Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Der Luxus erobert Russland

Es ist eine Landstraße, die Rubljovo-Uspenskoje Chaussee, die der russische Volksmund lakonisch Rubljovka nennt, und sie führt von der Metropole Moskau an ihren Peripherien vorüber dreißig Kilometer weit in das Hinterland. Es waren die schier unglaublichen, drastischen Veränderungen dieses Landstrichs seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, die den Ausschlag für das Interesse der in Russland geborenen und in Deutschland lebenden Filmemacherin Irene Langemann gaben, eine Dokumentation über die Gegend und ihre so unterschiedlichen Bewohner zu drehen, zu denen neben verarmten Familien und allerlei Prominenz auch Präsident Wladimir Putin zählt. War es schon ein zäher Kampf für die Regisseurin, die erforderlichen Genehmigungen zu erhalten, so wurde die Arbeit des Filmteams immer wieder vom russischen Sicherheitsdienst FSB, der Polizei und diversen Wachdiensten empfindlich gestört und bedroht, so dass einige der Aufnahmen insgeheim unter äußerst schwierigen Bedingungen entstanden.
Handelte es sich früher um eine leicht gemächliche Region außerhalb der Stadt, in deren Nähe schon immer auch die Reichen und Mächtigen angesiedelt waren, so hat sich die Rubljovka in diesen Zeiten des wirtschaftlich erstarkenden Landes mit einer aufstrebenden Elite neben einer neu entstehenden Armut zu einer strengstens gesicherten, begehrten Zone für zahlreiche zahlende Prunksüchtige entwickelt. Die Grundstrückspreise entlang der Straße, auf der Putin für niemanden sichtbar seinen Weg zum Regierungssitz nach Moskau nimmt, sind in schwindelnde Dimensionen gestiegen, so dass unweit der bescheidenen Behausungen der alteingesessenen ländlichen Bevölkerung, die mit rücksichtslosen Methoden zum Verlassen des Gebiets gedrängt werden soll, architektonische Monstrositäten entstehen, die mal an märchenhafte Einfältigkeiten, mal an stilistische Albträume erinnern, in jedem Fall aber lärmend Luxus zur Schau stellen.

Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit porträtiert eine Gegend, die sich in unmittelbarer Nähe des Machtzentrums Moskau zu einer abgeschotteten Oase für millionenschwere (Neu-)Reiche erhoben hat, innerhalb welcher eine Minderheit einfacher Leute um ein karges Überleben kämpfen muss, kaum mehr geduldet in ihrem schlichten Zuhause. Für Regisseurin Irene Langemann stellt dies ein signifikantes Sinnbild einer allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklung im heutigen Russland dar, wobei ihr die auf der Rubljovka gespenstisch vorüberrasende Putin-Eskorte wie ein Symbol aus feudalistischen Zeiten erscheint – eine unumwundene Kritik an der Regierungspraxis des russischen Präsidenten, die in der Dokumentation mitschwingt.

Ist Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit auch unvermeidbar ein politischer und auch mitunter engagiert polemisierender Film, so richtet sich der Fokus doch auf das alltägliche Leben, dessen Umstände und vor allem auf seine Menschen an der berühmten Chaussee, die nicht für alle tatsächlich Glückseligkeit bedeutet, wenn diese denn mit Reichtum und Macht assoziiert werden kann. Der Zuschauer begegnet einem erfolgreichen Grundstücksmakler ebenso wie einer alten Frau, die ihre knappe Pension mit Holzarbeiten aufbessert, einer luxuriösen Pelzhändlerin und einem wachen Zwölfjährigen mit erstaunlichem politischem Bewusstsein sowie dem berühmten Musiker Mstislaw Rostropowitsch, der seine ganz eigenen Erfahrungen mit den Wechselfällen der russischen Geschichte gemacht hat.

Neben der Präsenz der Bilder war es vor allem der Ton der Dokumentation, auf den die Regisseurin ein besonderes Augenmerk legte. Die ungewöhnliche, eingängige Filmmusik schrieb übrigens Michael Langemann, der Sohn der Filmemacherin, der Komposition an der Columbia University in New York studiert. Um die dämonisch anmutende Atmosphäre der Rubljovka hervorzuheben, dachte Langemann an eine Komposition aus Musik und Sequenzen von Geräuschen der Straße, was sich als passender Kunstgriff erwies, der die ebenso exklusive wie bedrohliche Stimmung dieses Mikrouniversums eindringlich transportiert.

Rubljovka – Straße zur Glückseligkeit

Es ist eine Landstraße, die Rubljovo-Uspenskoje Chaussee, die der russische Volksmund lakonisch Rubljovka nennt, und sie führt von der Metropole Moskau an ihren Peripherien vorüber dreißig Kilometer weit in das Hinterland.
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Meinungen

· 10.03.2008

Wann kommt dieser Film endlich nach Bonn in eines der Programmkinos? Ich habe die Vorschau im Fernsehen gesehen und bin neben vielen anderen sehr interessiert ihn zu sehen. Mfg Helmi Stolz

Klaus Brenner · 30.11.2007

Auf dem Filmfest München hat mich dieser wunderbar künstlerisch verwobene Film, dieses rhythmisierte Erleben der russischen Realität fasziniert. Je länger der Film läuft, desto mehr stehen die Nackenhaare zu Berge. Solche poetischen politischen Filme braucht das Land.