Red Rock West (1993)

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Vielschichtige, fulminante Verführungen

Jene Filme, die während ihrer Sichtung bereits früh dazu verführen, den Zuschauer emotional zu beteiligen, sich unbewusst mit dem Helden zu verbünden und angesichts der Entwicklungen in engagierte Eingriffsimpulse zu verfallen, sind meistens von ganz besonderer atmosphärischer Stimmigkeit und Qualität. Im Falle von Red Rock West verbreitet sich dieses Flair von Finesse unmerklich innerhalb einer entschleunigten Einführung einer unprätentiös erscheinenden Figur, die ganz allmählich – von zunächst dezenten, zunehmend zähen Andeutungen flankiert – in eine entscheidend bedeutsame Lebenssituation gerät.

Es ist erstaunlich, welch starke Identifizierungsinvitation Nicolas Cage als Michael Williams gleich zu Beginn der Geschichte ausstrahlt, obwohl die Informationen über ihn spärlich dosiert sind und einige Wendungen benötigen, bis sie im Kontext mit den Ereignissen kurz aufblitzen. Dieser Mann benötigt keine explizite Selbstdarstellung, denn sein pures Handeln definiert eingangs seine Haltungen und seinen Charakter jenseits von moralischer Geschwätzigkeit und Behauptungstendenzen, wobei er sich dennoch permanent in den kleinen wie großen (Ver-)Lockungen der menschlichen Unzulänglichkeit zeigt. Pessimistischer betrachtet könnte man diese durchaus charmante Coolness auch als jene eines Mannes interpretieren, der angesichts lang- und kurzfristiger Missstände in seinem Leben bemüht ist, seine Fassung und Fasson zu bewahren.

Der Film beginnt mit einer scheinbar banalen Geruhsamkeit, die sich später als eine Stille vor dem noch verborgenen Sturm ausnimmt, dessen Ankunft nicht etwa plötzlich hereinbricht, sondern sich an einer Reihe von kleinen, feinen Zufällen entlanghangelt: Offenbar hat Michael in seinem abgetakelten Wagen übernachtet und insgesamt eine lange Fahrt hinter sich, als er sich an diesem Morgen recht träge auf den Weg zu einer Baustelle begibt, wo er sich, auf Vermittlung eines alten Freundes, einen Job erhofft. Die von milder Schwermut flankierte Gelassenheit, mit der er sich in Roadmovie-Manier ankleidet, um recht widerwillig in den Kontext der gewöhnlichen Gesellschaft einzutreten, weist ihn als Einzelgänger aus, der wohl gern einer bleiben würde. Als seien die Formalitäten tatsächlich nur eine Formsache, wie sein Freund versichert, gibt Michael im Einstellungsformular offen seine Beinbehinderung an, mit der Konsequenz, nicht engagiert zu werden. Mit kaum hundert Dollar in der Tasche und etliche Meilen von Texas entfernt, dessen Kennung sein Nummernschild trägt, ist Michael in der öden Gegend von Wyoming wieder auf der Straße.

Bevor Michael die Kleinstadt Red Rock erreicht und sich dort eine drastische Wende für ihn ereignet, indem er die letztlich verfluchte Chance erhält, die Position einer fremden Person einzunehmen, mit der er verwechselt wird, bringen vermeintlich flüchtige Begegnungen unterwegs seine moralische Haltung zum Ausdruck: Trotz Notlage folgt er seinem aufrichtigen Verhaltenskodex angesichts vorüberziehender Versuchungen, während der Zuschauer sich fragt, wo die Grenzen seiner sichtbaren Widerstandsfähigkeit verlaufen. Als Michael schließlich in einer Bar in Red Rock augenscheinlich angesichts einer satten Summe schwach wird, bedeutet dies noch keineswegs seinen sittlichen Verfall, hält er sich doch vorerst alle Optionen offen. Aber nun ist er in den Sog der undurchschaubaren Verhältnisse und Verstrickungen eingetreten, den er so leicht nicht mehr verlassen kann …

Red Rock West ist auch die Geschichte eines trübe vagabundierenden Mannes, der irrtümlicherweise für einen Auftragskiller gehalten wird, um die aparte, doch untreue Frau des ausgefuchsten Wayne Brown (J. T. Walsh) zu beseitigen. Doch Suzanne (Lara Flynn Boyle), der er die Pläne ihres Gatten schlichtweg unterbreitet, will ihn nun ihrerseits engagieren, um für die doppelte Gage Wayne zu töten. Dabei spielt eine gewisse Anziehung zwischen Suzanne und Michael keine geringe Rolle, doch ist der texanische Kriegsversehrte nicht so einfach zu korrumpieren. Als schließlich der wahre Killer (übelst überzeugend: Dennis Hopper) nahe Red Rock auftaucht und ausgerechnet zuerst auf Michael trifft, für den er bald eine gewisse Sympathie verspürt, gibt es kein Entrinnen mehr für den einstigen Soldaten, obwohl er bereits mehr als ein Mal das Ortausgangsschild des Städtchens passiert hat …

Vom fesselnden, fulminant inszenierten Stoff über die pralle atmosphärische Konsistenz und die komplexen, unaufgeregt künstlerisch verkörperten Charaktere bis hin zur formalen Konstellation zwischen Roadmovie, Thriller und unwiderstehlichem, modernem Düster-Streifen in der zerstückelten Tradition des Film noir fasziniert Red Rock West auf allen Ebenen, die sich wiederum durch eine grandiose Vielschichtigkeit auszeichnen. Die brodelnden Beziehungen der Protagonisten untereinander bilden eine weitere Spannung am Rande philosophisch-psychologischer Abgründe, wobei die Brüder John und Rick Dahl beim Verfassen des Drehbuchs wohlweislich auf nahe liegende Überzeichnungen verzichtet haben, nicht ohne eine geradezu beiläufige Schlichtheit und Schicksalshaftigkeit üppig blühen zu lassen.

In der zeitlichen Mitte der so bezeichneten Neo-Noir-Trilogie von Regisseur John Dahl mit dem Auftakt Kill Me Again (1989) und dem Ausklang Die letzte Verführung / The Last Seduction (1994) eingebettet, verlockt Red Rock West von 1993 dazu, unbedingt seine beiden Umgebungsfilme anzuschauen, um tiefer in die Thematik einzutauchen – oder aber die schillernde Scheibe von Concorde Entertainment erneut einzulegen, um dieses Filmerlebnis sozusagen im wissenden Retrospektivmodus zu wiederholen und diesen nonchalanten bis angespannten Nicoals Cage wiederum mit einem seiner filigransten Filmauftritte zu zelebrieren.
 

Red Rock West (1993)

Jene Filme, die während ihrer Sichtung bereits früh dazu verführen, den Zuschauer emotional zu beteiligen, sich unbewusst mit dem Helden zu verbünden und angesichts der Entwicklungen in engagierte Eingriffsimpulse zu verfallen, sind meistens von ganz besonderer atmosphärischer Stimmigkeit und Qualität.

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