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Im Alter von 34 Jahren hat Bridget wenig erreicht. Sie ist heilfroh, als sie als Kindermädchen der 6-jährigen Florence engagiert wird. Die Freundschaft zu dem Mädchen hilft ihr, viele Probleme zu überwinden.

Saint Frances (2019)

Eine Filmkritik von Lucas Barwenczik

Tausend Optionen für die Seligkeit

Wieder einmal ein Leben in der Schwebe, auf der Suche nach Bodenhaftung. Man hat solche in letzter Zeit oft im Kino gesehen, wohlmöglich ist das sogar die Grundform des Millennial-Films. Schier unendliche Möglichkeiten, die in ihrer Vielzahl überfordern, aber noch ungleich mehr ängstigen, wo sie verschwinden. Lebensentwürfe, die einander ausschließen, treffen auf eine halb gewollte, halb dem Zwang entspringende Flexibilität, die sich irgendwann verhärten muss. Geschichten von der Unentschlossenheit, die oft selbst unentschlossen wirken. Auch jetzt noch, wo viele Millennials nicht mehr jung sind. „Saint Francesvon Alex Thompson ist ein Film über eine kaum merkliche Schwellenerfahrung, eine verspätete Coming-of-Age-Geschichte. Und einer über die indirekte Teilnahme an einem Leben, das bald vielleicht nicht mehr offensteht.

Bridget (Kelly O’Sullivan) ist 34, und ihr Leben konfrontiert sie unentwegt mit der Tatsache, dass sie nichts von dem erreicht hat, was gesellschaftlich als Erfolg verstanden wird. Sie jobbt als Kellnerin und hat, zur großen Enttäuschung ihrer Mutter, noch keine Familie gegründet. Nachdem sie ungewollt schwanger wird, treibt sie ab – mit langanhaltenden emotionalen und physischen Folgen. Als ihr eines Tages ein Job als Kindermädchen der 6-jährigen Frances angeboten wird, nimmt sie sofort an, selbst wenn ihre erste Begegnung mit der Kleinen nicht unbedingt erfolgsversprechend verläuft. Das Kind und ihre Eltern Maya (Charin Alvarez) und Annie (Lily Mojekwu) werden bald wie eine Familie für sie. Doch auch in der vermeintlich harmonischen Ehe gibt es große Probleme.

Kelly O’Sullivan spielt nicht nur die Hauptrolle, sondern hat auch das Drehbuch verfasst. Es ist ein melancholischer Ausdruck von Zeitgenossenschaft, immer hin- und hergerissen zwischen dem Versuch, das moderne Leben zu umarmen und fortzustoßen. Der Film verweist auf viele tagespolitische Diskussionen, ohne je ein großes Bedürfnis zu haben, tiefer darin einzusteigen. Sie dienen vor allem dazu, eine Zeit zu beschreiben und die Figuren in der Welt zu verorten. Auf dem Rasen von Frances‘ Familie – ein lesbisches Paar aus einer Afroamerikanerin und einer Latina mit zwei Kindern — steht ein „Black Lives Matter“-Schild. Und das Thema Abtreibung verliert unglücklicherweise nie seinen Status als Kontroverse. Saint Frances bemüht sich definitiv, vielfältige Lebensformen zu präsentieren, ohne sie je gegeneinander auszuspielen. Selbst die spießige Fremde, die in einer Szene Maya das Füttern ihres Säuglings in der Öffentlichkeit verbieten will, wird mit Empathie geschildert. Auch mit Bridgets Bekannten aus dem Literaturstudium, die sie als Haushälterin für eine Art erbärmliche Dienerin hält, hat man eher Mitleid. Saint Frances, also Franz von Assisi, orientierte sein Leben an Jesus, fragte also auch mit der Bergpredigt: Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht? Es ist kein gänzlich wertungsfreier, aber definitiv ein wertungsarmer Film.

Daraus folgt auch, dass es kein sonderlich dramatischer ist, sondern eher einer, der die Tragik immer nur in der Bewertung von außen und innen findet. Wo jeder Pfad legitim ist, gibt es kein endgültiges Scheitern. Wenn Bridget leidet, dann unter ihrem Selbstwertgefühl, als Summe von Urteilen durch andere und sich selbst. Das macht aus Saint Frances keine übermäßig aufregende Erfahrung, die Fallhöhe ist gering. Stattdessen regiert eine Stimmung zwischen freundlichem Gleichmut und sanftem Klein-Klein. Der Film steuert nie allzu offensiv auf ein bestimmtes Ziel hin, sondern gefällt sich in der Darstellung langanhaltender Prozesse. Keine Umbrüche, sondern langsamer kontinuierlicher Wandel, Plot-Inkrementalismus. Montagen, meist zu zuckrigen Indie-Klängen, wechseln sich ab mit ausgedehnten Einzelmomenten von exemplarischem Charakter.

