Salvo

Eine Filmkritik von Monika Sandmann

Augen auf bei der Berufswahl

Salvo aus dem Italienischen übersetzt heißt: erlöst, gerettet, heil, unversehrt, wohlbehalten. Salvo heißt auch die Hauptfigur des Films. Es ist ein Auftragskiller der Mafia. Wie sich dieser Widerspruch auflöst, erzählen die Regisseure, Fabio Grassadonia and Antonio Piazza, in ihrem gelungenen Debüt, für das sie auch das Drehbuch geschrieben haben.
Es ist ein Film, der auf leisen Sohlen daherkommt. Er beginnt mit Augen, die die Leinwand füllen. Augen, die exemplarisch für das Thema des Films stehen. Die Augen sehen zwar, aber wie schrieb schon Antoine de Saint-Exupéry in Der kleine Prinz: „Man sieht nur mit dem Herzen gut“.

Die Augen im Film gehören einem Mann, Salvo (Saleh Bakri). Er liegt auf dem Bett in einem dunklen Zimmer. Es muss warm sein. Im Hintergrund brummt unaufhörlich ein Geräusch, symbolisch für die Maschinerie, die nun in Gang geworfen wird. Der Wecker läutet, Salvo drückt ihn aus. Es ist fast noch Nacht, aber Salvo war längst wach. Vielleicht ahnt er da bereits, dass die reibungslose Maschinerie heute ins Stocken geraten wird, nicht mehr funktioniert, genauso wie die brummende Klimaanlage in seinem Zimmer. Das Gerät ist defekt, obwohl, wie seine Vermieter beteuern, es gerade überholt wurde.

Wie der Film im Weiteren Routine, Ängste und stetig wachsende Zweifel seiner Hauptfigur einfängt, ist großes Kino. Nahezu kein Dialog fällt, dafür spielen Regie, Kamera, Daniele Cipri, Licht und Ton, Guillaume Sciama und Emmanuel Di Giunta kongenial Hand in Hand. Auf höchstem künstlerischem Niveau, dabei leicht und lässig verfolgen die Regisseure ihren gebrochenen Helden bei seinem Alltag, weit weg vom gefährlich schillernden Pathos alter Mafia-Filme. Hier ist nichts glamourös. Sizilien in Salvo ist heruntergekommen, abgewrackt und düster. Ganz egal, ob die Sonne scheint oder das Meer brandet. Hier orientieren sich die Filmemacher mehr an das Italien aus Matteo Garrones Gomorrah (2008). Mafia ist hier wie dort dreckiges, einsames Leben. Dauer-Anspannung, Angst, Warten, Töten oder Getötet-Werden. Ein ewiger Kreislauf, kein Ausbrechen ist möglich. Als einzige Regel gilt: Auge um Auge.

Nahezu in Echtzeit begleiten die Regisseure am Anfang des Films den Protagonisten bei seiner Arbeit. Er kutschiert und sichert einen Mafiaboss (Mario Pupella). Salvos Haltung, seine Augen in höchster Aufmerksamkeit. Er hat alles im Blick und im Griff. Das Auto hinter ihnen, die enge, klaustrophobische Gasse – und den Angriff der Rivalen. In einer rasanten Actionszene erledigt er die Gegner und verfolgt den einzigen Überlebenden in eine Bauruine, zwingt ihn, seinen Auftraggeber zu nennen. Der Mann winselt den Namen in der Hoffnung, überleben zu dürfen. Doch keiner kommt in dieser Welt davon. Salvo erschießt ihn ungerührt. Und verfolgt die nächste Mission: den Auftraggeber töten. Aber der ist nicht zuhause, nur seine Schwester Rita (Sara Serraiocco). Sie zählt im Keller – einen alten italienischen Popsong mitsingend – Geld. Sie ist blind.

Mit höchster Präzision gelingt es dem Film, Ritas Perspektive einzunehmen. Die Beklemmung, nichts sehen zu können, aber hören und spüren, dass etwas nicht stimmt, die wachsende Panik und hilflose Versuche, diese in den Griff zu kriegen, Übersprungs-Handlungen. Ihr Vorwärts-Tasten durch das Haus und immer ihre großen, blinden und zu Tode geängstigten Augen. Salvos Killerinstinkte versagen. Die fragile Rita ist ein hilfloses Opfer. Sie beseitigen, scheint keine Option zu sein, in der Fachwelt als Lima-Syndrom bekannt. Stattdessen dringt er fast geräuschlos in das abgedunkelte Haus vor und zwingt den Zuschauer mit ihm gemeinsam in Ritas häusliche Privatsphäre einzudringen. Bis ein Auto draußen vorfährt, eine Stimme ruft und Rita schreien und damit ihren Bruder warnen will. Salvo packt die junge Frau, hält ihren Mund zu…

Es sind vermutlich die leisesten, intensivsten und spannendsten Filmminuten, die man seit langem sehen konnte. Seine Genialität kann Salvo in der zweiten Hälfte aber nicht mehr ganz halten. Dem Film geht ein wenig die Puste aus, wenn auch das hohe Niveau der Figurenzeichnung und Bildsprache kaum von ihrer Kraft verlieren. Auf Plotebene aber verheben sich die Regisseure, driften in das ein oder andere Mafia-Klischee und verlieren stark an Plausibilität, besonders bei Ritas Entwicklung.

Doch das ist, als würde man bei einem Spitzen-Wein das hässliche Etikett auf der Flasche kritisieren. Mit Fabio Grassadonia und Antonio Piazza gehen vermutlich zwei leuchtende Sterne am Regie-Himmel auf. Mit Salvo haben sie einen außergewöhnlich dichten, spannenden und ästhetisch hervorragenden Film vorgelegt, der en passant ein zutiefst deprimierenden Blick auf das heutige Italien wirft.

Salvo

„Salvo“ aus dem Italienischen übersetzt heißt: erlöst, gerettet, heil, unversehrt, wohlbehalten. Salvo heißt auch die Hauptfigur des Films. Es ist ein Auftragskiller der Mafia. Wie sich dieser Widerspruch auflöst, erzählen die Regisseure, Fabio Grassadonia und Antonio Piazza, in ihrem gelungenen Debüt, für das sie auch das Drehbuch geschrieben haben.
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