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Kaum ein Feuilleton-Thema reizte die Berliner Kulturjournalisten zuletzt so lange und so intensiv wie die Nicht-Verlängerung von Frank Castorfs Vertrag als Intendant der Volksbühne. Was ist vom einstigen „Regietheater-Berserker“ geblieben? Wie geht es dem Traditionshaus heute?

Partisan (2018)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Sag’ beim Abschied leise „F***t euch“

Jetzt ist er also da, der großgewachsene neue Mann, der „aus der Volksbühne eine Eventbude machen“ (Claus Peymann) möchte: Chris Dercon. Inzwischen auch in der Wirklichkeit in seiner ersten Berliner Spielzeit – und nicht nur in den letzten Minuten von Partisan“, dem Gemeinschaftsfilm von Lutz Pehnert, Adama Ulrich und Matthias Ehlert, der nun im Rahmen der Berlinale im Panorama uraufgeführt wurde. Denn was war das doch in den vergangenen eineinhalb Jahren ein fast schon ständiges Blätterrauschen in den deutschen Feuilletons angesichts der „Causa Castorf“!

Im Film selbst darf der viel Kritisierte dann auch nur – wenig überraschend und im Prinzip auch recht geschmacklos – lediglich ganz kurz im Bild und selbstverständlich ohne eigenen O-Ton auftauchen, weil es in den vorherigen 120 Minuten ja schließlich darum ging, dass die Volksbühne unter Castorf „verdammt lange das gefährlichste Theater der Welt“ gewesen sei, wie das Alexander Scheer, eines der letzten Stargewächse des Intendanten am Rosa-Luxemburg-Platz, allen Anwesenden im anschließenden Q&A noch einmal ganz klar machen wollte.

Und da ist sicherlich etwas dran, zumindest theaterhistorisch. „Stücke-Zertrümmerer“ und „Regietheater-Berserker“ waren 1992, im Post-Wendetaumel, und zu Beginn dieser langen Berliner Theaterära noch die freundlichsten Vokabeln, die das traditionelle Hauptstadtfeuilleton für ihn und seinen radikalen Arbeitsstil („Überforderung als Prinzip“) übrig hatte, was sich anhand des oftmals clever und charmant montierten SFB-Archivmaterials (Schnitt: Thomas Kleinwächter) aus dieser Zeit durchaus auch heute noch einmal vermittelt.

Ansonsten gilt Frank Castorf unter vielen deutschen Theaterschaffenden allerdings als echter „Proben-Kotzbrocken“ mit manchmal durchaus diktatorischen Zügen, was sich in Partisan fairerweise bei Proben-Auszügen zu seiner letzten großen Faust-Inszenierung am Traditionshaus am Rosa-Luxemburg-Platz geradezu erspüren lässt. Martin Wuttke und Sophie Rois, zwei Stammschauspieler unter Castorf und gleichzeitig zwei seiner größten Stars, müssen in diesem harten Proben-Prozess wirklich einiges aushalten. Das sieht man – das hört man – das fühlt man. Und das hat Wolfgang Gaubes klarer Kamerablick in der Tat ziemlich ungeschönt eingefangen. 

Trotzdem gehören diese Momente zu den wenigen sperrigen Teilen in einer an sich verhältnismäßig brav-konventionellen Fernsehdokumentation im unverkennbaren Hommage-Modus, die sich im Zentrum immerhin um die Berliner Volksbühne dreht: Also nichts weniger als um den traditionellen Theater-trifft-Kunst-trifft-Experiment-Ort in Berlin, der zugleich den theoretisch-intellektuellen Kurs der Nachwendejahre durch Christoph Schlingensief, Christoph Marthaler oder Matthias Lilienthal maßgeblich mitbestimmte. 

Und so darf in diesem zwar überwiegend nett anzuschauenden, aber viel zu lang geratenen Fernsehprojekt schlussendlich noch einmal ein Großteil des verdienten Castorf-Ensembles (mit beispielsweise Henry Hübchen, Kathrin Angerer, Marc Hosemann oder Lilith Stangenberg) witzig-wehmütige bis frech-skurrile Theateranekdoten von sich geben. Kostproben gefällig? Sophie Rois: „Ich komm aus der österreichischen Provinz: Das gab’s keinen Sozialismus!“ – Martin Wuttke: „Die Volksbühne ist Power-Aging.“ – Alexander Scheer: „Ich habe da vor allem einen Haufen Schwerstgestörter“ auf der Bühne gesehen. 

Recht viel mehr war es dann aber nicht unbedingt: Die Krisenjahre (z.B. 2005 bis 2007) werden weitestgehend – wie wenig elegant – übergangen, der Bruch eines Herbert Fritsch mit dem launischen Hausherrn wird lediglich im Vorbeigehen und für Kenner der Theaterszene nicht besonders tiefgründig angerissen etc. pp. Doch sei’s drum: Das berühmte Volksbühnen-Plakat „Wir sind die Guten“ haben in Partisan ja nicht nur die Werkstättenmitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz hängen.

Wer hier großartige Reflexion oder eine besonders intellektuelle Film-Performance erwartet, kann ja dieser Tage woanders hingehen. Genau –  zur Volksbühne nämlich: Dort feiert jetzt Albert Serras Theaterprojekt Liberté Premiere – mit Helmut Berger, Ingrid Caven und Anne Tismer in den Hauptrollen. Da wird die „Eventbude“ sicher voll sein, oder?

Partisan (2018)

Nach dem Ende der DDR entstanden im vereinten Berlin neue künstlerische Freiräume. Als kurz nach der Wende Regie-Rebell Frank Castorf als Intendant an die Volksbühne kam, veränderte seine Arbeitsweise die öffentliche Wahrnehmung der Hauses. Das Publikum im Ostberlin der Nachwendezeit ließ sich von den radikalen Inszenierungen und Theatermarathons gerne herausfordern und die Volksbühne wurde legendär. Die chronologische Geschichte der Castorf-Ära zwischen 1992 und 2017 wird in Ausschnitten aus den Inszenierungen und Gesprächen auf dem langen Sofa im Foyer erzählt. Hier sprechen Schauspieler*innen wie Henry Hübchen, Sophie Rois, Martin Wuttke und Herbert Fritsch, der von der Schauspielerei ins Regiefach wechselte, wie auch Castorf selbst. Auch die Menschen hinter der Bühne, die für das Publikum meist unsichtbar bleiben, kommen zu Wort und stehen gleichberechtigt neben den prominenten Schauspieler*innen und Regisseuren. 
 

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