Point Blank (2010)

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Atemlos

Um das Wesen dieses französischen Thrillers von Fred Cavayé zu verstehen, muss man den französischen Titel À bout portant (auf deutsch: aus kürzester Entfernung) nur ein ganz klein wenig modifizieren und an Jean-Luc Godards berühmten Erstling Außer Atem anpassen, der bekanntlich im Original À bout de souffle hieß. Nur knapp 85 Minuten lang ist Point Blank, wie der internationale Titel lautet, und vor allem eines: Straightes Hochgeschwindigkeitskino in Lola rennt-Manier, das gleich zu Beginn ein enormes Tempo vorlegt und auch im Laufe der weiteren Handlung dem Zuschauer und vor allem seinem gehetzten Protagonisten kaum eine Atempause gönnt.

Dabei sieht für Samuel Pierret (Gilles Lelouch) und seine Frau Nadia (Elena Anaya) alles so verheißungsvoll und hoffnungsfroh aus – und zwar durchaus im wörtlichen Sinne, denn die beiden erwarten ihr erstes Kind und freuen sich uneingeschränkt auf ihr neues Leben als Kleinfamilie. Allerdings lauern in einer Stadt wie Paris Unglück und Verbrechen gleich um die Ecke – und im Fall von Samuel sogar direkt an dessen Arbeitsplatz — einem Krankenhaus. Dort wird nach einer wilden Verfolgungsjagd der Kriminelle Sartet (Roschdy Zem), der sich bei einem Einbruch offensichtlich mit den falschen Leuten angelegt hat und der bei der anschließenden Verfolgungsjagd zu Fuß als zweiter Sieger immerhin knapp mit dem Leben davonkam, eingeliefert. Nun liegt er auf Samuels Station und ausgerechnet der brave rechtschaffene Krankenpfleger in spe soll den Schwerverletzten seinen Verfolgern ausliefern. Das verlangt zumindest die Stimme am Telefon. Und um der Forderung Nachdruck zu verleihen, haben die Unbekannten Nadia in ihre Gewalt gebracht. Sartet aber denkt trotz seiner Verwundungen nicht im Traum daran, so einfach in den sicheren Tod zu gehen, was Samuels Nöte nicht gerade kleiner macht. Und als sich noch die Polizei in Gestalt zweier konkurrierender Abteilungen einmischt, von denen eine etwas tiefer in die delikate Angelegenheit verstrickt ist, wird die Jagd erst so richtig unübersichtlich…

Point Blank / À bout portant erzählt die klassische Thrillergeschichte eines Mannes, der unversehens und ohne eigenes Zutun aus seinem ganz normalen Leben hinauskatapultiert wird und sich in ein Verbrechen verstrickt findet, mit dem er rein gar nichts zu tun hat. Wegen des enormen Drucks, unter dem er infolge der Ereignisse steht, ist er gezwungen, alle Skrupel und Bedenken über Bord zu werfen und förmlich über sich hinaus zu wachsen. Gilles Lelouche macht die Angst, den Schweiß, die körperliche Anstrengung und die Getriebenheit dieses Helden wider Willen sichtbar, verleiht ihm genau die richtige Mischung aus Fürsorge, Verzweiflung und Mut, die seinem Charakter und seinem bisherigen geruhsamen Leben entspricht. Einzig die Tatsache, dass dieser Mann, den wir gut und gern in seinen Dreißigern wähnen, es trotz seines Alters noch nicht einmal zum examinierten Krankenpflegehelfer gebracht hat, wirkt dann doch ein wenig schief – doch wer weiß schon, welche ABM-Maßnahme diesen Kerl in ein Krankenhaus befördert hat.

Dies und so manches kleine Logikloch ist aber schnell vergessen durch die ungeheuer dichte, temporeiche und schnörkellose Inszenierungsweise von Fred Cavayé. Der hat bereits im Jahre 2008 mit Pour elle einen überaus gelungenen Thriller vorgelegt, der andeutete, dass der Mann das Thriller-Handwerk versteht und der es schließlich sogar unter dem Titel 72 Stunden – The Next Three Days zu einem Hollywood-Remake unter der Regie von keinem Geringeren als Paul Haggis brachte. Ob Point Blank das gleiche Schicksal widerfahren wird, ist derzeit noch ungewiss – das Potenzial dazu besitzt der Film aber allemal.
 

Point Blank (2010)

Um das Wesen dieses französischen Thrillers von Fred Cavayé zu verstehen, muss man den französischen Titel „À bout portant“ (auf deutsch: „aus kürzester Entfernung“) nur ein ganz klein wenig modifizieren und an Jean-Luc Godards berühmten Erstling „Außer Atem“ anpassen, der bekanntlich im Original „À bout de souffle“ hieß.

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