Possession (1981)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

West-Berlin – ein Reich aus Wahn und Hysterie

„Den einzig wahren Berlin-Film“ nennt Jörg Buttgereit Andrzej Zulawskis Phantasmagorie Possession in dem wie stets überaus lesenswerten Booklet zu dem Film, der nun seit kurzem erstmals auch auf Blu-ray erhältlich ist. Das mag vielleicht ein wenig übertrieben erscheinen, denn Berlin-Filme gibt es mittlerweile so gehäuft, dass das schon fast ein eigenes Genre darstellt. Richtig ist aber sicherlich, dass kaum ein Film die frühen 1980er Jahre in West-Berlin mit ihrer Gemengelage aus Heroin-Ernüchterung, Urin-Gestank, RAF- und Kalter Krieg Paranoia, den Narben und Schandzeichen der Teilung und New Wave so vibrierend eingefangen hat wie dieser.

Als der Film beginnt, hat der Wahn bereits begonnen. Unvermittelt wirft Zulawski den Zuschauer mitten hinein in die Ehekrise von Anna (Isabelle Adjani) und ihrem Mann Mark (Sam Neill), die schließlich in der Trennung der beiden mündet. Außer sich vor Wut und Eifersucht versucht Mark den Gründen für die Entfremdung zwischen ihnen auf die Spur zu kommen. Er entdeckt einen ebenso feinsinnigen wie schlagkräftigen Geliebten (Heinz Bennent). Doch dann keimt ihn ihm der Verdacht auf, es könnte noch einen weiteren Mann in Annas Leben geben und so setzt er einen Privatdetektiv auf sie an, der schließlich eine bizarre Entdeckung macht, die sich jeder Vorstellung entzieht. Und zwischendrin begegnen sich Anna und Mark immer wieder selbst, in Form von Doppelgänger und Wunschgebilden, die ihrer Sehnsucht und ihrem Hass, ihrer Liebe und ihrer Paranoia eine scheinbar ganz normale Gestalt annehmen. Dies allerdings sind nur kurze Momente der Ruhe, bevor der Horror und das Chaos erneut ausbrechen, bevor sich unterdrückte Wünsche und Leidenschaften und fehlgeleitete Emotionen erneut ihren Weg bahnen.

Als Possession 1981 erschien, erntete der Film keineswegs nur Zustimmung, sondern auch für teilweise vernichtende Kritiken und für erhebliche Kürzungen in den USA, während es das Werk erst gar nicht in die Kinos schaffte. Damals wie heute entzieht sich der streckenweise enervierende Film mit seiner nervösen Hyperaktivität – ist das noch (bzw. schon) Arthouse-Kino oder nicht vielleicht doch eher reiner Schund? Die Wahrheit liegt in diesem Fall irgendwo auf dem schmalen Grat dazwischen und erinnert nicht von ungefähr in seiner Mischung aus purem Stilwillen und wahnhafter Horrorphantasie an Jonathan Glazers monumental verstörenden Under the Skin oder an die frühen Filme David Cronenbergs aus den späten 1970er und frühen 1980er Jahren.

Wobei Zulawski es anders als sein kanadischer Kollege oftmals derbe übertreibt mit der Wahl seiner inszenatorischen Mittel: Sam Neill und Isabel Adjani larvieren nahezu ständig am Rande des Overacting, die Kamera torkelt besinnungslos die menschenleeren Straßen und sterilen Settings entlang, das Kunstblut fließt irgendwann in Strömen und die beständig weit aufgerissenen Augen sowie das hysterische Geschrei machen aus Possession eine wahrhaft besitzergreifende Erfahrung, die man entweder binnen kurzer Zeit fluchtartig zurücklässt oder der man sich als wildem Trip einfach hingibt.

Zulawski verarbeitete gleich zwei traumatische Erlebnisse seiner Vergangenheit in diesem Film – und genau das spürt man in jeder Sekunde, dass es hier aus einem Künstler förmlich herausbricht, was sich über viele Jahre angesammelt hat: Zum einen ist da das endgültige Exil, nachdem der Filmemacher zuvor immer wieder Probleme mit der Zensur in seiner polnischen Heimat gehabt hatte. Und zum zweiten ist Possession auch die rüde Aufarbeitung seiner gescheiterten Ehe mit der Schauspielerin Malgorzata Braunek, die bis zum Ende der 1970er Jahre hielt.

Die Wunden, die diese beiden Ereignisse schlugen, sind in Possession noch frisch, sie bluten, verheilen ein wenig und werden dann ein ums andere Mal wieder aufgerissen. Eine Auflösung und eine Erlösung gibt es am Ende nicht und wer nach eine deutlichen Aussage, einer zentralen Botschaft sucht, findet stattdessen viele davon und beinahe ebenso zahlreiche lose Enden, wilde Spekulationen und mitunter krude Metaphern, die die Verwirrung auch Stunden nach dem Nachschauen noch spürbar sein lassen.

Ein selten radikales Werk, ein wilder Tanz zwischen allen Stühlen und eine absolute Ausnahmeerscheinung im europäischen Kino der 1980er Jahre. Aber das hat man ja irgendwie auch geahnt, wenn Bildstörung bei der Herausbringung (in diesem Fall bei der Neu-Edition auf Blu-ray) die Finger im Spiel hat.
 

Possession (1981)

„Den einzig wahren Berlin-Film“ nennt Jörg Buttgereit Andrzej Zulawskis Phantasmagorie „Possession“ in dem wie stets überaus lesenswerten Booklet zu dem Film, der nun seit kurzem erstmals auch auf Blu-ray erhältlich ist. Das mag vielleicht ein wenig übertrieben erscheinen, denn Berlin-Filme gibt es mittlerweile so gehäuft, dass das schon fast ein eigenes Genre darstellt.

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