Persepolis (2007)

Eine Filmkritik von Peter Gutting

Ein abenteuerliches Leben

Endlich mal wieder Schwarz-Weiß: Mit ihrem Animationsfilm Persepolis erwecken Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud ein vernachlässigtes Stilmittel zu neuem Leben. Und zwar ganz ohne Schwarz-Weiß-Malerei. Denn inhaltlich ist die abenteuerliche Geschichte eines jungen Mädchens aus dem Iran ein vielschichtiges, Realismus und Poesie verbindendes Werk.

Dabei hätte die Regisseurin und Comic-Autorin Satrapi allen Grund gehabt, die Guten ausschließlich gut und die Bösen ausschließlich böse zu zeichnen. Zwei Mal musste sie ihre iranische Heimat verlassen. Das erste Mal im Alter von 14 Jahren. Das zweite Mal, als junge Studentin, ohne Aussicht auf Rückkehr. Zumindest solange die islamistisch-fundamentalistischen Verhältnisse andauern wie seit mittlerweile 28 Jahren.

Persepolis ist die Historie eines Landes und einer Gesellschaft, gespiegelt aus der persönlichen Geschichte von Marjane Satrapi. Was die Comic-Figur Marjane erlebt, ist die Autobiografie Satrapis. Die junge Frau landete tatsächlich bei ihrer zweiten Flucht in Paris, wo sie seither lebt. Sie arbeitete zunächst als Illustratorin von Kinderbüchern, hatte aber Ende der 1990er Jahre das Bedürfnis, ihre Erlebnisse und ihre Sicht der iranischen Gesellschaft aufzuschreiben. Was lag für eine Illustratorin näher, als dies in Form eines Comics zu tun, und sich damit in die junge Tradition eines zeitgenössischen Autorencomics einzureihen?

Alles beginnt in den Jahren 1978 und 1979. Das Land wird von Massendemonstrationen überrollt, Islamisten und Sozialrevolutionäre, denen Marjanes Familie nahe steht, kämpfen für kurze Zeit Arm in Arm. Mittendrin das achtährige Mädchen, staunend, lebenslustig und ein wenig altklug. Die Freude über das Ende der Unterdrückung währt jedoch nur kurz. Mit dem Kopftuch hält eine neue Unfreiheit Einzug.

Trotzdem lassen sich die Menschen nicht verdrießen. Sie feiern heimlich Partys, trinken verbotenen Wein und schlagen den Tugendwächtern der islamistischen Revolution so manches Schnippchen. Marjane wächst zu einer Pubertierenden heran, als würde sie im Westen leben. Sie trägt Nike-Turnschuhe, spielt auf dem Tennisschläger Gitarre zu „Iron Maiden“ und behauptet auf dem T-Shirt „Punk is not ded“ (in genau dieser Schreibweise). Aber Marjane redet immer noch so unverblümt wie als kleines Mädchen, als sie Prophetin werden wollte und sich mit ihrem Gott heftige Debatten lieferte. Deshalb kann sie in der Schule den Mund nicht halten, als die Lehrerin behauptet, es gäbe keine politischen Gefangenen mehr.

Die Eltern schicken die 14-Jährige nach Wien, wo sie weiter auf die Schule geht, die Punk-Rebellion fortsetzt, aber an ihrem ersten Liebeskummer fast stirbt. Sie kehrt nach Teheran zurück, leidet an den verknöcherten Verhältnissen, verfällt in Depressionen, rappelt sich auf, fängt an zu studieren und gibt den ebenso verklemmten wie lüsternen Moralaposteln Kontra.

Marjane Satrapie erzählt das ganz aus der Perspektive des Kindes und der Jugendlichen. Sie verstärkt gegenüber der Buchvorlage die romantisch-poetischen Elemente und taucht ein in eine subjektive Sichtweise und in expressionistisch angehauchte Bilder, ohne die Realität zu beschönigen. Sie zeigt dadurch eine Realität hinter der äußeren Tristesse: Menschen, die sich nicht verbittern lassen, die ein Leben mit allen Aufs und Abs leben und sich dabei bemühen, sie selbst zu bleiben. Menschen, die trotzdem keine eindimensionalen Helden markieren, weil sie am eigenen Leib erfahren, wie schwierig es ist, unter solchen Umständen integer zu bleiben.

Der magische Realismus des Films ist geprägt von einer Bildsprache, die in ihren überzeichneten und zugespitzten Formen an den Zauber der großen Stummfilmzeit erinnert. Doch es wird sehr wohl gesprochen: Für die deutsche Synchronisation des französischen Originals konnte der Verleih Jasmin Tabatabai (Marjane), Nadja Tiller (Großmutter) und Hanns Zischler (Onkel) gewinnen. Für Jasmin Tabatabai dürfte die Einfühlung in das Schicksal der Marjane eine ganz besonders intensive Erfahrung gewesen sein. Die Schauspielerin und Musikerin ist nur zwei Jahre älter als die Regisseurin und wuchs ebenfalls in Teheran auf, als Tochter einer Deutschen und eines Iraners. Verunsichert durch die iranische Revolution schickte ihr persischer Vater seine Familie im Dezember 1978 in einer Nacht- und Nebelaktion nach Deutschland.

Vielleicht ist das die größte Leistung dieses sehenswerten Films: Dass er Vertreibung, Unterdrückung und Unrecht auf eine Weise thematisiert, die der eindimensionalen Haltung der Moralapostel das Entscheidende voraushat, nämlich das Leben in seiner ganzen widersprüchlichen Fülle. Und dass er die Buntheit der Welt auf wundersame Weise gerade in seiner Schwarz-Weiß-Ästhetik sichtbar macht.
 

Persepolis (2007)

Endlich mal wieder Schwarz-Weiß: Mit ihrem Animationsfilm Persepolis erwecken Marjane Satrapi und Vincent Paronnaud ein vernachlässigtes Stilmittel zu neuem Leben. Und zwar ganz ohne Schwarz-Weiß-Malerei.

  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Marc · 14.07.2008

ALLE ANGUCKEN! Ein Trickfilm, der die Spielfilmlänge locker füllt.
Lehrreich, humorvoll, hinterfragend, beeindruckend!

Ramin Alexander · 12.02.2008

Endlich mal ein Pro Film.
Nach 300, kann man so etwas mal erwarten.

Prof. G. Vogelsang · 08.01.2008

Mediale Umsetzung und Inhalt hervorragend! Film hat mich sehr berührt.

perserkatze · 01.01.2008

Ich bin selbst auch Iranerin.Ich muss zugeben,dass das was in diesem Film gezeigt wird,sehr abgemildert dargestellt wird. Es geht noch schärfer.

f.kh · 02.01.2008

ein in jeder hinsicht einmaliger und toller film; eine einzigartige und tolle art, die persönliche erfahrung einer jungen heranwachsenden frau zwischen zwei welten, und die geschichte eines volkes, das sein land von einer diktatur zu befreien glaubt, und unter einer neuen diktatur untergeht, der welt zu erzählen, und anschaulich zu machen.......

pmellmann@yahoo.com · 02.01.2008

Ich habe selten einen Film gesehen, der so dicht, komplex, emotional und dabei noch so schön anzusehen ist.

· 07.12.2007

Iran, Wahn, Bagwahn...
Katholisch, Symbolisch, Ironisch.
Geht es in diesem Film um Glauben oder Politik? Geht es um richtig oder falsch? Oder gar um Glück? Während die Deutschen dem Jackpot nachrennen, rennen die Iraner einer Ideologie nach. Die "Idee"-ologie ist gut die Durchführung verhält sich wie Demokratie und Bürokratie wie auch Religion zur Sterilisation... Der Mensch sollte nicht glauben sondern handeln. Und dieser Film ist ein Versuch der Handlung und somit volle Punktzahl.

· 05.12.2007

sehr schöner Film, auch historisch gesehen. Gleichzeitig sehr humorvoll.

@Outfoxed · 29.11.2007

Du hast anscheinend etwas falsch verstanden. Es geht um die ganz perösnliche Geschichte eines Mädchens und einer jungen Frau im Iran, Das hat mit Religion sehr wenig zu tun, sondern vielmehr mit der Realpolitik, so wie die Menschen sie teilweise erleben. Wann werden Menschen mal endlich kapieren, dass nicht jede kritische Auseinandersetzug ein direkter Affront gegen den Propheten ist.

Outfoxed · 29.11.2007

"Echt daneben" oder "Na ganz toll". Wieder mal ein Film der das Schicksal einer einzelnen aufgreift und als Geschichte verpackt ein suggestiv, negatives Bild vom shiitischen Islam in Iran zeichnet. Da bleibt so eininges hängen beim Zuschauer. Dass der Islam schon kurz nach dem 4. Kalifen (Alle 4 waren direkte Schüler und Zeitzeugen des Propheten sas)nicht mehr richtig praktiziert wird, ist so klar, wie dass die Kreuzzüge (auch der Moderne mit Bush Jr.)mit der Lehre Jesu nichts zu tun haben. Eine Geschichte halt aber keine stellvertretende Bildzeichunung des authentischen Islams. Schöne wäre gewesen, wenn der Film Rückblenden situationsgerecht zur Zeit des Propheten einbinden würde und den krassen Kontrast zur schlimmen Gegenwart aufzeigen würde. So bleibt dieser Film ein weiteres Negativbeispiel in der Liste der voreingenommenen "Nicht ohne meine Tochter" Knüppel ohne Hintergrunderhellung. Dieser Film ist wahrlich eine Schwarz - Weiss - Malerei.

tschista · 25.11.2007

Ich bin eine iranerin.
Ich habe alles gesehen.
Das ist echte wahr.
Danke marjane.