Short Term 12 (2013)

Eine Filmkritik von Andreas Köhnemann

Ein Independent-Glanzstück

Das „Indie“-Label wird seit einiger Zeit recht inflationär gebraucht – und hat dadurch wohl jedwede Aussagekraft verloren. Im Bereich des Films wird es meist benutzt, um ein Werk von großen, kühl kalkulierten Hollywoodproduktionen abzugrenzen: Die Bezeichnung „Indie-Drama“ für eine Arbeit mit ernsthaft-tragischem Inhalt soll eine Distanz zu sämtlichen manipulativ-sentimentalen Big-Budget-Schmonzetten schaffen – indes mit der Verwendung des Terminus „Indie-Komödie“ für gewöhnlich die Charakterisierung der Protagonisten als besonders nerdy einhergeht. Da sich allerdings im Sektor des (vermeintlich) authentischen Indie-Dramas und der betont schrägen Indie-Komödie ebenfalls längst zahlreiche Standards etabliert haben, die auf erzählerischer und inszenatorischer Ebene immer wieder abgerufen werden, muten auch etliche dieser unabhängigen Werke allzu formel- und klischeehaft an. Umso erfreulicher ist es deshalb, wenn ein Film wie Short Term 12 – Stille Helden demonstriert, über welche Stärke das Independent-Kino nach wie vor verfügt.

Mit Short Term 12 hat Writer-Director Destin Daniel Cretton seinen eigenen gleichnamigen Kurzfilm aus dem Jahre 2008 ausgebaut. Das Short Movie (welches als Extra auf der DVD/BD enthalten ist) zeigt Brad William Henke als Betreuer in einer Einrichtung für verhaltensauffällige Kinder und Jugendliche. Cretton verarbeitete darin eigene Erfahrungen – denn er selbst war nach dem Studium zwei Jahre lang in einer solchen Einrichtung tätig gewesen. In der Langversion hat er Henkes Part nun gewissermaßen auf zwei zentrale Figuren aufgeteilt: Grace (Brie Larson) ist die engagierte Leiterin des Betreuerteams, Mason (John Gallagher Jr.) ist ihr Arbeitskollege und zugleich ihr Lebenspartner. Das „Short Term 12“ ist ein Heim, das jungen, oft durch häusliche Gewalt schwer traumatisierten Menschen ein vorübergehendes Zuhause bietet. Als die zur (Auto-)Aggression neigende Jayden (Kaitlyn Dever) als Neuzugang eintrifft, baut Grace nach diversen Anfangsschwierigkeiten eine enge Bindung zu dem Mädchen auf. Durch die Beschäftigung mit Jaydens familiärem Hintergrund werden bei Grace jedoch alsbald alte Wunden wieder aufgerissen.

Dass man als Zuschauer_in rasch in die Geschichte von Short Term 12 hineingezogen wird, hat zunächst zwei Gründe. Zum einen gelingt es der von Brett Pawlak geführten (Hand-)Kamera, Nähe zu erzeugen, ohne dabei das Leid und den Schmerz der Figuren auszustellen und auszubeuten. Zum anderen ermöglicht das Drehbuch einen leichten Zugang zur Welt des Auffangheims mit all ihren Regeln und Tücken, indem zu Beginn des Films mit dem linkisch-idealistischen Nate (Rami Malek) ein neues Mitglied zum Team der Betreuer hinzustößt. Gemeinsam mit Nate kann das Publikum begreifen, was genau es bedeutet, die Aufsicht über eine Gruppe von verstörten Teenagern zu führen – und heikle Situationen effektiv zu deeskalieren. In der Darstellung der adoleszenten Heimbewohner ist insbesondere die Tatsache positiv zu werten, dass diese als individualisierte Charaktere erkennbar werden, statt bloße Schablonen zu bleiben. Neben der traurigen Rebellin Jayden prägen sich etwa Sammy (Alex Calloway) und Marcus (Keith Stanfield) mit ihren Handlungssträngen ein. Während Ersterer wiederholt versucht, aus der Einrichtung zu fliehen, hat Letzterer Angst vor der baldigen „Freiheit“, die sein 18. Geburtstag mit sich bringen wird. Zu den intensivsten Momenten des Werks zählt Marcus‘ Performance eines selbstverfassten Rap-Songs, in welchem der junge Mann seine Wut und Furcht in rau-emotionale Worte fasst.

Das Spiel der Hauptakteurin Brie Larson ist überaus beeindruckend: Grace ist keine Heldin ohne Fehl und Tadel, keine strahlende Retterin (und auch kein Hipster-Girl), sondern eine seelisch und körperlich beschädigte Person, deren Konstitution von Larson nuanciert erfasst wird. Auch John Gallagher Jr. ist als warmherziges, witziges Gegenüber eine Idealbesetzung. Als Zuschauer_in fühlt man mit Grace, Mason und den übrigen Figuren mit. Short Term 12 ist weder ein aufdringlicher Tear-Jerker über die Schlechtigkeit der Welt, noch ein penetrant optimistisches Erbauungswerk, sondern ein sensibel gemachter Film der Empathie, dem anzumerken ist, dass es sich um ein Herzensprojekt handelt. Großartig!
 

Short Term 12 (2013)

Das „Indie“-Label wird seit einiger Zeit recht inflationär gebraucht – und hat dadurch wohl jedwede Aussagekraft verloren. Im Bereich des Films wird es meist benutzt, um ein Werk von großen, kühl kalkulierten Hollywoodproduktionen abzugrenzen: Die Bezeichnung „Indie-Drama“ für eine Arbeit mit ernsthaft-tragischem Inhalt soll eine Distanz zu sämtlichen manipulativ-sentimentalen Big-Budget-Schmonzetten schaffen – indes mit der Verwendung des Terminus „Indie-Komödie“ für gewöhnlich die Charakterisierung der Protagonisten als besonders „nerdy“ einhergeht.

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