Play (2011)

Eine Filmkritik von Martin Gobbin

Dass nicht sein kann, was nicht sein darf

„Auch lesbische schwarze Behinderte können ätzend sein“, heißt es in einem Lied von Funny van Dannen. In Ruben Östlunds vielschichtigem Multikulti-Drama Play führt ein zentraler Wortwechsel in eine ähnliche Richtung. Nachdem er einen minderjährigen Handydieb afrikanischer Herkunft konfrontiert hat, gerät ein Vater plötzlich selbst an den Pranger. Es sieht eben nicht besonders gut aus, wenn ein weißer Erwachsener ein schwarzes Kind auf offener Straße packt und anschreit. Eine empörte Frau setzt sich für den Jungen ein. Der in die Enge gedrängte Vater erwidert: „Wenn Sie meinen, dass man nichts, was Immigranten tun, kritisieren darf, ist das einfach nur umgekehrter Rassismus.“ Die Frau: „Aber als Immigrantenkind ist er benachteiligt.“ Der Mann: „Ich hab mir nicht aussuchen können, wer meinen Sohn beraubt.“
Diese Ohrfeige gegen gutmenschentümelnde Political Correctness sitzt. 100 Minuten lang haben wir zugeschaut, wie eine Gang schwarzer Jugendlicher drei Schüler drangsaliert, demütigt und ausraubt. Kein Erwachsener greift je ein, um den Opfern zu helfen. Doch kaum geht es einem der Täter an den Kragen, ist das liberale Bürgertum zur Stelle, um den „Benachteiligten“ zu schützen. Und der Junge spielt dazu die richtige Karte aus und setzt auf Mitleid, wenn er von seinen sieben Geschwistern erzählt, die nichts zu essen hätten. Wenn er dann auch noch den Vater schlägt, der sich für seinen ausgeraubten Sohn einsetzt, drischt der Nachwuchskriminelle letztlich auf jene Gesellschaft ein, die ihn trägt.

Wie ein ungerührter Beobachter schaut die Kamera mit starren, ausdauernden Einstellungen auf das sadistische Spiel, das Yannick (Yannick Diakité) und seine kleinkriminelle Clique mit den unfreiwilligen Mitspielern Sebastian (Sebastian Blyckert), Alex (Sebastian Hegmar) und dem asiatisch-stämmigen John (John Ortiz) treiben. Es geht dabei weniger um die schnöde Entwendung eines Handys als um Einschüchterung, Demütigung und Willkür. Die ganz in Schwarz gekleideten Immigranten folgen den drei Freunden – Gewalt üben sie kaum aus, die Bedrohung ist implizit, psychologischer statt physischer Natur. Stundenlang treiben sie Sebastian, Alex und John durch die Stadt, umzingeln sie, verwirren sie mit einstudierter good-cop/bad-cop-Dynamik und zwingen sie letztlich in einem abgekarteten Wettkampf, das Handy und andere Wertsachen „freiwillig“ abzugeben.

Das Besondere an dieser Bullying-Studie aus Schweden ist, wie Östlund mehrfach die Gruppenzugehörigkeiten aufbricht und so das Stockholm-Syndrom hervorbringt. Einmal versucht Sebastian zu fliehen – doch es sind nicht die Täter, die ihn daran hindern, sondern sein Freund Alex. Ein andermal werden die Täter während einer Bahnfahrt selbst zu Opfern, wenn ein paar ältere Jugendliche sie überfallen. Dabei verschmelzen nicht nur Täter und Opfer zu einer Gruppe, sondern plötzlich verschieben sich auch die Sympathien des Zuschauers gegenüber den Figuren, da die kriminellen Immigranten plötzlich in eine andere Rolle als zuvor geraten.

Das größte Verdienst des Films ist aber seine mutige Intervention in die Integrations-Debatte. Mutig ist dieser Eingriff, weil Regisseur Östlund es riskiert, missverstanden zu werden. Denn indem er linke Abwehrreflexe entlarvt, setzt er sich dem Verdacht aus, von rechts außen zu argumentieren. Doch wenn allein schon die These, dass auch Immigranten kriminell sein können, reicht, um als potentiell rassistisch abgestempelt zu werden, zeigt das, zu welch absurden Ergebnissen die wohlmeinende Toleranz des Liberalismus geführt hat. Nach dem Prinzip „Dass nicht sein kann, was nicht sein darf“ wird verdrängt, was nicht ins linke Weltbild passt. Und wenn sich Verstöße gegen den Gesellschaftsvertrag nicht mehr leugnen lassen, dann folgt die Herleitung aus den sozialen Umständen, die Kriminalität mitunter erklären, jedoch nur schwerlich legitimieren können. In der Überdehnung westlicher Offenheit offenbart sich eine autodestruktive Doppelmoral, wenn sozial Benachteiligte automatisch als gut verklärt werden, während Sebastians Vater als weißer Mann immer schon potentiell suspekt ist.

Play ist ein ruhiger und doch polemischer Film, der mit seinem provokanten Drehbuch eine Diskussion um Immigration und Integration anstößt, ohne dass er sich selbst je eindeutig positioniert. Abgesehen von zwei fragmentarischen Nebensträngen, die die Spielzeit unnötig aufblähen, überzeugt Östlunds Drama erzählerisch ebenso wie mit seinem strengen stilistischen Formalismus.

Play (2011)

„Auch lesbische schwarze Behinderte können ätzend sein“, heißt es in einem Lied von Funny van Dannen. In Ruben Östlunds vielschichtigem Multikulti-Drama „Play“ führt ein zentraler Wortwechsel in eine ähnliche Richtung. Nachdem er einen minderjährigen Handydieb afrikanischer Herkunft konfrontiert hat, gerät ein Vater plötzlich selbst an den Pranger. Es sieht eben nicht besonders gut aus, wenn ein weißer Erwachsener ein schwarzes Kind auf offener Straße packt und anschreit.
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