In der Regel bringen neue Szenen und Figuren neue Angebote für Bridget. Dieser neue mögliche Partner, jene neue Lebensart. Ihre Identität ist so brüchig und unbestimmt wie ihre Biografie, ihr Beziehungs- und ihr Berufsleben. Verantwortung zu übernehmen fällt ihr schwer, das gibt sie auch selbst gerne zu. Sie mag und will keine Kinder, eigentlich, verhütet jedoch mit der eher fragwürdigen Methode „rechtzeitig herausrausziehen“. Sie liest mit 34 zum ersten Mal Harry Potter und sagt über sich selbst, sie wäre keine eindrucksvolle Person.

Es macht durchaus Spaß dabei zuzusehen, wie sich ihre Beziehung zu der dickköpfigen Frances entwickelt. In der 6-Jährigen findet sie eine Aufgabe und eine Freundin, beide wachsen aneinander. Anfängliche Fremdheit und Distanz verschwinden, der Raum, den die Inszenierung zwischen ihnen lässt, schmilzt immer mehr zusammen. Bald trennt sie von der Rolle als Mutter fast nur noch die biologische Verwandtschaft.

Andere Beziehungen sind komplizierter: Bridget steht zwischen zwei Männern, die für zwei sehr verschiedene Formen von Männlichkeit stehen. Der 8 Jahre jüngere Jace (Max Lipchitz) ist freundlich, verständnisvoll und emotional offen. In seiner Sehnsucht nach gewaltfreier Kommunikation ist er manchmal fast anstrengend. Am anderen Seite des Spektrums steht Frances‘ Gitarrenlehrer Isaac, ein viriler Macho, der trotzdem nicht einfach nur toxisch ist, sondern durch die Darbietung von Jim True-Frost einen menschlichen Kern erhält. Interessant ist, wie der Film diese beiden Beziehungen lange aufbaut, sie dann aber nie für essenziell erklärt, sondern als Nebenschauplätze enttarnt.

Denn wenn sich wirklich etwas in Bridgets Leben verändert, dann ihr Selbstbild. Saint Frances verweist immer wieder auf gesellschaftliche Erwartungen und die Frage, wie man diese unterläuft oder sogar überwindet. Das drückt sich auch in O`Sullivans Spiel aus: Unsichere und verschämte Bewegungen weichen immer mehr eine selbstsicheren Haltung. Als Mittel gegen die manchmal schmerzliche Bewertung durch andere empfiehlt der Film vor allem ein Patentrezept: die Solidarität, vor allem unter Frauen. Die Akzeptanz eigener Unzulänglichkeiten, auch körperlicher: Perioden- und Verletzungsblut oder Inkontinenzurin fließen mehr als Trauertränen. In einer Szene nähern sich Bridget und Maya einander an — durch ihre Begeisterung für praktische Erwachsenenwindeln. Kurios, aber wohl eben auch auf eine existente Erfahrung bezogen.

Eine Stärke des Films ist, dass er keinen Lebensentwurf als großen Seligmacher überhöht. Jede Haltung kommt mit ihren Sorgen und Problemen. Natürlich wünscht man sich manchmal einen klaren Pfad, eine Entscheidung, aber da gleicht sich der Film eben seiner Figur an. Der größte Kritiker von Saint Frances wäre also wohl Franz von Assisi selbst gewesen. Denn der erklärte: „Das größte Laster ist die Verzagtheit.“

Saint Frances (2019)

Endlich hat Bridget einen bitternötigen Job als Babysitterin gefunden. Mit 34 und ohne eigene Familie oder große Karriere braucht sie dringend einen Tapetenwechsel. Das Timing könnte trotzdem nicht schlechter sein: Denn während die dickköpfige, sechsjährige Frances alle Aufmerksamkeit fordert, muss sich Bridget zusätzlich mit ihrer gerade hinter sich gebrachten Abtreibung beschäftigen – und mit den beiden Müttern von Frances, die gerade auf eine Beziehungskrise zusteuern. Trotzdem gibt es eine grundlegende Zuneigung zwischen diesen Charakteren, ein gegenseitiges Verständnis, das auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Geschlecht, mit unterschiedlichen Lebensentwürfen umfasst.  

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