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Mythos Rosa Luxemburg (1871-1919). Um 1900 avancierte sie mit poetischer Sprachgewalt und ausgeprägtem Politikbewusstsein zur strahlenden Heilsbringerin der deutschen Arbeiterbewegung. Margarethe von Trotta hatte ihr Leben 1986 kongenial verfilmt. Wie wirkt ihr Cannes-Erfolg heute?

Rosa Luxemburg (1986)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Rosa Rot

Eigentlich hätte Rainer Werner Fassbinder bei „Rosa Luxemburg“ Regie führen sollen. Es kam ihm allerdings etwas dazwischen: sein Tod. Als man „das Herz des Neuen Deutschen Films“ (Wolfram Schütte) am 10. Juni 1982 leblos in seiner Wohnung in der Münchner Clemensstraße fand, lagen das Drehbuch von Peter Märthesheimer und Pea Fröhlich sowie weitere Notizen zu diesem geplanten Großprojekt auf seinem Bauch. Jane Fonda hatte bereits für die Titelrolle zugesagt und auch sonst hätte zumindest auf dem Papier alles gestimmt: Eine starke Frauenfigur, ein spannendes Stück deutscher Zeitgeschichte und dazu die unvergleichlich melodramatisch-manierierte Regiehandschrift Fassbinders. Was hätte das für ein großartiger Spielfilm werden können!

Ist er drei Jahre später dann auch geworden. Nur eben unter völlig anderen Umständen, wie sich auch Margarethe von Trotta im sehenswerten Bonusmaterial von Rosa Luxemburg erinnert. Nachdem sie damals schon länger mit dem Gedanken gespielt hatte, Rosa Luxemburgs aufregendes Leben zu verfilmen, sich aber noch nicht reif genug dafür fühlte, das Ganze künstlerisch-kreativ in die Tat umzusetzen, lag es letzten Endes am Impetus des Produzenten Hanns Eckelkamp, sich unmittelbar nach Fassbinders Tod konkreter mit der Ausarbeitung dieser Filmidee zu befassen. Zwei Jahre investierte von Trotta anschließend in Recherche, Besetzung und Drehbuch, ehe tatsächlich die erste Klappe in der damaligen Tschechoslowakei fiel, wo viele Szenen in Prag und Karlovy Vary entstanden.

Ihr Cannes-Erfolg von 1986, der seiner famosen Hauptdarstellerin – und Fassbinder-Muse – Barbara Sukowa (Berlin Alexanderplatz, Lola) den Darstellerinnenpreis an der Croisette  einbrachte, liegt nun zum laufenden Rosa-Luxemburg-Jahr digital restauriert in einer überzeugenden 4K-Fassung als „Special Editon“ (wahlweise als Blu-ray oder DVD ) vor.

Barbara Sukowa war nicht einmal die erste Wahl von Trottas für den titelgebenden Hauptpart, was im Rückblick sicherlich erstaunen mag und worauf auch Sukowa selbst im beigefügten Interview in einem kurzen O-Ton süffisant-beiläufig eingeht. Denn wer denkt heute bei dem Namen Rosa Luxemburg nicht automatisch  an die opulenten Tableaueinstellungen des Kameramanns Franz Raths sowie das kurzzeitige Glühen in den meist traurigen Augen Sukowas, wenn sie vor hunderten Genossen eine ihrer Brandreden hält, die in der Konsequenz schließlich 1919 zu ihrer Ermordung geführt haben?

Nicht minder gelungen sind die überwiegend kammerspielartig inszenierten Gefängnis- und Verhörszenen, die von Trottas Meisterstück (u.a. Deutscher Filmpreis 1986 für den besten Spielfilm und die beste Schauspielerin) wie ein Mosaik strukturieren und in denen Barbara Sukowa als ebenso beachtete wie geachtete moderne Frau der Jahrhundertwende ihr ganzes schauspielerisches Können eindrucksvoll unter Beweis stellt. Auch bei einer Neusichtung 2019 hat dieser Klassiker des Neuen Deutschen Films keineswegs filmhistorischen Staub angesetzt. Im Gegenteil: Gerade in Zeiten internationaler #MeToo-Debatten und dem steten Gefühl, dass sich an der generellen Ungerechtigkeit in punkto Reichtum und Ressourcenverteilung seit Luxemburgs blutigem Tod in vielen Teilen der Welt nicht unbedingt etwas zum Positiven verändert hat, ist von Trottas sensible Porträtstudie einer frühzeitig unabhängigen, hoch gebildeten und radikal selbstständig agierenden Frau im klassisch männerdominierten Parteienbetrieb höchst aufschlussreich.

Unterstützt durch Spitzenleistungen in den Gewerken Filmmusik (Nicolas Economou) und Tonmischung (Milan Bor) sowie in der fabelhaften Ausstattung Bernd Lepels agiert Barbara Sukowa souverän innerhalb eines erstklassiges Casts, zu dem obendrein europäische Größen wie Daniel Olbrychski (als Leo Jogiches) und Otto Sander in der Rolle Karl Liebknechts zählen. Mit Rosa Luxemburg ist Margarethe von Trotta Mitte der 1980er Jahre ein großer filmischer Wurf gelungen, der gerade in seiner dramaturgischen Konzentration auf die private wie politische Seite der legendenumwobenen Pazifistin und Sozialrevolutionärin sowohl bei der Kritik wie beim Kinopublikum reüssieren konnte. Ergänzt durch sehenswertes, partiell eingeschnittenes Dokumentarfilmmaterial und mit einem guten Gespür für den gesellschaftspolitischen Geist der endenden Wilhelminischen Ära innerhalb des Drehbuchs, das ebenfalls von Margarethe von Trotta stammt, hatte sich die vielfach prämierte Filmemacherin mit Rosa Luxemburg auch selbst frühzeitig ein filmisches Denkmal besetzt. Denn ihrem Film gelingt das Kunststück, vollkommen persönlich-emanzipatorisch und total politisch zu sein, wodurch diese Rosa-Luxemburg-Interpretation absolut zeitlos geblieben ist.

Rosa Luxemburg (1986)

Anfang des 20. Jahrhunderts avanciert Rosa Luxemburg zur populärsten Verfechterin eines humanen Sozialismus und Symbolfigur der Arbeiterbewegung. Nach dem Zerwürfnis mit der SPD bleiben ihr einzig Clara Zetkin und Karl Liebknecht als Mitstreiter. Prozesse, Gefängnisaufenthalte und politische Unruhen prägen ihre letzten Lebensjahre. Am 15. Januar 1919 werden die KPD-Begründer Luxemburg und Liebknecht ermordet, doch ihre Werte haben noch heute eine ungebrochene Aktualität. 

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