Salt and Fire

Eine Filmkritik von Katrin Doerksen

Abstraktion der Katastrophe

Die von Michael Shannon gespielte Figur des Riley zettelt in Salt and Fire – so viel kann an dieser Stelle ruhig verraten sein – eine Entführung an, um damit eine Schuld zu begleichen, eine gute Tat dem Versagen entgegenzustellen. Werner Herzog macht es ganz ähnlich. Er vereinnahmt das Medium Film zu einem bestimmten Zweck. Wir müssen damit leben, von ihm kein perfekt immersives Hollywoodkino vorgesetzt zu bekommen, vielmehr einer Situation ausgesetzt zu werden. Als ‚Mann mit einer Geschichte‘ wird seine kurze Cameo-Rolle in den Credits geführt. Lausbübisch zeigt er sich damit als Autor schon in den ersten Minuten präsent – wie in vielen seiner jüngeren Spielfilme, die das Publikum gern als Aphorismen-Maschinen belächelt.
„Ich bin offen für Kritik“, lässt er Riley sagen, in vollem Bewusstsein seiner eigenen Gestelztheit, und bringt dazu auch noch eine Reihe Referenzen an sein eigenes Werk in Salt and Fire unter. Unterbricht seinen Handlungsfluss, um mit der Kamera langsam durch den Kreuzgang eines römischen Klosters zu fahren wie durch die Grotten in Die Höhle der vergessenen Träume. Anamorphosen an den gewölbten Mauern – Malereien, deren Formen erst in der Veränderung der Perspektive auf sie erkennbar werden.

Ein geradezu verzerrtes Bild geben auch die große, blonde Veronica Ferres und die beiden kleinen Männer ab, die sie stets in kindlicher Pose zu ihr aufschauend umringen. Im Flugzeug auf dem Weg nach Bolivien erklärt Ferres’ Figur der Stewardess in einer theaterhaften Szene den Grund ihrer Reise; der Film entscheidet sich oft gegen das Zeigen, für das Erklären: die drei Forscher (neben Ferres noch Gabriel García Bernal und Volker Michalowski) wurden von den Vereinten Nationen entsandt, um Daten über eine Umweltkatastrophe zu sammeln, die sich hier ereignet. Durch jahrzehntelange Verschmutzung hat sich ein stetig expandierender Salzsee gebildet, der eines Tages den ganzen Kontinent zu bedecken droht, ja vielleicht sogar die ganze Welt. Zu allem Überfluss thront in seiner Mitte auch noch der schlummernde Supervulkan Uturuncu, in dessen Magmakammer es rumort und dessen Ausbruch unsere ganze Spezies vom Antlitz der Erde wischen könnte. Die Frage ist nicht, ob er ausbricht. Die Frage lautet: wann?

Die ökologische Katastrophe in Salt and Fire ist fiktional, der Uturuncu ist es nicht. Insofern könnte man den Film auch als Werbeveranstaltung für Werner Herzogs Netflix-Dokumentarfilm Into the Inferno verstehen, für den er aktive Vulkane auf der ganzen Welt und sogar in Nordkorea bereiste. Informationsvermittlung findet in Salt and Fire vor allem auf der Dialogebene statt und bei jedem anderen Regisseur klänge diese Beschreibung nach staubtrockenem Lehrbuchkino. Aber niemand versteht es wie Werner Herzog, seine Zuschauer ohne jegliche Vorbereitung in völlig neue, absurde Situationen zu werfen. Das beginnt schon in der ersten Einstellung. Ein Auto ruckelt auf einem engen Pfad einer idyllischen Villa im Kolonialstil entgegen. Das Setting sähe aus wie in einem beliebigen Fernsehfilm à la Rosamunde Pilcher, stünden nur nicht die schwer bewaffneten Männer mit Strumpfmasken davor. Das geht so weiter, wenn die Kamera schwerelos durch die Räume zu mäandern scheint, als hielte ein Tourist staunend ein Tablet vor sich in die Höhe, schaue sich zum ersten Mal an einem fremden Ort um, ohne dabei so recht auf Komposition und Belichtung zu achten. Es betrifft das vor allem zu Beginn des Films überpräsente Overacting von Veronica Ferres, das im ersten Augenblick für im deutschen Fernsehen jahrelang antrainierte Abwehrreflexe sorgt und sich irgendwann doch in das parabolische Gefüge einpasst, in dem sich alle Ereignisse wie unter einer Glasglocke abzuspielen scheinen.

Es kulminiert schließlich in einer Sequenz wie nicht von dieser Welt, in der wir uns mit Ferres und zwei blinden Jungen in der Salzwüste wiederfinden. „Ich hatte nur eine abstrakte Vorstellung davon, wie leer es hier ist“, staunt eine der Figuren, bevor Werner Herzog beginnt, die Weite aufzufüllen. Die kratzigen Töne von Streichinstrumenten scheinen aus einem alten Inkareich herüber zu wehen, als seine Kameradrohne würdevoll über die Wüste schwebt. Das alles, damit die dokumentarisch-bedeutungsvolle Gravitas nur etwas später der nächsten Albernheit Platz machen kann. In Salt and Fire mit der Erwartung an einen typischen Katastrophenfilm zu gehen, dürfte verbrannte Erde hinterlassen. Er ist vielmehr die abstrakte Idee eines Katastrophenfilms.

Salt and Fire

Die von Michael Shannon gespielte Figur des Riley zettelt in „Salt and Fire“ – so viel kann an dieser Stelle ruhig verraten sein – eine Entführung an, um damit eine Schuld zu begleichen, eine gute Tat dem Versagen entgegenzustellen. Werner Herzog macht es ganz ähnlich. Er vereinnahmt das Medium Film zu einem bestimmten Zweck.
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