Reise nach Indien

Eine Filmkritik von Mike Swain

East Meets West

Mitte der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts reist Mrs. Moore (Peggy Ashcroft) mit ihrer Reisebegleitung Adela Quested (Judy Davis) nach Indien, um dort ihren Sohn Ronny (Nigel Havers), der Adela zu heiraten beabsichtigt, zu besuchen. Kaum angekommen, erliegen die beiden Frauen der Faszination des indischen Subkontinents, schier überwältigend wirkt auf sie die Farbenpracht, Vitalität und Sensualität des Orients. Verständnislos reagiert das weibliche Gespann allerdings auf die Ablehnung und den offensichtlichen Rassismus, den die britischen Kolonialherren gegenüber der indischen Bevölkerung hegen. Erstaunt muss Mrs. Moore feststellen, dass ihr geliebter Sohn, jetzt Friedensrichter von Chandrapore, sich zu einem sturen konservativen Beamten entwickelt hat, der Indern gegenüber voller Vorurteile ist – so wie der Rest der vor Ort lebenden Briten auch.
Mrs. Moore freundet sich mit dem indischen Arzt Dr. Aziz (Victor Banerjee) an, den sie zufällig in einer Moschee kennen gelernt hat. Aziz, Witwer und Vater von drei Kindern, ist zu beschämt Mrs. Moore und Adela in sein bescheidenes Heim einzuladen. Er schlägt ein Picknick an der einzigen nahe gelegenen Sehenswürdigkeit Chandrapores, den Marabar Höhlen, vor. Mit Hilfe seiner Freunde plant Aziz den Ausflug akribisch — selbst ein Elefant darf nicht fehlen. Doch die Fahrt ins Grüne endet in einer Katastrophe, als Aziz und Adela alleine aufsteigen, um die Höhlen zu besichtigen. Adela wird verwirrt und blutüberströmt aufgefunden und Aziz der Vergewaltigung angeklagt. Alle Vorurteile der angelsächsischen Kolonialmacht scheinen sich zu bestätigen. Doch was wirklich in den Höhlen geschah, weiß niemand. Der anschließende Prozess entwickelt sich zu einem Politikum…

Der Meister der epischen Verfilmungen, der britische Regisseur David Lean (Doktor Schiwago, Lawrence von Arabien), machte aus der Romanvorlage des Schriftstellers E. M. Forster ein opulentes und packendes Drama. Das dabei ein Teil der Vielschichtigkeit der Buchvorlage verloren ging, mag schlicht am Medium Film liegen. David Lean konzentrierte sich fast vollständig auf die Verurteilung des Kolonialismus und seiner Auswüchse sowie auf die Darstellung der Gegensätze aber auch Gemeinsamkeiten von Ost und West, symbolisiert durch Dr. Aziz und Mrs. Moore.

Wenn es an Reise nach Indien überhaupt etwas zu bemängeln gibt, dann ist es der Auftritt der Schauspiel-Ikone Alec Guiness, dessen Darstellung des Brahmanen und Gelehrten Professor Godbole eher an eine Karikatur gemahnt. Auch David Lean selbst schien dieser Meinung zu sein, denn in der Endfassung des Films entfernte er Szenen mit Sir Alec, wo es nur eben möglich war. So endete die langjährige Freundschaft zwischen Filmstar und Starregisseur.

Farbenprächtig und aufwändig inszeniert, erwies sich David Lean auch in seinem letzten Film als ein Meister der wirklich „großen“ Bilder und Gefühle. Meisterlich gelingt es Lean den Kontrast zwischen vitaler und praller Exotik und pseudo-viktorianischer Spröde in Bilder zu fassen, die den Betrachter nicht mehr loslassen. Getrieben von einem hervorragenden Cast, allen voran der glutäugige Victor Banerjee, ist Reise nach Indien ein nachdenklich stimmendes und spannendes Filmvergnügen, das trotz einer Länge von fast drei Stunden niemals verflacht.

Reise nach Indien

Mitte der 20er Jahre des vergangenen Jahrhunderts reist Mrs. Moore (Peggy Ashcroft) mit ihrer Reisebegleitung Adela Quested (Judy Davis) nach Indien, um dort ihren Sohn Ronny (Nigel Havers), der Adela zu heiraten beabsichtigt, zu besuchen.
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