktiven Frauenfiguren mit denen sie oberflächlich verglichen werden könnte. Nicht umsonst wird ihr am Ende von Medellín bestätigt, dass sie das nicht überstehen wird: „Du wirst hier nicht überleben. Du bist kein Wolf. Das hier ist jetzt das Land der Wölfe.“ Mit Wölfen meint er Männer wie ihn und Matt. Männer ohne Skrupel, dafür mit viel Zynismus und desinteressiert an Lappalien wie Gesetz oder Moral. Sie sind es, die Villeneuves Grenzgebiet bevölkern, den Drogenhandel leiten und bestimmen wer lebt und wer stirbt. Und so geschieht es dann auch, dass der Film selbst Mercer als moralische Leitfigur in seinem letzten Drittel komplett fallen lässt und lieber Medellín auf seiner Rachetour folgt, bei der er sich durch Mexiko schießt. Doch auch er und sein Kollege Matt sind keineswegs ausgefeilte Charaktere. Auch sie sind eher unausgegoren und stehen metaphorisch für eine bestimme Art zu Denken und zu handeln.

Problematisch ist das deshalb, weil Sicario kein Film über den Drogenkrieg per se sein möchte, sondern ein Film, der wie Villeneuves Vorgängerwerke Prisoners und Die Frau die singt eigentlich die Frage nach dem Wert menschlichen Lebens und den Gesetzen der Blutrache ausloten will. Doch wegen der Flachheit der Figuren gerät diese Erörterung letztendlich nur oberflächlich und vor allem bildhaft. Und so bemüht sich Villeneuve eben mit Bildern zu zeigen, was sich nur schwer erfühlen lässt und zelebriert Berge von Leichen, über deren gepeinigte Körper die Kamera langsam und schon fast genüsslich schwenkt.

Und während es reichlich Tote gibt, so bleibt die eigentliche Geschichte ebenfalls eher flach. Diverse Einsätze werden gezeigt, die mehr und mehr darauf hinaus laufen, dass das mexikanische Drogenkartell gestört werden soll, Medellín seine Rache bekommt und Macer lernt, wie der Hase läuft. Und dass der Hase längst nicht mehr nur auf amerikanischen Boden agiert und nicht wirklich an der Eindämmung oder Bekämpfung der Drogenkartelle interessiert ist, sondern an deren Kontrolle. Aber wusste man das nicht schon in den 1980er Jahren?

Und so entsteht aus einer Kombination von politisch Altbekanntem und emotionaler Oberflächlichkeit ein Film, der zwar dank seiner starken Bilder viszeral direkt in die Magengrube trifft, aber letztendlich doch nicht allzu viel zu vermitteln hat, eben weil er zwar in den Abgründen umherläuft, aber nie so richtig hinsieht.

(Festivalkritik Beatrice Behn, Cannes 2015)

Sicario (2015)

In Mexiko heißen Auftragsmörder „Sicario“. In den USA heißen sie wohl FBI und CIA. Das zumindest muss die FBI-Agentin Kate Macer (Emily Blunt) bald schmerzhaft herausfinden. Nach einem Einsatz, in dem in einem Haus in Arizona in Zwischenwänden ein paar Dutzend Leichen gefunden werden, die das mexikanische Drogenkartell gerade verschwinden lassen wollte, wird Macer ein neuer Job angeboten. Sie soll bei einer Sondereinheit unter dem Kommando des etwas eigenartigen Matt (Josh Brolin) eingesetzt werden.

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