Schatten – Eine nächtliche Halluzination

Ein meisterlicher Stummfilm mit bemerkenswerter Aktualität

Wenn zu Beginn des schwarzweißen Stummfilms Schatten – Eine nächtliche Halluzination von Arthur Robison seine Protagonisten kurz auf einer Bühne vorgestellt werden, zeigt sich bereits der doppelbödige Charakter dieses Dramas, das mitunter durchaus wie ein kluges, unterweisendes und auch mahnendes Lehrstück daherkommt. Da ist ein Ensemble bestehend aus einem Ehepaar, einer Dienerschaft, einem Musikertrio, ein paar Kavalieren und einem Gaukler angetreten, um während eines geselligen Abendessens vorgeführt zu werden und zu bekommen, wie trügerisch sich die so bezeichnete Wirklichkeit im Spannungsfeld von Ängsten und Wünschen, Imagination und Wahn sowie Licht und Schatten bei Zeiten ausnehmen kann.
Der Ausdruck seiner tosenden, allgegenwärtigen Eifersucht springt diesem Ehemann (Fritz Kortner) förmlich aus jedem Blick, aus allen Gesten und aus den allzu sichtbaren Entscheidungen seines ruhelosen bis martialischen Handlungsdrangs. Er folgt mit geradezu morbider Miene jedem Ausdruck, jeder Bewegung seiner aparten, festlich gekleideten und erotischen Charme versprühenden Gattin (Ruth Weyher), die höflich bis hinreißend Konversation mit den geladenen Gentlemen betreibt. Zu dieser angespannten Abendgesellschaft, die von atmosphärischer Live-Musik begleitet wird, verschafft sich mit einer verführerischen Vorstellung ein versierter Gaukler (Alexander Granach) Zutritt, der sein Publikum zunächst mit einem chinesischen Schattenspiel unterhält. Doch dieser schlaue Inszenator begreift schnell, welch Moloch an unterschwelligen bis offensichtlichen zerstörerischen Emotionen in diesem Hause herrscht. Und so zieht er die Anwesenden so geschickt wie wirkungsvoll in einen fesselnden Bann aus Hypnose und Illusion, der sie schließlich für die eigenen verborgenen Sehnsüchte und die Trugschlüsse ihrer Wahrnehmung sensibilisiert.

Erst just in diesem Jahr mit einer neuen musikalischen Interpretation durch den Komponisten und Dirigenten Johannes Kalitzke und das Stuttgarter Ensemble ascolta ausgestattet, deren akribische Arbeit in einer Featurette als Bonusmaterial der ARTE Edition dokumentiert wird, erscheint der Film nun restauriert und viragiert auf DVD. Es ist erstaunlich, mit welch filigraner Faszination dieses klug konstruierte Kammerspiel um Eifersucht und Läuterung auch heute noch zu überzeugen vermag! Auf Zwischentitel verzichtend entwickeln sich hier puristische, großartig mit Schatten und Spiegeln spielende Bilder, die sich zu einem geradezu magischen Szenario der Illusion und der Manipulation auswachsen. Bereits in den frühen 1920er Jahren entstanden, dem ausklingenden Jahrzehnt des klassischen Stummfilms, gelingt es Schatten – Eine nächtliche Halluzination ganz ausgezeichnet, eine von den Charakteren ausströmende, epische Dynamik zu entfalten, die das Beschreiten der Grenzgebiete der Narrationsebenen für die Filmfiguren wie für den Zuschauer gehörig ins Stolpern bringt. Diese formale Gestaltung, die sich geschickt der damaligen filmisch-technischen Möglichkeiten bedient, korrespondiert trefflich mit dem psychologisch aufbereiteten Terrain der Eifersucht, deren Gebärden hier als Folgen wilden Wahns entlarvt werden, der Zerrissenheit in Zerstörung zu manifestieren sucht.

Eine schöne, selbstbewusste Frau in einer Männersozietät, die zwar augenscheinlich heftig begehrt wird, aber im Machtgemenge rasch zum Objekt und Opfer gemeingefährlicher Obsessionen gerät, taugt durchaus als Metapher moderner Beziehungs- und Gesellschaftsmuster, so dass Schatten – Eine nächtliche Halluzination keineswegs nur antiquierte Aspekte der Gender-Thematik transportiert. Vielmehr führt dieser Film wunderbar detailliert und mit visueller Überzeugungskraft die ver-rückten Verstrickungen vor Augen, die auch von Johannes Kalitzkes „musikalischem Irrgarten für zehn Instrumente“ stimmig-klangvoll unterstützt und in unsere modernen Zeiten katapultiert werden: Gerade im Bereich der extremen Emotionen wie bei Eifersucht zeigt sich die Selektivität der menschlichen Wahrnehmung in besonders hohem Maße, und diese Aussage transportiert dieses kuriose Schatten-Spiel eindringlich, als die Gedankenwelten des Konstruktivismus noch überwiegend im Verborgenen schlummerten.

Marie Anderson

Schatten – Eine nächtliche Halluzination

Wenn zu Beginn des schwarzweißen Stummfilms Schatten – Eine nächtliche Halluzination von Arthur Robison seine Protagonisten kurz auf einer Bühne vorgestellt werden, zeigt sich bereits der doppelbödige Charakter dieses Dramas, das mitunter durchaus wie ein kluges, unterweisendes und auch mahnendes Lehrstück daherkommt.
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