Reality XL

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Ist die Realität nur ein Traum?

Tom Bohn verdient großen Respekt für seinen Mut, mit eigenem Buch und eigenem Geld einfach loszuziehen und diesen Film zu machen – ganz bewusst ohne Sender-Unterstützung, ohne Filmförderung, ohne Verleih. Trotzdem konnte der Tatort-erprobte Regisseur für Reality XL ein professionelles Team hinter der Kamera versammeln und bekannte Gesichter wie Heiner Lauterbach und Max Tidof vor die Linse locken. Alle Beteiligten arbeiteten „auf Rückstellung“, was bedeutet: ohne Gage. Geld gibt es erst dann, wenn der Film Gewinn macht. Wenn.
Bei seinem Start in ausgewählten Kinos konnte der Film das Publikum nicht überzeugen. Aber: Das breite Publikum will der Film auch gar nicht überzeugen, denn dazu ist der Mystery-Thriller thematisch zu speziell und formell zu konsequent. Was ihn zu einem durchaus sehenswerten Genre-Film für den DVD-Abend macht – wenn man Lust auf Mindfuck hat. Sprich: wenn man gerne sein Hirn anstrengt, wenn man ein Faible für Gedankenspiele und Freude an plot-twists hat, die einen immer wieder dazu zwingen, sich im Gesehenen neu zu orientieren. Und wenn man nicht gleich abschaltet, wenn es um Realitätswahrnehmung und Quantenphysik, Doppelspaltexperiment und Teilchenbeschleuniger geht.

Wer also Mindbender wie Alejandro Amenábars Öffne die Augen, Inception oder Shutter Island mag (und dabei nicht nur durch die Schauwerte, sondern vor allem durch das filmische Spiel mit der Realität fasziniert war), der kann es durchaus auch mal mit Reality XL versuchen.

Allzu viel über die Handlung soll hier nicht verraten werden, um keinen plot-twist vorwegzunehmen, schließlich besteht ein Großteil des Reizes bei einem Mindfuck an den überraschenden Verschiebungen filmischer Realität, mit denen die Handlung aufwartet. Also hier nur soviel: Der Physiker Carus (Heiner Lauterbach) wird an einem unbekannten Ort von zwei Vertretern der Schweizer Staatsanwaltschaft (Max Tidorf und Greta Brendl) vernommen. Anwesend ist ansonsten nur noch ein Protokollant namens Antoine (Godehard Giese), der alles, was während des Verhörs geschieht und gesprochen wird, in einen altertümlichen Computer hackt. Die Vernehmer verhalten sich undurchschaubar, die Atmosphäre ist merkwürdig, noch merkwürdiger ist das Ereignis, das hier aufgeklärt werden soll: 23 Wissenschaftler sind spurlos verschwunden. Professor Carus war mit ihnen bei der Arbeit im Kontrollraum des Teilchenbeschleunigers LHC, nach der gemeinsamen Nachtschicht war er der einzige, der den Raum wieder verließ. Was ist vorgefallen? Von Anfang an weiß der Zuschauer nicht recht, woran er ist, welcher der Protagonisten ist vertrauenswürdig, wer treibt hier ein Spiel mit wem – und warum.

Das Ringen um die Realität findet durchweg als Kammerspiel statt. In ihrer kühlen Optik und beklemmenden Anmutung wirken die gesamten 79 Filmminuten von Reality XL ein wenig wie jene Dialog-lastigen Szenen aus Öffne die Augen, in denen der Protagonist und der Psychiater nach einer Erklärung suchen. Auch bei Tom Bohn wird viel geredet und manchem Dialog merkt man dabei an, dass die Szenen in nur 15 Tagen im Kasten sein mussten. Trotzdem ist dieser echte Independent-Film solide und gut gemacht, entwickelt teilweise sogar kafkaesk anmutende Momente und beweist auch einen absurden Sinn für Humor. Das Score pocht in der musikalischen Untermalung unüberhörbar darauf, dass es sich um einen Mystery-Thriller handelt, was aber legitim ist, denn Bohns Film steht in seiner ganzen Inszenierung selbstbewusst dazu, ein Genre-Film zu sein – und als solcher ist er dramaturgisch und visuell stimmig und sehenswert.

Reality XL – Realität ist ein Traum ist ein puristischer Mindfuck made in Germany, der sich mit seiner Story allerdings auch der Gefahr aussetzt, dass er Zuschauern mit ausgeprägter Mindfuck-Erfahrung viel zu straight und vorhersehbar daherkommt. Warum man trotz des akuten Risikos, den eingefleischten Genre-Freund zu unterfordern oder gar zu langweilen, den Film ausgerechnet mit einem derart verspoilerten Untertitel verkauft, bleibt allerdings ein Rätsel.

Reality XL

Am 13. Januar 2011 betreten 24 Wissenschaftler den Kontrollraum des Teilchenbeschleunigers CERN. Nach der Nachtschicht, die am 14. Januar 2011 um 6.00 Uhr früh endet, kommt jedoch nur ein Wissenschaftler wieder aus dem Kontrollraum heraus. Die anderen 23 sind spurlos verschwunden. Die Polizei übernimmt die Ermittlungen und eine unglaubliche Geschichte nimmt ihren Anfang.
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