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Nachdem ihr vorheriger Langfilm die indische Ramayana-Erzählung aufnahm, wendet Nina Paley sich nun einer anderen großen Geschichte zu: der Entstehung des Patriarchats. Ihr Film Seder-Masochism macht daraus ein buntes Animations-Pop-Musical.

Seder-Masochism (2018)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Why not believe in me?

Am Anfang war das Wort! – Moment: Gab es nicht auch etwas vor dem Wort? Vor dem Verbot? Vor dem Beginn patriarchaler Religionen und vor all dem Nationalismus und Krieg, den sie nach sich gezogen haben? In ihrem neuen Animationsfilm Seder-Masochism fragt Nina Paley nach genau diesen Mythen, die scheinbar unumstößlich bis heute das Leben in der sogenannten westlichen Welt prägen. Vor allem aber interessiert sie sich dafür, was es stattdessen geben kann – statt alten, weißen Männern und ihren Gesetzen.

Entlang der symbolischen Ordnung des jüdischen Sederabends erzählt Seder-Masochism die Geschichte vom Auszug aus Ägypten als lautes, knalliges Pop-Musical. Die Collage-Animationen des Films entwickeln sich dabei in Verbindung mit einer Tonspur, die über ihren vielgestaltigen Reigen an Ton-Schnipseln und Pop-Songs die religiöse Erzählung in immer neue Zusammenhänge stellt und beständig unerwartete Perspektiven eröffnet. Gleichzeitig dient die Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Nina Paley und ihrem eigenen Vater als Dialog zwischen Gott – einem bärtigen, dreieckig gefalteten Dollar-Schein – und einer Opfer-Ziege, in dem es um das Verhältnis der beiden zueinander sowie um das Verhältnis des Vaters zu seiner eigenen Religion und deren Erzählungen geht.

Am Anfang des Films steht eine wundervoll animierte Prolog-Sequenz, die weibliche Götterfiguren in beständiger Bewegung, in unablässiger Transformation und Entwicklung zeigt – bis schließlich Männer auftauchen, die den gerade aus einer der Göttinnen gewachsenen Baum abhacken und forttragen. Dieses Verbrechen, das Eindringen von Gewalt und Zwang in die Welt, setzt Nina Paleys Film mit dem Aufkommen monotheistisch-patriarchaler Religionen in einen engen Zusammenhang – und fragt, dem Weg der Moses-Erzählung folgend, immer wieder nach den Göttinnen, die gewaltsam vom Wort und vom Verbot verdrängt wurden.

Nur ein beeindruckendes Beispiel bietet der Erhalt der zehn Gebote: Von einem mehr als phallischen Berg herabsteigend sieht Moses sein feierndes Volk, Frauen zeigen sich freizügig und tanzen Seite an Seite mit Männern, eine vielbusige Gottheit wird von ihnen verehrt. Moses bleibt nichts, als dem Treiben ein Ende zu bereiten, die falsche Gottheit zu zerstören und das Gesetz der zehn Gebote an ihre Stelle zu setzen – unterlegt ist die grandios animierte Sequenz mit Led Zeppelins Your Time Is Gonna Come.

Der Film dreht hier den Blick auf den Gründungsmoment des geregelten, normierten Zusammenlebens – denn auf dessen Kosten geht das freie und gleiche Zusammenleben unter. Nicht der falsche Gott, in Gold gegossen, wird zertrümmert, nicht die Sünde oder der Untergang von Sitte und Moral, sondern die Möglichkeit einer Gemeinschaft ohne Unterdrückung. Die Folgen, so lässt Paleys brillante Musik-Auswahl zwischen bitterer Satire und unerwarteten Pointen deutlich spüren, sind bis heute nicht rückgängig zu machen, im Gegenteil. Verloren sind auch weibliche Götterfiguren – mehr noch aber fehlt der Glaube an Harmonie, an lebendige Veränderung und Gemeinsamkeit. „Why not believe in me?“, fragt der Song You Gotta Believe von den Pointer Sisters, um Moses doch noch einen anderen Weg zu zeigen – vergeblich.

Die als Zwiegespräch mit Gott verdoppelte Auseinandersetzung Paleys mit ihrem eigenen Vater, die all dies noch ergänzt, und die großen Linien, die der Film über oft zu weit geschlagene Felder zieht, überzeugen in ihren Sprüngen nicht immer. Seder-Masochism führt aber doch vor Augen, dass die Macht des Patriarchats einen Kampf erfordert, dessen Mittel der Film großartig demonstriert: Witz, Liebe und ungebrochen energetische Leidenschaft fügen sich zu einer mitreißenden Kraft gegen ein System, das nicht bei der Religion oder Familie endet, sondern mit demselben Atem ebenso die Grundlage für Nationalismus, Krieg und Hass in all ihren Facetten darstellt.

In Tagen, in denen die unerträgliche Prozedur der Ernennung eines Richters an den Obersten Gerichtshof der USA Anlass für die ungebremste Herabwürdigung von Frauen bietet, während in Österreich eine Frau dafür erfolgreich verklagt wird, gegen sexuelle Belästigung ihre Stimme erhoben zu haben, kann ein Film wie Seder-Masochism nicht zeitgemäßer erscheinen: Das Patriarchat mag nicht allumfassend für das Schlechte in der Welt verantwortlich sein – aber für einen verdammt großen Teil davon. Es ist höchste Zeit, daran etwas zu ändern.

Seder-Masochism (2018)

Anlässlich des Sederabend, mit dem das Pessachfest beginnt, beschäftigt sich Nina Paley (Sita Sings the Blues)  mit dem Buch Exodus und zeigt, dass es eine andere, marginalisierte Seite der biblischen Geschichte gibt — die einer weiblichen Ur-Gottheit und deren tragischem Kampf gegen die Mächte des Patriarchats.

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