Paterson

Eine Filmkritik von Patrick Holzapfel

Der Wert sinnloser Träume

„Take care of things close to home first. Straighten up your room / before you save the world. Then save the world.“ (aus How to Be Perfect von Ron Padgett)

Es mag etwas überraschend wirken, wenn eine Besprechung zu einem Film, der bisweilen wie eine Adaption eines gleichnamigen Gedichtes ankommt, nämlich Paterson von William Carlos Williams, mit dem Zitat eines anderen Poeten beginnt. Aber Ron Padgett zeigt sich verantwortlich für sämtliche Verse aus der Feder des von Adam Driver verkörperten Busfahrers/Poeten in Paterson von Jim Jarmusch. Es sind Gedichte, wie jene von Williams, in denen sich beständig Transformationen zwischen dem Alltäglichen und dem Schönen vollziehen. Selbiges gilt auch für den Film, in dem Jarmusch eine utopische Harmonie generiert, als würden die Zeilen von Padgett und deren Entstehung sich durch die Wahrnehmung eines Ortes ziehen, als wäre jeder elegische Blick auf das Banale ein potenzielles Gedicht. Beseelt von kleinen Harmonien und Traurigkeiten.

Paterson (Adam Driver) arbeitet als Busfahrer in Paterson, New Jersey. Jarmusch hatte schon immer große Freude an absurden Namen, man denke nur an Don Johnston in Broken Flowers, der immer wieder betonen muss, dass er nicht Don Johnson heißt. Dieser Paterson lebt vor sich her, das heißt, er flaniert zwischen seiner Arbeit als Busfahrer, seiner sich im schwarz-weißen Dekorierwahnsinn befindlichen Frau Laura (Golshifteh Farahani), ihrem mysteriös kommunizierenden Hund Marvin, abendlichen Besuchen in einer Bar und seinen Gedichten, die er immer dann schreibt, wenn ihm das Leben Zeit dafür lässt. Jarmusch betrachtet diese Welt von und um Paterson mit einem wachsam zurückhaltenden Auge, das sich immer wieder mit den Blicken und Beobachtungen von Paterson verbündet. Er schreibt mit diesem Film in vielerlei Hinsicht an denselben Gedichten wie sein Protagonist. Zwar gibt es deutlich mehr klassische Drehbuchkonflikte als die vorgegebene Einfachheit vermuten lässt, aber letztlich bleibt der Film die Schilderung eines Lebensgefühls. Ein Lebensgefühl, das gar nicht so leicht zu benennen ist, weil es zwischen Akzeptanz und Rebellion verharrt. Es ist der Blick auf ein Leben, in dem sich die Poesie versteckt. So wie in jedem Leben (und jedem Tod).

Nun war Jarmusch noch nie ein Filmemacher großer Geschichten, aber man hat das Gefühl, dass sein Driften durch Situationen immer mehr in süßlich-nerdige Utopien einer Gelassenheit kippt statt Verlorenheit und Freiheit zu vermitteln. Das Herumwandern von Chris Parker in Permanent Vacation ist grundverschieden von jenem Patersons. Womöglich, weil Paterson Inseln hat, zu denen er zurückkehrt, zurückkehren muss, während Chris Parker gar keinen Anker, kein Ziel mehr hat. Ohne das werten zu wollen und zu können, kann man dort auf jeden Fall eine Entwicklung im Filmemacher erkennen. Bisweilen erinnert die Simplizität und der Wert sinnloser Träume an das Kino von Ozu Yasujirō. Wie beim Japaner führt ein herausragend tragisch-absurder Moment im Film in bestechender Klarheit vor, wie machtlos dieser von Girish Shambu in Bezug zu Paterson zurecht mit „Amateurism“ bezeichnete Ansatz zur Kunst gegenüber dem Leben ist. Jedoch öffnet Jarmusch eine Pforte hinaus aus diesen sinnlosen Träumen, indem er betont, dass der Sinn im Träumen liegt. Dieser Mut zur Melancholie macht Jarmusch zu einer singulären Figur im amerikanischen Kino.

Der „Amateurism“ ist wohl der Zeitgeist (man denke an die zig Poeten des Internets und vieles mehr) eines Films und Filmemachers, der ansonsten nicht umsonst Fantasien von jahrhundertealten Vampiren hat und sich gern in einer popkulturellen Zeitlosigkeit und Nostalgie aufhält. Viel mehr als eine Schilderung des Lebens eines modernen Mannes und seiner Liebe zur Kunst ist Paterson eine emotional berührende Huldigung poetischer Wahrnehmung. Dabei wagt sich Jarmusch in einen für ihn durchaus ungewohnten Kitsch mit überblendeten Wasserfällen, der irgendwie auch zur etwas nervigen Süßlichkeit der Szenen im Haus von Laura und Paterson passt. Die penetranten Zwischenschnitte auf den Hund Marvin mögen für den einen oder anderen Lacher sorgen, wirken aber irgendwann etwas platt – genauso wie die bisweilen als passive Muse erscheinende Laura. Allerdings muss hierbei betont werden, dass der Name Laura und die Funktion als Muse literaturgeschichtliche Relevanz hat und diese im Film auch thematisiert wird. Man denke nur an Francesco Petrarca und seine Laura. Dennoch kann sich Jarmusch einer Art Cupcake-Simplizität nicht entziehen, in der die Einfachheit der Handlung eben nicht wie bei Ozu aus Dringlichkeiten entsteht, sondern fast wie ein Aushängeschild über dem Film hängt. Ein wenig erinnert das dann an Wes Anderson und nicht umsonst haben Kara Hayward und Jared Gilman, die beiden Nachwuchsdarsteller aus Moonrise Kingdom, einen Auftritt als Busfahrgäste und macht Mark Friedberg, der auch für Anderson gearbeitet hat, für Jarmusch wieder das Szenenbild. Insgesamt kann man diesem Vorgehen womöglich auch einiges abgewinnen, aber für einen Film über poetische Wahrnehmung wirkt Paterson an manchen Stellen zu kalkuliert in seiner Einfachheit.

Weitaus besser funktioniert der beiläufige Surrealismus im Film mit ständig auftauchenden Zwillingen und dieser Hingabe an eine Alltagspoesie, der man nur deshalb nicht ganz glauben kann, weil ihr Auftauchen in einer derart nüchternen Welt immer überwältigend bleiben muss. In dieser Hinsicht gibt Driver in der vermutlich besten Rolle, die er je spielen wird, den Poeten auch mit der nötigen Passivität, die immerzu staunt und daraus gewinnt, statt in blindem Ehrgeiz „Kunst“ zu leben, wie diese zum Beispiel in Damien Chazelles nicht nur in dieser Hinsicht fragwürdigen Whiplash bis zum Blut durchexerziert wird. Durch diese Passivität vermag Paterson allerhand Geschichten aufzusaugen und eine Distanz zu wahren, die ihn immer etwas einsam erscheinen lässt, aber letztlich liebevoll. Es ist ein Wechselspiel aus einem Über-Sich-Ergehen-Lassen und dem Erblühen darin. Die einzigen Ausbrüche erlaubt Jarmusch in den abendlichen Barbesuchen, in der Nebenfiguren ihre emotionalen Narben zur Schau stellen. Als Paterson dabei einmal eingreift, muss er sich fast dafür schämen, weil er diese Schau für die Wahrheit gehalten hat. Unter diesem Blickwinkel ist die Begegnung mit einem jungen Mädchen, das wie Paterson Gedichte in ein geheimes Buch schreibt, eine Offenbarung der Gemeinsamkeit in dieser introvertierten Einsamkeit und besonderen Wahrnehmungsfähigkeit. Und auch ein Indikator dafür, dass die Coolness von Jarmusch immer nach Erlösung sucht.

Enden soll diese Besprechung dann doch mit einem Zitat aus dem Vorwort von Paterson von William Carlos Williams:
For the beginning is assuredly
the end-since we know nothing, pure
and simple, beyond
our own complexities.



(Patrick Holzapfel)
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Es gibt jedes Jahr (mindestens) einen Film an der Croisette, der die versammelte Kritikerschar spaltet – Terrence Malick ist dafür ebenso ein sicherer Kandidat wie Lars von Trier oder Nicholas Winding Refn. Jim Jarmusch gehörte bislang eher nicht in diese Kategorie, doch nach dem mit seltener Einigkeit gefeierten Only Lovers Left Alive dürfte sich das mit seinem neuen Film Paterson geändert haben. Während viele Kritiker die stille poetische Kraft des Films feiern, können andere mit dem Erforschen des scheinbar Banalen und Alltäglichen nur wenig anfangen. Es folgt ein Geständnis – und Jarmusch-Fans müssen nun sehr tapfer sein: Ich gehörte der letzteren Gruppe an.

Unterteilt in Wochentage, die von einem Montag bis zum nächsten Wochenbeginn reichen, erzählt der Film die Geschichte des Busfahrers Paterson (Adam Driver), der in einer gleichnamigen Kleinstadt in New Jersey seiner Routine nachgeht. Jeden Morgen erwacht er um die gleiche Uhrzeit neben seiner Ehefrau Laura (Golshifteh Farahani), frühstückt, nimmt stets den gleichen Weg zur Arbeit, verrichtet dort mit ruhiger, routinierter Gelassenheit seinen Job, kehrt nach Hause zurück, wo er stets den Briefkasten in Schieflage vorfindet und ihn dann wieder in die korrekte vertikale Lage bringt. Dann folgt das Abendessen, der Spaziergang mit der britischen Bulldogge Marvin, der immer in die gleiche Kneipe führt, zu den gleichen Menschen, mit denen er sich dort unterhält, gefolgt von dem Weg nach Hause, wo er dann ins Bett geht. Dann: Ein neuer Tag, der einem fast identischen Ablauf folgt, variiert nur durch kleine Abweichungen, kaum merkliche Veränderungen, scheinbar unbedeutende Ereignisse und zwischenmenschliche Begegnungen, die manchmal die Dramen des Lebens widerspiegeln, dann wieder lediglich amüsante Einsprengsel sind. Was aber macht dieses ruhige, zufriedene Leben bemerkenswert, was macht es zu einer Geschichte, die es sich zu erzählen lohnt? Jim Jarmuschs Antwort auf diese Frage ist einfach – fast so einfach wie der gesamte Film: Es ist die Poesie – und das gleich in zweierlei Hinsicht. Paterson ist nämlich ein Dichter, ein Poet des Alltäglichen, der während des Fahrens und in seiner Mittagspause an seinen kleinen Beobachtungen feilt, denen man als Zuschauer buchstäblich beim Entstehen zusehen kann, wenn sie sich auf der Leinwand fortschreiben.

Laura ist begeistert von den Gedichten, die ihr Mann mit ihr teilt. Und sie ist es auch, die schließlich den Impuls gibt, dass Paterson sich endlich überreden lässt, das kleine Notizbüchlein, in das er seine Poeme hineinschreibt, zu kopieren. Am Wochenende soll es dann endlich soweit sein, verspricht er ihr – und damit, so ist Laura fest davon überzeugt, steht seinem Durchbruch nichts mehr im Wege. Nur kommt es natürlich anders …

Nach dem zwar ebenfalls umherdriftenden, aber dennoch ungemein faszinierenden Vorgänger Only Lovers Left Alive fühlt sich Paterson wie eine zenbuddhistische Übung in Langsamkeit, ritualisierter Wiederholung und Geduld an. Überhaupt kann man in Jarmuschs neuem Werk eine Vielzahl von Bezügen zu Philosophie und Lebensweisheit entdecken, die häufig jedoch genauso banal wirken wie Patersons Poeme, die sich gerne mal als Liebesgedicht ankündigen und dann zeilenweise über die Wahl der richtigen Streichholzmarke nachsinnen. Das ist zwar einerseits ein netter Verweis auf Limits of Control, andererseits aber bei aller Sympathie für den Hobbypoeten auch erschreckend banal. Gerade mit diesen Gedichten steht und fällt der ganze Film: Wer mit ihnen etwas anfangen kann und damit mit Paterson als Poeten, der beginnt im Laufe der Geschichte dessen Blick auf die Welt und all die vielen kleinen Zufälle, Dopplungen und Überlappungen als Beweis der Allgegenwart des Poetischen zu begreifen. Wehe dem aber, der die Schriftstücke für wenig gelungenes Selbsterforschungs- und Befindlichkeitsgeschreibsel hält, – für ihn löst sich der ganze Zauber im Handumdrehen in recht dünne Luft auf.

Richtiggehend ärgerlich wird der Film allerdings, wenn es um Laura geht, der Jarmusch nicht sehr viel mehr zuzuschreiben weiß als eine fast schon manische Besessenheit für grafische Designs in Schwarz und Weiß, eine bizarre Vorliebe für ungenießbare neue Rezepturen, mit denen sie ihren still erduldenden Ehemann traktiert, und hochfliegende Pläne für eine Karriere als Countrysängerin. Lauras höchstes Glück scheint darin zu bestehen, mit dem Verkauf von selbstgebackenen Cupcakes ein hübsches Sümmchen zur Haushaltskasse beigetragen zu haben. Und nicht einmal diesen Triumph gönnt ihr Jarmusch: Weil sie zu diesem Zweck das Haus verlässt, setzt sich erst jene Katastrophe in Gang, die gleichbedeutend ist mit dem schnellen Ende der poetischen Karriere ihres Gatten. Vielleicht, so denkt man sich am Ende, war vielleicht doch Marvin das einzige Lebewesen, das in Paterson über einigen künstlerischen Weitblick verfügte. Für mich ist der Film jedenfalls die bislang größte Enttäuschung des bisherigen Wettbewerbs.

(Festivalkritik Cannes 2016 von Joachim Kurz)

Paterson

„Take care of things close to home first. Straighten up your room / before you save the world. Then save the world.“ (aus „How to Be Perfect“ von Ron Padgett) Es mag etwas überraschend wirken, wenn eine Besprechung zu einem Film, der bisweilen wie eine Adaption eines gleichnamigen Gedichtes ankommt, nämlich „Paterson“ von William Carlos Williams, mit dem Zitat eines anderen Poeten beginnt.

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