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Der Mann im Morgenmantel, musikalisches Genie, Weltrekordhalter im Dauerklavierspiel – Chilly Gonzales ist seit vielen Jahren ein Musikphänomen, das spielerisch verschiedenste Facetten vereint. „Shut Up and Play the Piano“ spürt dieser Faszination nach.

Shut Up And Play The Piano (2018)

Mit Zusatzhoden und seidenem Morgenrock

Ein Film über einen Vollblutentertainer wie Chilly Gonzales kann eigentlich kaum schiefgehen. Der in Kanada geborene, dann jahrelang in Berlin lebende und mittlerweile in Köln residierende Musiker, dessen bürgerliche Name Jason Beck lautet, ist so clever und versiert im Umgang mit dem Publikum und den Medien, dass selbst seine zur Schau getragene Großkotzigkeit ihm noch Sympathiepunkte einbringt. Mehr noch – sie erscheint in all ihrer Selbstironie geradezu als Grundbedingung für seinen Erfolg.

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Philipp Jedickes Film durchmisst das bisherige Leben und die Karriere von Jason Beck mehr oder minder chronologisch und mit prominenten Begleitern, unter denen es Sibylle Berg obliegt, in einem rahmenden Interview den Musiker zu befragen: Gonzales erzählt von seiner Kindheit in Montreal, wo sein Vater eines der größten Bauunternehmen des Landes leitete.

Später gründete er gemeinsam mit seinem Bruder Christophe Beck (heute ein vielgefragter Komponist von Filmsoundtracks u.a. von Die Eiskönigin, Barry Seal — Only in America) eine Band, studierte Jazz-Piano und formte gemeinsam mit Peaches, Leslie Feist und Mocky eine Formation namens The Shit (weil sie „der richtig heiße Scheiß“ waren), die wilde Performance-Konzerte zwischen Electroclash und Punk gab. So entstand eine kreative Keimzelle des musikalischen Undergrounds in Montreal. Doch Freigeistern wie Peaches und Gonzales wurde die beschauliche kanadische Metropole schnell zu klein – und so kam es zum Umzug nach Berlin, wo eine andere, freiere, wildere Art der Kreativität herrschte.

Vor allem gemeinsam mit Peaches (bürgerlich Merrill Beth Nisker) trieb Beck seine musikalische, vor allem aber seine persönliche Gonzales-Werdung weiter voran, die er mit exzentrischen Auftritten wie etwa jenem vor der Bundespressekonferenz untermauerte, bei der er sich zum König des Undergrounds in Berlin kürte. Bis dann der jähe Bruch und die radikale Neuerfindung kam: Statt lautem Electroclash und derben Raps hatte Gonzales ein Album namens Solo Piano aufgenommen, das auf dem schmalen Grat zwischen Klassik, Jazz und Pop wandelte und das für Eingeweihte wie eine Mischung aus Filmkompositionen und Stücken von Eric Satie für das 21. Jahrhundert klang. Seitdem konzentriert sich Gonzales vor allem auf diese Art von Musik, die er gleichwohl immer wieder ironisch bricht und ad absurdum führt, wenn er etwa zu den Tönen eines sinfonischen Orchesters wie ein echter Rockstar crowdsurft, mit seinem Brusthaar angibt und keinen Millimeter von seinem selbstverliehenen Geniestatus abweicht.

Er fürchte, seine Fans würden ihn einfach nur lieben, antwortet Chilly Gonzales zu Beginn auf die Frage, ob er eine Botschaft an sie habe. Dabei sei es doch total wichtig, ihn auch zu hassen. Und zu diesem Zweck beginnt er gleich mit einer kleinen Fernhypnose von der Kinoleinwand herab. 

Hassen wird ihn zwar am Ende kaum jemand der Zuschauer, stattdessen wird er mutmaßlich unter den Kinobesuchern, die ihn bisher noch nicht kannten, viele neue Fans gewonnen haben. Selbst wenn der den eigenhändig erschaffenen Mythos vom Klaviervirtuosen erfolgreich zertrümmert. Mag sein, dass Gonzales kein im klassischen Sinne brillanter Pianist ist – weswegen er am Ende in qualvollen Etüden schwierige Akkordfolgen aus der Klavierliteratur paukt wie ein Achtjähriger. Dennoch treffen seine Kompositionen einen Nagel auf den Kopf – und auf der Klaviatur der Emotionen und Sympathien des Publikums ist er ein großer Maestro. 

Shut Up And Play The Piano (2018)

Der Pianist und Komponist Chilly Gonzales ist eine Ausnahmeerscheinung. Der in Kanada geborene, mittlerweile aber in Köln lebende Musiker wandelt schwerelos zwischen Pop und Klassik, U und E, Rap-Stücken und Electro, tritt am liebsten im seidenen Morgenrock auf und hat bereits mit so unterschiedlichen Musiker*innen wie Feist, Peaches, Daft Punk und Jarvis Cocker zusammengearbeitet. Shut Up and Play the Piano widmet sich einer der schillerndsten Gestalt der zeitgenössischen Musik. 

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