Scherbenpark

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

In the Ghetto...

Sascha und Felix leiden unter dem gleichen Problem: sie kriegen keine Luft. In seinem Fall ist das körperlich zu verstehen, die siebzehnjährige Sascha hingegen ist in ihrem Viertel der sprichwörtliche Fisch auf dem Trockenen. Sie ist die Protagonistin eines Films, der die trostlose Jugend im Schatten gesichtsloser Plattenbauten portraitiert und mit diesem oft gesehenen Inhalt nicht unbedingt große Erwartungen weckt. Umso schöner, dass Scherbenpark von Bettina Blümner letztlich doch mit originellen Dialogen und einer vielschichtig gezeichneten Hauptfigur zu überraschen weiß. Sascha (Jasna Fritzi Bauer) hat viel vor: sie will ein Buch über ihre Mutter schreiben und ihren Mord rächen. Die Erlaubnis der beiden jüngeren Geschwister hat sie bereits, doch der Täter, ihr Stiefvater Vadim, sitzt noch immer im Gefängnis. Als die regionale Tageszeitung einen mitfühlenden Artikel über den Mörder veröffentlicht, will sie die Verantwortlichen wutschnaubend zur Rede stellen, aber stattdessen trifft sie auf den gleichermaßen verloren wirkenden Zeitungsredakteur Volker (Ulrich Noethen) und zieht ohne lange Überlegungen zu ihm und seinem Sohn Felix (Max Hegewald). Fortan bewegt sie sich zwischen der perspektivlosen Lebenswelt der russischstämmigen Jugendlichen im Ghetto und der geordneten Mittelstandsumgebung des Journalisten hin und her.
Scherbenpark hält im Grunde alle Voraussetzungen bereit, um in stumpfe Klischees und kontrastreiche Schwarzweißmalereien abzugleiten. Doch Sascha begibt sich nicht in die aufreibenden Abgründe eines blutigen Rachedramas und auch nicht in eine hollywoodeske Kitschfantasie, in der am Ende alle glücklich sind, die Bösen ihre gerechte Strafe erhalten und die Moral von der Geschicht‘ jeglicher Originalität die Luft abdrückt. Stattdessen zeigt Bettina Blümners Spielfilm die glaubhaft anmutende Geschichte einer heranwachsenden Frau, die in ihrem jungen Leben bisher einfach Pech hatte. Und Jasna Fritzi Bauer spielt es hervorragend, das Mädchen mit dieser unerbittlichen Wut, die sich permanent Ventile sucht. Sie öffnet kaum den Mund, wenn sie ihre Worte spitz zwischen den Zähnen hervor presst und ihren Mitmenschen voller Verachtung vor die Füße spuckt.

Ändern wird sich die latent zornige Abwehrhaltung erst als Sascha bei Volker einzieht und dort auch seinen Sohn Felix kennenlernt, der mit den Wuschellocken und seinem beinahe noch kindlich unbekümmerten Charme das Kontrastprogramm zur frühreifen Sascha bildet. Für einige Lacher ist gesorgt, glücklicherweise hält sich das Kontrastprogramm sonst aber in Grenzen. Scherbenpark verzichtet darauf, seine Protagonistin unvermittelt einer bonbonbunten Konsumwelt auszusetzen, sie in hübsche Kleider zu stecken oder ihr einen Ort vorzugaukeln, der das komplette Gegenteil ihrer ursprünglichen Lebenswelt bietet. Auch Volkers Familie ist nicht so perfekt wie Sascha es im ersten Augenblick annimmt, und als er und Felix sie nach Spanien einladen, lehnt sie ab. Zu reflektiert ist sie, um zu wissen, dass diese Reise ihre Probleme nicht zu lösen vermag.

„Du Volker, früher dachte ich immer, ich bin so erwachsen“, gibt Sascha eines Abends zu, und in dem Moment wissen wir, sie hat es wirklich kapiert. Sie hat begriffen was es heißt, seine Mitmenschen nicht überheblich mit der Nase auf den eigenen Verstand zu stoßen und sich so immer wieder in die ungemütlichsten Situationen hineinzumanövrieren. So clever wie Sascha sind in ihrem Viertel leider längst nicht alle Jugendlichen. Bettina Blümner schreckt nicht davor zurück, in Scherbenpark auch Problemfälle zu zeigen, wie sie nachmittägliche Scripted Reality-Shows wohl nicht schöner kreieren könnten. Natürlich schrammt sie bei dieser Gratwanderung auch einige Male nur knapp am Klischee vorbei, wenn zum Beispiel ein junges Mädchen ganz in Pink selig lächelnd mit der Kippe in der Hand die Kunde ihrer ersten Schwangerschaft verbreitet. Und natürlich ist im Haus des Journalisten das Licht ein wenig wärmer, die Kamera nicht ganz so wackelig geraten. Die kleinen Schnitzer verzeiht man Scherbenpark jedoch gern, denn nach Prinzessinnenbad ist der Regisseurin hier eine Sozialstudie gelungen, die mit unprätentiösem Charme überzeugt. Wenn Charme vielleicht auch nicht das passende Wort für einen Film ist, der seine Figuren inmitten einer gleichgültig bis feindselig grauen Betonwüste platziert. Aber Grau ist eben das Mittel aus Schwarz und Weiß, insofern passt die Farbe doch perfekt.

Scherbenpark

Sascha und Felix leiden unter dem gleichen Problem: sie kriegen keine Luft. In seinem Fall ist das körperlich zu verstehen, die siebzehnjährige Sascha hingegen ist in ihrem Viertel der sprichwörtliche Fisch auf dem Trockenen. Sie ist die Protagonistin eines Films, der die trostlose Jugend im Schatten gesichtsloser Plattenbauten portraitiert und mit diesem oft gesehenen Inhalt nicht unbedingt große Erwartungen weckt. Umso schöner, dass „Scherbenpark“ von Bettina Blümner letztlich doch mit originellen Dialogen und einer vielschichtig gezeichneten Hauptfigur zu überraschen weiß.
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