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„Papas Kino“ ist so was gestern – von wegen wie ein Blick auf Helmut Käutners „Schwarzer Kies“ beweist, der kürzlich von der Murnau-Stiftung grandios restauriert wurde und nun auch für das Heimkino erhältlich ist.

Schwarzer Kies

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Desillusion in Moll

Das Kino der Adenauer-Jahre (1949-1963) war im Grunde bedeutend besser – und erst recht facettenreicher – als viele Filmwissenschaftler wie Filmschaffende es im Zuge des Aufstiegs des „Neuen Deutschen Films“ Anfang der 1960er Jahre lange Zeit wahrhaben wollten. Natürlich saßen damals noch viele „Papas“ – gar „Opas“ – von einst zum Beispiel in den Ateliers von Atze Brauner in Berlin, nicht wenige von ihnen hatten bereits unter Goebbels in dessen selbst entarteter UFA-Maschinerie als treu dienende Regisseure gearbeitet oder sich dort zumindest schon ihre ersten Sporen als Regieassistenten oder Drehbuchautoren verdient.

Unter ihnen war auch ein junger Mann namens Helmut Käutner aus Düsseldorf, ein „Meister des Wenn, Aber und Vielleicht“ (Michael Althen), der dort in der Folgezeit – und mit Hits und Flops in regelmäßigem Abstand (z.B. Kitty und die Weltkonferenz, Kleider machen Leute oder Große Freiheit Nr. 7) sowie insgesamt verhältnismäßig großer künstlerischer Freiheit einige der bedeutendsten UFA-Spielfilme realisieren konnte, ohne je ins direkte Propaganda-Fach wechseln zu müssen.

Trotzdem blieben gerade seine bis heute solitären Meisterwerke Romanze in Moll (1943) und Unter den Brücken (1945/46) – beide sozusagen im Schlussakkord des Drittes Reichs entstanden – viel zu lange in den Giftschränken der Filmgeschichte weggeschlossen. Trotz – oder gerade wegen? – seiner zahlreichen Nachkriegskinohits (u.a. Der Hauptmann von Köpenick, Ludwig II, Die letzte Brücke und Des Teufels General) umwehte den Namen Käutner in manchen Kreisen der Filmwissenschaft längere Zeit ein gewisser Hautgout, was aus heutiger Sicht absolut überrascht.

Denn mindestens bis Mitte der 1960er Jahre hinein tat sich Helmut Käutner im Kino der Adenauerjahre als großer Manierist innerdeutscher Befindlichkeiten hervor. Gerade diese Schaffensphase wird seit jüngerer Zeit – und zu Recht auch durch das Engagement des Kölner Filmkritikers und Kurators Olaf Möller – zunehmend wieder (oder gänzlich neu) entdeckt.

Dazu gehören beispielsweise der verhältnismäßig dissonante Politthriller Epilog – Das Geheimnis der Orplid (1950), der zusätzlich mit zahlreichen Film noir-Elementen angereichert ist, die deutsch-deutsche Geschichte Himmel ohne Sterne (1955), die unter anderem Horst Buchholz mit zum Durchbruch verhalf, oder eben Schwarzer Kies (1961), der jüngst von der Wiesbadener Murnau-Stiftung sorgfältig restauriert und im Rahmen der letzten Berlinale wiederaufgeführt wurde.

Zudem lief der letztgenannte Film auch als Teil der aufsehenerregenden „Kino-der-Adenauer-Jahre-Retrospektive“ 2016 in Locarno, die ebenfalls von Olaf Möller (zusammen mit Roberto Turigliatto) unter dem Titel „Geliebt und verdrängt: Das Kino der jungen Bundesrepublik Deutschland“ zusammengestellt und seitdem nicht nur in Cineasten- und Kinematheken-Kreisen breit und mit großer Neugier rezipiert wurde. Concorde hat ihn nun in einer schön gestalteten Home-Entertainment-Ausgabe (wahlweise als Blu-ray oder DVD und besonders fein: mit beiden alternierenden Fassungen) wie in bestechender Bildqualität herausgebracht.

In diesem bemerkenswert herb-rauen Genre-Kino-Stück aus den Zeiten von „Papas Kino“ ist vieles, wirklich sehr vieles komplett anders als in der weithin bekannten Konfektionsware aus diesen besonders inhomogenen westdeutschen Kinojahren, was eine Neusichtung absolut lohnenswert macht. Die drei großen E-Motive jenes Adenauer-Kinos (Erbauung, Eskapismus und Exotik) sucht man in dieser düsteren Hunsrück-Story um illegale Kiestransporte, daher der Titel, seltsame deutsch-amerikanische Feindschaften und allerhand Zwielichtigkeiten im zwischenmenschlichen Bereich von Beginn an vergebens.

