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Wenn ein Film das Bild eines Künstlers zeichnen will, braucht er Fingerspitzengefühl und Zurückhaltung. Jean Michel Vecchiets „Peter Lindbergh – Women’s Stories“ hat nichts von beidem. – Dafür aber viel Geltungsdrang.

Peter Lindbergh - Women's Stories (2019)

Eine Filmkritik von Lars Dolkemeyer

Peter Lindbergh – Jean Michel Vecchiet’s Stories

Einen so selbstverliebten Film gab es lange nicht: Seit 25 Jahren begleitet der französische Regisseur Jean Michel Vecchiet das Schaffen von Peter Lindbergh, einem der bedeutendsten Modephotographen der Welt. In seinem biographischen Film „Peter Lindbergh – Women’s Stories“ geht es jedoch weder um Peter Lindbergh noch um dessen Bilder und am wenigsten um die Frauen, die der Titel großspurig verspricht.

Von seiner Geburt im von Deutschland besetzten Polen 1944, über die Flucht der Familie nach Bayern, den Aufbruch des jungen, ambitionierten Künstlers in die Welt während der 1960er, bis zu seinem Weltruhm als Photograph: Vecchiets Film will die große psychologische Linie zeichnen, die sich von einer schwierigen Kindheit mit Nazi-Papa auf direktem Wege (gehen Sie nicht über Los!) in die Photographien Lindberghs übersetzt.

Erzählt wird diese Konstruktion abwechselnd von Jean Michel Vecchiet selbst, der erst einmal seine eigenen Ambitionen als Künstler in den Vordergrund stellt, sowie von den titelgebenden Frauen. Damit sind aber nicht etwa die Models gemeint, die Lindbergh so berühmt machten und von ihm berühmt gemacht wurden, sondern seine Schwester, seine Frau, seine langjährigen Weggefährtinnen. Nur Naomi Campbell darf kurz ein paar nichtssagende Worte über ein Shooting mit Lindbergh verlieren – dann aber schnell zurück zur düsteren Nazi-Aufarbeitung.

In unerträglichen Überblendungen verbindet der Film die Ästhetik von Lindberghs Arbeiten mit den Bildern des zerstörten Nachkriegs-Deutschlands, die unheilvoll aus seinen kontrastreichen, schwarzweißen Photographien aufscheinen. Das Desinteresse Vecchiets am Photographen Lindbergh wird nirgends so deutlich wie gerade in jenen Momenten, die diese Photographien tatsächlich zeigen: Hyperaktiv gleitet und zoomt die Kamera durch schnell montierte Serien-Aufnahmen, verzweifelt im Versuch, ihnen Bewegung und Lebendigkeit zu entlocken. Ganz vergisst der Film dabei, wie lebendig und kraftvoll die Photographien Lindberghs wären – wenn man ihnen denn den Platz einräumte und sie nicht im Sturm der gescheiterten Ideen eines Films untergehen ließe, der sich beständig selbst in den Vordergrund drängt.

Eine filmische Biographie über einen Künstler zu montieren, verlangt viel Zurückhaltung und Feingefühl für die Spezifik des eigenen Mediums wie für das Medium ebenjenes Künstlers. Spätestens mit seinem Soundtrack, der vor keinem schmalzigen Pathos zurückschreckt, verliert Vecchiet jedoch völlig die Kontrolle über das Bild, das er vorgibt von Peter Lindbergh zu zeichnen. Immer wieder schreit der Film geradezu mit seinen oberflächlichen, wortwörtlich über Lindbergh hinweggehenden Montagen: Seht mich an! Ich, Jean-Michel Vecchiet, der große Künstler, kenne Peter Lindbergh – persönlich! Und er hatte es nicht leicht! Aber ich kenne ihn besser als alle anderen!

Die Arroganz mit der Peter Lindbergh – Women’s Stories diese Geste vor sich herträgt, ist kaum zu ertragen. Immer wieder deutet sich in den Ausschnitten von eigenem Material Lindberghs, in den Aufnahmen am Rande seiner Shootings, ein einfühlsamer wie zugleich energetisch-fordernder Photograph an – bevor dem Film allzu schnell eine neue Idee kommt, einfachste Linien zwischen Nazi-Vergangenheit und vorgeblicher seelischer Verfasstheit seines Protagonisten zu ziehen. Doch auch dafür bräuchte es Fingerspitzengefühl und ein ernsthaftes Interesse am Menschen Peter Lindbergh. Dem Film gelingt weder eine interessante Perspektive auf die deutsche Vergangenheit und Lindberghs persönlich-familiäres Verhältnis zu ihr noch vermeidet er die psychologischen Kurzschlüsse zum Künstler Lindbergh und missachtet schließlich beides völlig.

Wäre es interessant, über die Arbeitsweise Lindberghs zu sprechen? Wäre es interessant, sich Gedanken über die Entwicklung der Mode-Branche in den letzten fünf Jahrzehnten zu machen? Wäre es an der Zeit – gerade unter dem Titel dieses Films – auch die Rolle der Models in dieser Branche zu reflektieren? Wäre es wichtig, die Bedeutung der deutschen Geschichte in der Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg in den Blick zu nehmen? Vielleicht. Das einzige, was diesen Film allerdings interessiert, ist er selbst.

Peter Lindbergh - Women's Stories (2019)

Peter Lindberg ist der letzte Gigant der Photographie. Jean Michel Vecchiet nähert sich dem Phänomen von zwei Seiten an: Zum einen beobachtet er den Künstler bei der Arbeit und zeichnet zum zweiten den Aufstieg Lindberghs auf den Olymp der Bildkünstler nach.

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Meinungen

Jan · 18.09.2019

Also...

Mein Kommentar zu dieser Kritik:
Diese selbst ist eine Salbung des eigenen Egos des Verfassers. All das, was er an Jean Michel Vecchiet kritisiert, trifft im vollem Umfang auf Lars Dolkemeyers Sermon zu diesem Werk selbst zu.
Denn nur mit einer solchen Kritik polarisiert man und ist selbst Gesprächsthema
Unerträgliches Geschwafel.
Seit über 30 Jahren bin ich ein grosser Fan von Peter Lindbergh. Und er ist wahrscheinlich mit ein Grund, warum ich überhaupt Fotograf geworden bin.
Zum Glück kann ich mir eine eigene Meinung machen und brauch dazu nicht solche Labertaschen wie Lars Dolkemeyer.

Setzen Sechs.

Matthias Düffert · 04.07.2019

Sehr ernüchternd, aber danke für die klaren Worte!

Markus · 09.06.2019

Ich finde den Film gelungen und man muss sich womöglich selbst mit Fotografie beschäftigen, um zwischen Worten und Bildern das Wesen der Darstellung zu erkennen. Ich glaube den Film verstanden zu haben.

Gerlind Hector · 04.06.2019

Danke für diese absolut treffende, wunderbar pointierte Kritik über diese enttäuschende Doku, lieber Lars Dolkemeyer! Seit über 20 Jahren beschäftige ich mich beruflich und privat mit Modefotografie und seinen wichtigsten Vertretern samt historischen Zusammenhängen – und ein Porträt über Peter Lindbergh derart zu versemmeln, muss man wirklich erstmal schaffen! Regisseur Vecchiet hat es geschafft, dass ich das zweite Mal im meinem Leben vorzeitig den Kinosaal verlassen musste. Seinerzeit handelte es sich um „A chorus line“ und, hey, das war in den 80ern.