Sehnsucht (2006)

Eine Filmkritik von Gesine Grassel

Spröde Wirklichkeit

„Die sind immer spröde, immer streng. In den Filmen passiert eigentlich nichts. Sie sind langsam, trist und es wird nie etwas wirklich gesagt – das ist dann die Berliner Schule. Die kommen bei der Kritik immer gut weg und haben dann so 5.000 bis 10.000 Zuschauer.“ Mit diesen wenigen Worten charakterisiert Regisseur Oskar Roehler eine Art Film, die in den vergangenen Jahren immer beliebter wurde und doch ein Geheimtipp blieb. Zu dieser Gruppierung Berliner Filmemacher gehört seit ihrem HFF-Debütfilm auch die 38-Jährige Valeska Griesbach. In Mein Stern erzählt sie die Liebesgeschichte eines Paares auf wunderbar schlichte und leise Art und Weise. Mit einfachen Mitteln und großer Sorgfalt knüpft sie in Sehnsucht an diese Filmkunst an. Die Geschichte eines Paares in Brandeburg wurde von vielen Kritikern als bester deutscher Beitrag der diesjährigen Berlinale betitelt. Zu Recht, denn es geht um mehr als das Sichtbare im Leben.

Ella (Ilka Welz) und Markus (Andreas Müller) leben in einem 200-Seelen-Dorf in Brandenburg. Seit ihrer Kindheit sind die beiden befreundet und irgendwann wurde aus Freundschaft Liebe. Ihr provinzielles Leben scheint perfekt. Mit Anfang dreißig wirken die beiden unschuldig und Ihr Zusammenleben fast zu perfekt. Ella arbeitet als Haushaltshilfe und singt im Chor, Markus verdient als Schlossermeister und Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr das Geld, um ihr eigenes Haus zu finanzieren. Es scheint, als könne nichts ihr kleines Paradis erschüttern. Bei einem Ausflug mit seinen Feuerwehr-Kollegen lernt Markus die Kellnerin Rose kennen. Am nächsten Morgen wacht er in einem fremden Bett auf. Bei ihr kann er Leidenschaft und Sex ausleben, während er zu seiner Frau Ella ein fast freundschaftliches Verhältnis hat und ihm jeder Kuss, jede Berührung zu viel scheint. Auf einmal gerät seine Welt ins Wanken und mit ihm auch das Leben der beiden Frauen.

Willkommen in der Wirklichkeit. Mit einem akribischen aber liebevollen Blick in die ostdeutsche Provinz bringt Regisseurin Valeska Griesbach eine Milieustudie auf die Leinwand, die sehenswert ist und überrascht. Die Musik beim abendlichen Kneipenbesuch ist ein paar Jahre alt, die vom Zigarettenrauch geschwängerte Luft und die vergilbten Gardinen portraitieren eine Gegend, der man in der eigenen Biografie schnellstmöglich den Rücken gekehrt hat. Ohne viel Vorgeschichte ist klar, dass in Zühlen, bei Ella und Markus, alles schon immer so war und bleiben wird. Wäre da nicht ein Ausbruch aus dem starren Lebensmuster. Ein Leben, in dem man vor allem funktionert und Dinge tut, die eben zu tun sind und schon immer so waren. In der kleinbürgerlichen Idylle gehört das Kaffeetrinken mit den Großeltern zu den Höhepunkten der Woche, dabei unterhält man sich über Tischdecken und die eigene Familie. Wer hier wohnt, hat nur kleine Träume und Wünsche.

Im Ganzen wirken die Bilder und Situationen fast skurril, aber der Gedanke an ihre Authentizität schnürt einem den Hals zu. Einer der größten Momente des Filmes ist, wenn sich Markus beim Tanzen zu Robbie Williams’ Feel völlig selbstvergessen in der Musik verliert. Dies ist die Wirklichkeit, abgebildet mit nicht-professionellen Darstellern, die ihr eigenes Leben verkörpern und die Valeska Grisebach in aufwändigen Castings in der brandenburgischen Provinz fand. Im dokumentarischen Stil gehalten wird dem verwöhnten Großstädter ein Alltag vor Augen geführt, der für ihn an Geschwindigkeit und Banalität kaum zu unterbieten, aber ebenso lebenswert ist. Valeska Grisebach gibt der Geschichte viel Zeit, sich zu entfalten, lässt die großen Momente emotional eindrucksvoll wirken. Die drei Darsteller, allen voran der Brandenburger Karosserie-Mechaniker Andreas Müller, verkörpern ihre Filmfiguren beängstigend real. Sehnsucht ist still und angenehm unspektakulär, hat aber leider einige Längen. Auf diese muss man sich bewusst einlassen, um die Tristesse zu erkennen und zu verstehen, aber nicht zu bewerten.

Der schönste Satz des Filmes stammt von einem dicklichen, pubertären Teenager: „Schicksal ist das, was man nicht ändern kann.“ Dem bleibt eigentlich kaum etwas hinzuzufügen…
 

Sehnsucht (2006)

„Die sind immer spröde, immer streng. In den Filmen passiert eigentlich nichts. Sie sind langsam, trist und es wird nie etwas wirklich gesagt – das ist dann die ,Berliner Schule‘.

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Meinungen

Reda · 08.07.2018

Wie einfach und wahr, ein wunderbarer Film. Danke

· 15.02.2007

Stimmt wir suchen und finden :-). Sehnsucht soll am 30.8. 2007 auf DVD erscheinen.

ihrsucht-ichfinde · 15.02.2007

gibt es diesen film schon als dvd? oder läuft er noch im kino??

· 13.01.2007

Das ist der schönste Film den ich seit 20 Jahren gesehen habe!

Christoph · 15.08.2006

Der Film hat in meinem Herzen berührt, wie ich es noch selten erlebt habe.