Log Line

Mit „Puzzle“ wurde Marc Turtletaub eine wundervoll geschriebene Geschichte angeboten, die er verfilmen musste. Zusammen mit Hauptdarstellerin Kelly MacDonald hat er einen bezaubernden Film gedreht, der berührt und unterhält. So soll Kino sein.

Puzzle (2018)

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Mit 1000 Puzzle-Teilen in die Welt

Schon die ersten Szenen sprechen Bände: Das Leben von Agnes ist dunkel und trist. Die Frau ist um die 40 und hat ein anständiges Leben – sie hat einen Mann und zwei fast erwachsene Söhne, das Haus ist stets ordentlich und staubkornfrei, der Haushalt organisiert, der Kühlschrank voll, nebenbei engagiert sich Agnes in der christlichen Gemeinde. Sie mag zufrieden sein, aber glücklich ist sie nicht. Und davon erzählen die Bildgestaltung und die Dominanz der Farben Braun und Grau schon in den ersten Filmminuten von „Puzzle“.

Eigentlich ist es ihr Geburtstag: Agnes (Kelly MacDonald) putzt das Haus für eine Party heraus und bereitet alles vor; feiern tun dann aber alle anderen, während sie allein das Essen auftischt, das schmutzige Geschirr abräumt und sich gar selbst die Kerzen auf dem selbstgebackenen Kuchen anzündet. Als sie am nächsten Morgen die Geschenke auspackt, sind ein Puzzle und ein iPhone dabei. Mit letzterem kann sie nichts anfangen, weil sie es nicht mag, „einen kleinen Roboter in der Tasche mit sich herumzutragen“. Das Puzzle aber zieht sie auf unerklärliche Weise in seinen Bann. Sie packt es aus, fängt an und merkt: Puzzeln macht ihr Spaß, und sie ist gar richtig gut darin.

Mit dem Puzzle beginnt Agnes aber nicht nur ein neues Hobby, sondern tritt sie ihren Weg an in die Selbstbestimmung. Über das Puzzeln vergisst sie, den Tisch zu decken, das Abendessen zu kochen, einzukaufen. Zunächst hat sie ein schlechtes Gewissen und entschuldigt sich, aber nach und nach erkennt sie, dass sie auch das Recht auf Spaß hat, auf Können, auf Romantik, auf das Treffen von Entscheidungen. Ganz zu Verwunderung und Ärger ihres Mannes Louie (David Denman), der offensichtlich und mit vollem Selbstverständnis der Mann im Hause sein will.

Heimlich steigt Agnes in den Zug und fährt nach New York in ein Puzzle-Geschäft – sich ein Puzzle online zu bestellen, liegt ihr wohl ebenso fern wie ein Smartphone, Google oder ihr Traum, irgendwann einmal nach Montreal zu reisen. Sie fährt also – nach vielen Jahren das erste Mal – nach New York, kauft sich gleich zwei neue Puzzles und nimmt die Telefonnummer eines Inserenten mit, der einen Puzzle-Partner sucht. Agnes ist neugierig geworden auf die Welt und traut sich immer weiter aus dem ihr bekannten Radius heraus. Sie holt das neue Telefon heraus, schreibt dem Hobby-Puzzler eine SMS und bekommt umgehend Antwort. Erneut fährt Agnes nach New York, stellt sich bei Robert (Irrfan Khan) vor und trifft sich fortan regelmäßig – und ebenfalls heimlich – mit ihm zum Puzzle-Training, denn Robert will den nationalen Puzzle-Wettbewerb gewinnen.

Die wöchentlichen Puzzle-Treffen tun Agnes gut und öffnen ihr die Augen: Nicht nur, dass sie beim Puzzeln macht, was sie mag und worin sie gut ist, sie lernt durch Robert eine andere Sichtweise auf die Welt, eine andere Kultur, ein anderes Leben kennen, das so fern ist von dem, was sie aus ihrem Dasein im idyllischen Connecticut kennt. Eigentlich mag Agnes ja ihr bescheidenes und beschauliches Leben als Mutter, Ehefrau und Katholikin, ihr fehlt es, so meint sie in ihrer Unschuldigkeit, an nichts, aber sie kennt auch nichts außerhalb von Haus und Kirche. Das wird ihr plötzlich bewusst und dann noch einmal schmerzhaft vorgeführt, als sie die Hochschul-Bewerbung ihres Sohnes liest. Aber da ist sie schon längst dabei, sich zu ändern und ihrem Leben neue Impulse zu geben. Ebenso bedächtig, wie Agnes ein 1000er-Puzzle Teil für Teil zusammensetzt, beginnt sie schrittweise das plötzliche Chaos in ihrem Kopf zu kontrollieren.

Puzzle erzählt eine durchaus klassische Geschichte: Es ist die Emanzipationsgeschichte einer Frau in ihren Vierzigern, die bisweilen vorsehbar und mit einer konventionellen Dramaturgie versehen ist. Und dennoch ist sie ungewöhnlich berührend: Dies mag zu einem großen Teil an der großartigen Hauptdarstellerin Kelly MacDonald liegen, die Agnes mit voller Überzeugung und Feinsinn verkörpert. Darüber hinaus ist der Film aber auch recht stimmig: Bildgestaltung, Musik und Dialoge wirken harmonisch zusammen, so dass man so manchen unglaubwürdigen Plot Twist verzeihen mag. 

Puzzle (2018)

Agnes lebt ihr Dasein als Hausfrau und Mutter im spießeridyllischen Connecticut ohne Klagen und ohne größere Ambitionen. Doch zum Geburtstag in diesem Jahr bekommt sie nicht nur den selbstgebackenen und eigenhändig servierten Kuchen: Ein tausendteiliges Puzzle setzt Agnes in Windeseile zusammen. So erwacht eine neue Leidenschaft in ihr, die ein bisschen zu tun hat mit vorgestanzten Pappstücken und noch sehr viel mehr mit Selbstbestimmung und der Suche nach – auch romantischer – Erfüllung im Leben.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen