The Prize

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Sieben Jahre ist das Mädchen erst alt und doch trägt sie bereits eine schwere Last mit sich herum. Als Tochter von Gegnern der argentinischen Militärjunta lebt „Cecilia“ (Paula Galinelli Hertzog) mit falschem Namen gemeinsam mit ihrer Mutter in einer ärmlichen Hütte an einem wenig einladenden Strand irgendwo in Argentinien. Immer wieder übt Cecilias Mutter (Laura Agorreca) mit ihrer Tochter wie in einem bizarren Ritual die Sätze ein, die das Kind sagen darf: „Mein Vater verkauft Vorhänge in Buenos Aires, meine Mutter ist Hausfrau.“ Die Wahrheit sieht natürlich ganz anders aus – offensichtlich ist Cecilias Vater untergetaucht oder befindet sich in der Hand der Junta, während der Rest der Familie zu einem Leben im Untergrund gezwungen ist.
Doch auch in der Illegalität muss das Leben weitergehen. Und so besucht Cecilia eines Tages die nahe gelegene Schule, um dort zumindest nach außen das Leben eines ganz normalen Mädchens ihres Alters zu führen. Der Spagat zwischen der alltäglichen Lüge um die eigene Herkunft und das Aufrechterhalten der Fassade fordert von dem Mädchen alle Aufmerksamkeit ab – obwohl sie eigentlich, so meint man zu spüren, den Ernst der Lage nicht richtig erfasst, sich über die Tragweite ihres Handelns nicht richtig bewusst wird. Das wird besonders augenfällig, als die Armee einen Aufsatz- und Malwettbewerb an den Schulen veranstaltet, der wohl auch dazu dienen soll, die Regimetreue und Ergebenheit der Kinder zu testen. Die Schüler sollen eine Ode an die glorreiche Armee und ein Loblied auf die Flagge des Landes verfassen – und Cecilia schreibt, was sie wirklich denkt beziehungsweise was sie von ihren Eltern aufgeschnappt hat. „Soldaten sind verrückt“, schreibt das Mädchen und fährt fort mit „Die Armee hat meinen Cousin getötet.“ Als sie der Mutter von ihrem Aufsatz berichtet, gerät diese in Panik und Todesangst und wendet sich bei Nacht und Nebel an die Lehrerin Cecilias (Viviana Suraniti), in deren Haus sich die Aufsätze noch befinden. Zum Glück hat diese ein Einsehen und erkennt die Gefährlichkeit der Lage sofort, so dass das Mädchen den Aufsatz noch einmal neu und ohne verfängliche Formulierungen schreiben darf.

Das neue Werk Cecilias gerät offensichtlich so formelhaft und stupide, dass sie von der Armee den ersten Preis erhalten soll. Gegen den energischen Widerstand der Mutter nimmt Cecilia an der bizarren Preisverleihung teil und lernt so die andere, nicht weniger böse Seite der Diktatur kennen, auf die die Doppeldeutigkeit des Titels anspielt: Während ihr Vater einen hohen Preis für seine Aufrichtigkeit zahlen muss, wird seine Tochter für ihre Lüge und Verstellung mit einem Preis und einer Belobigung für ihr Verhalten ausgezeichnet.

Die Regisseurin Paula Markovitch, die bislang vor allem als Drehbuchautorin für den Filmemacher Fernando Eimbcke (2008 für seinen Film Lake Tahoe auf der Berlinale mit dem Alfred-Bauer-Preis und der Auszeichnung der FIPRESCI-Jury bedacht), in Erscheinung trat, verarbeitet in ihrem Film El Premio auch ihre eigene Kindheit in Argentinien. 1968 in Buenos Aires geboren, war sie bei der Errichtung der Militärdiktatur in ihrer Heimat fast genauso alt wie Cecilia, ihre kindliche Heldin. El Premio spielt in San Clemente de Tuyú, jenem Ort, in dem Paula Markovitch die Schule besuchte, die Szenen im Klassenzimmer sind exakt dem gleichen Raum gedreht, in dem die Filmemacherin einst die Schulbank drückte.

Man spürt die Nähe der Regisseurin zu ihrem Sujet und nimmt Anteil an ihrem Bemühen, die Schrecken eines faschistischen Regimes mit den Augen und aus dem Blickwinkel eines Kindes schildern – und genau darin liegt auch ein klein wenig die Crux des Filmes begraben, der seine Geheimnisse und Intentionen nur sehr zögerlich preisgibt und vieles so verklausuliert und gebrochen darstellt, dass man häufig das Gefühl hat, zahlreiche der Andeutungen und Hinweise nicht richtig interpretieren zu können. Warum beispielsweise vergraben Mutter und Tochter Bücher im Sand, die auf den ersten Blick kaum etwas Bedrohliches an sich haben? Was ist das Schicksal des Vaters, der am Ende zu seiner Familie zurückkehren kann? Wie der Vater, so bliebt auch die Mutter trotz ihrer Präsenz schemenhaft, ein Schattenwesen, das lediglich funktioniert, aber sich auch gegenüber ihrer Tochter niemals öffnet – vielleicht aus Furcht, noch mehr von sich preiszugeben, was letzten Endes auch die Restfamilie in noch größere Gefahr bringen würde, vielleicht aber auch, deshalb, weil die zurückliegenden Erfahrungen als Regimegegnerin sie so sehr traumatisiert haben, dass sie all das Schreckliche in sich eingeschlossen hat und niemandem dazu einen Zugang gewährt. Trotz aller Dramatik und einer rührenden kindlichen Darstellerin ist genau das auch das Gefühl, dass viele Zuschauer während dieses Films beschlichen haben dürfte – man folgt der Geschichte zwar mit Interesse, wird aber niemals so recht warm mit den Figuren und ihren Nöten, erhielt viel zu selten einen echten emotionalen Zugang zu ihnen. Gerade angesichts der eigenen Erfahrungen der Regisseurin ist das dann doch ein wenig enttäuschend.

Dass das Thema, von dem El Premio auch heute noch in Argentinien ein äußerst schwieriges ist, beweist die Produktionsgeschichte des Films – da der Film seitens der argentinischen Behörden keinerlei Unterstützung erhielt, waren es Förderinstitutionen aus Mexiko, Frankreich, Polen und Deutschland sowie der World Cinema Fund, die schließlich die Produktion ermöglichten.

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Sieben Jahre ist das Mädchen erst alt und doch trägt sie bereits eine schwere Last mit sich herum. Als Tochter von Gegnern der argentinischen Militärjunta lebt „Cecilia“ (Paula Galinelli Hertzog) mit falschem Namen gemeinsam mit ihrer Mutter in einer ärmlichen Hütte an einem wenig einladenden Strand irgendwo in Argentinien. Immer wieder übt Cecilias Mutter (Laura Agorreca) mit ihrer Tochter wie in einem bizarren Ritual die Sätze ein, die das Kind sagen darf: „Mein Vater verkauft Vorhänge in Buenos Aires, meine Mutter ist Hausfrau.“
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