Hier menschelt es nicht, hier gruselt es einen, ehe man sich in einer der nächsten, fast durchweg hervorragend kadrierten, Szenen (Kamera: Heinz Pehlke) schon wieder dabei erwischt, über eine der auffällig eingestreuten Verstöße gegen die Political Correctness zu stolpern, was sich ebenso in der wilden Wortwahl widerspiegelt: „Mach schnell, sonst schlaf ich wirklich“ – „Wir spielen D-Day.“ – „Wie heißt 0815 auf englisch?“ oder „Trink ned’ so viel: Macht impotent!“ geben bereits die verblüffende Stoßrichtung in diesem außerordentlich gewagten Käutner-Film wieder.

Im Zentrum dieser auffallend dissonanten Nachkriegsballade zu Beginn des deutschen Wirtschaftswunders steht Helmut Wildt (Das Feuerschiff, Spione unter sich) alias Robert Neidhardt. Als Kiesfahrer in der ortsansässigen US-Airbase-Baustelle ist er von Beginn an ein Schieber, Filou und Kleinkrimineller in einer Person mit einer großen Vorliebe für Bier und Schnaps, leichte Mädchen sowie den nächsten Kies-Coup. Schon mehrfach hat er die Amis in diesem ursprünglichen 261-Seelen-Dörfchen ausgetrickst, wo sich inzwischen bereits mehr als 6000 Soldaten (plus deren Angehörige) innerhalb kürzester Zeit angesiedelt haben.

Nachts klaute er auf diesem gigantischen Areal schon mehrere Male beträchtliche Kies-Mengen, die er im Anschluss lurativ an eine Reihe ebenfalls örtlicher Bauunternehmer weitervertickern konnte: So geht das in der jungen BRD in Zeiten offiziell propagierter Deutsch-Amerikanischer Freundschaft und den Schatten der weiterhin höchst wahrnehmbaren NS-Vergangenheit („Saujud!“/“Negermusik“).

Als ruppig-diabolischer Zyniker versucht er im Grunde eben irgendwie nur durchzukommen. Helmut Wildt, der Goethes Mephisto-Figur immerhin 106 Mal auf dem Theater gegeben hatte, ist geradezu eine Idealbesetzung für diesen schwer zugänglichen Mann mit dem sinnstiftenden Rollennamen. Zwischen GI-Feierlichkeiten, US-Wohnungsbaubeschaulichkeiten und pseudoamerikanischen Bars ist jener desillusionierte Kiesfahrer fühlbar ein letztlich verlorener Mann in einem radikal neuen Gesellschaftssystem, wo sich viele Kriegsheimkehrer wie er eine schnelle Mark – und wenig mehr – versprechen. „Hart und direkt“ sollte dieser letzte UFA-Film sein, hatte Käutner einst im Vorfeld verlautbaren lassen.

Es sollte ein Nachkriegsfilm wie kein anderer werden „mit erotischen und brutalen Realitäten“, was durchwegs die atmosphärische Aufgeladenheit in Schwarzer Kies sehr treffend in Worte fasst. Dabei können weder Helmut Wildt als Neidhardt noch Inge (Ingmar Zeisberg in einer ihrer besten Performances) in dieser hoch bemerkenswerten Käutner-Arbeit als Vorbild dienen, die zudem auch im gesamten Cast mit weiteren gestandenen Nachkriegsschauspielern (wie Anita Höfer oder Wolfgang Büttner) prominent aufwarten kann.

Zusammen mit der damals skandalös empfundenen Fäkalsprache – wirklich alle paar Minuten fällt ein kurzes „Arschloch“, „Drecksau“ oder „Schleimscheißer“ in diesen brillant doppeldeutig geschriebenen Dialogen – und gleich einer Reihe sogenannter anstößiger Striptease- und Film noir-Szenen sorgt Käutner in diesem packenden, knapp zweistündigen Ausrufezeichen des westdeutschen Films nach 1945 dafür, dass der Zuschauer darin – damals wie heute – kein bisschen Trost und erst recht keine gute Laune findet. Oder kurz: Schwärzer die deutsche Seele nie leuchtete.
 

Schwarzer Kies

Das Kino der Adenauer-Jahre (1949-1963) war im Grunde bedeutend besser – und erst recht facettenreicher – als viele Filmwissenschaftler wie Filmschaffende es im Zuge des Aufstiegs des „Neuen Deutschen Films“ Anfang der 1960er Jahre lange Zeit wahrhaben wollten. Natürlich saßen damals noch viele „Papas“ – gar „Opas“ – von einst zum Beispiel in den Ateliers von Atze Brauner in Berlin, nicht wenige von ihnen hatten bereits unter Goebbels in dessen selbst entarteter UFA-Maschinerie als treu dienende Regisseure gearbeitet oder sich dort zumindest schon ihre ersten Sporen als Regieassistenten oder Drehbuchautoren verdient.

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