Quelques heures de printemps

Eine Filmkritik von Festivalkritik Locarno 2012 von Beatrice Behn

Der leise Abschied

Das Sterben in Würde ist eines der großen Themen dieses Kinojahres und Stephane Brizé (Mademoiselle Chambon, Man muss mich nicht lieben), das stille Wunderkind des französischen Arthouse-Kinos, hat nun ebenfalls einen filmischen Beitrag zum Thema geleistet, der dem viel gelobten und mit höchsten Ehren ausgezeichneten Beitrag Liebe von Michael Haneke in keiner Weise nachsteht.
Quelques heures de printemps beginnt mit der Geschichte Alain Evrards (Vincent Lindon), der nach 18 Monaten aus der Haft entlassen wird und mangels Alternativen bei seiner Mutter Yvette (Hélènne Vincent) unterkommen muss. Beide sind starrköpfig, eigensinnig und von eindeutig brummiger Wesensart. Ihr Verhältnis ist eher schwierig und wird von Alltagsriten beherrscht, vor allem vom Essen. Es wird unglaublich viel an Tischen gesessen und gegessen in diesem Film. Es gibt nur eines, was noch gehäufter auftritt — und das ist Schweigen. Doch ein Thema drängt sich bald auf und muss besprochen werden, ob die beiden wollen oder nicht: Yvette hat Metastasen im Gehirn und wird bald sterben. Diesen Umstand hielt sie nicht für erwähnenswert, auch nicht ihre Bemühungen, in der Schweiz die Möglichkeit zum erlaubten Freitod zu wählen. Dies erfährt ihr Sohn erst nebenbei.

In der ersten Hälfte des Filmes möchte man Alain und Yvette am liebsten packen und mit den Dickschädeln gegeneinander schlagen — so unsympathisch sind sie einem. Ihr Verhalten erinnert ein bisschen an einen Familiennachmittag mit Torte bei Opa, der, so er überhaupt mal was zu sagen hat, alles und jeden nur scheiße findet. Brizé lässt sich viel Zeit, seine beiden misanthropischen Hauptakteure vorzustellen, die nur durch kleine Gesten und Augenblicke ihr eigentlich reiches Innenleben verraten. Dies tut er jedoch so geschickt, dass man — ob man will oder nicht — alsbald eine Bindung mit ihnen eingeht, die einen im zweiten Teil des Filmes die emotionale Wucht der Ereignisse umso direkter spüren lässt. Alain und Yvette haben keine Zeit mehr sich zu finden und den anderen endlich am eigenen Leben teilhaben zu lassen. Da sitzen sie: Zwei Menschen, die an Bild- und Tonstörung leiden, die einfach nicht wissen, wie man an den anderen rankommen soll. Und es stellt sich die Frage, ob sie es vor Yvettes Tod überhaupt noch schaffen. Die Zeit rinnt ihnen durch die Finger, während beide verbohrt die administrativen Bestandteile des Sterbens bearbeiten und die emotionalen Komponenten hinwegzuschweigen versuchen.

Es ist vor allem die Langsamkeit und Stille, die Quelques heures de printemps seine Stärke verleihen. Es gibt kein lautes Lamentieren, die Stille wird zum dritten Protagonisten und füllt sich mit Liebe, Trauer und Verzweiflung. Dem leisen Abschied Yvettes von ihrem sprachlosen Leben zuzusehen, ist ein hartes Stück Emotionsarbeit, welches den Zuschauer im Nachhinein nochmals ausführlich über sein eigenes Leben nachdenken lässt.

(Festivalkritik Locarno 2012 von Beatrice Behn)

Quelques heures de printemps

Das Sterben in Würde ist eines der großen Themen dieses Kinojahres und Stephane Brizé („Mademoiselle Chambon“, „Man muss mich nicht lieben“), das stille Wunderkind des französischen Arthouse-Kinos, hat nun ebenfalls einen filmischen Beitrag zum Thema geleistet, der dem viel gelobten und mit höchsten Ehren ausgezeichneten Beitrag „Liebe“ von Michael Haneke in keiner Weise nachsteht.
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