Parada

Eine Filmkritik von Stephan Langer

"Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt"

Nein, dies ist keine weitere Kritik von Rosa von Praunheims Experimentalfilm Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt, der 1971 auf der Berlinale uraufgeführt wurde und dessen spätere Fernsehausstrahlung zum Skandal geriet. Allerdings lässt sich der leicht sperrige Titel leider auch noch heute auf sehr viele Gesellschaften beziehen. Über 30 Jahre nach von Praunheim, im Jahr 2012, wiederum auf der Berlinale, widmet sich Srdjan Dragojević mit seinem Film Parada ebenfalls dem Thema Homophobie – und gewinnt damit den Panorama-Publikumspreis.
Die Ansätze der beiden Filme könnten verschiedener nicht sein: von Praunheim drehte seinen Film als stummen Film, den er danach mit einem soziologisch-politischen Off-Kommentar unterlegte, Dragojević wählt als Genre die Tragikomödie. Die traurige Gemeinsamkeit: von Praunheims sloganartiger Titel ist immer noch aktuell und beschreibt ohne Umschweife die gegenwärtige Situation in Serbien, dem Heimatland Dragojevićs. Den Hintergrund von Parada bilden reale Ereignisse in der jungen Geschichte des Landes: nämlich der Versuch von Aktivisten, die Gay Pride-Parade, einen öffentlichen Umzug Lesben und Schwuler durch Belgrad zu organisieren und durchzuführen. Selbst bezeichnet sich der Regisseur als Filmaktivist. Dementsprechend widmet er sich mutig einer nationalen Schande: 2001 wurde die Premierenparade in Belgrad von Gegnern niedergeprügelt und gestoppt, woraufhin der nächste Versuch erst 2009 unternommen wurde, der allerdings wieder scheiterte. 2010 fand dann die erste „erfolgreiche“ Parade statt, beschützt von 5000 Polizisten, die sich stundenlange Straßenschlachten mit 6000 Gegnern lieferten. 2011 wurde die Parade abgesagt, laut damaligem Präsident Tadić eine Maßnahme, um die Homosexuellen zu schützen. Solch eine unausstehliche Äußerung hätte Dragojević gut in seiner skurrilen Komödie Parada ver- und entwerten können.

Denn: Parada ist eine respektlose Parodie und nimmt auf ganz wunderbare Weise alles und jeden auf den Arm. Grenzüberschreitungen werden dabei in jeglicher Hinsicht zum komödiantischen Prinzip. Kommen wir zur turbulenten Geschichte: Old School-Macho Micky Limun (Nikola Kojo), ein homophober Patriot erster Güte, würde für zwei Dinge in seinem Leben beinahe alles tun, nämlich für seine Verlobte Pearl (Hristina Popovi) und seine englische Bulldogge Sugar. Nun stellt Pearl Micky vor eine folgenschwere Entscheidung: Sie besteht auf ihrer Wahl Mirkos (Goran Jevtić) als ihres Hochzeitsplaners. Dieser ist ein schwuler, erfolgloser Theaterregisseur, den Micky natürlich gar nicht mag. Mehr noch: Pearl gibt nur dann ihr Jawort, wenn Mickys Sicherheitsfirma die von Mirko und seinem Freund Radmilo (Miloš Samolov) organisierte Gay Pride-Parade beschützt, die massiven Anfeindungen und Drohungen ausgesetzt ist. Als sich dann Mickys Mitarbeiter weigern, Schwule zu beschützen, begibt er sich zusammen mit Radmilo in dessen pinken Mini auf eine Odyssee durch die angeschlagene, zerrissene Gesellschaft Ex-Jugoslawiens, um ein paar dubiose Weggefährten von früher als Helfer zu rekrutieren.

Parada arbeitet ganz nach parodistischem Prinzip mit allerhand verschiedener Stereotypen. Genauer gesagt besteht Dragojevićs Anliegen darin, ohne jegliches Moralisieren mit Hilfe dieser Stereotypen über die Ebene des Stereotypischen hinaus zu kommen. Sicher, er benötigt dazu die Klischees, aus denen sich Stereotypen zusammensetzen, um damit an die Erwartungen des „durchschnitts-homophoben Zuschauers“ (Dragojević) zu appellieren, die er anschließend überraschend düpiert. Das Mittel hierzu ist eine übersteigerte Verzerrung in der Inszenierung. Einer allzu tragischen Wirklichkeit und dem immensen Bollwerk des Machismo der Balkanregion kommt man in diesem Fall mit Übertreibung viel näher als mit abbildendem Realismus. Man denke an all die ultraorthodoxen Kirchenvertreter, die Kreuze segnen und diese als Schutz vor sich und gegen die homosexuellen Demonstranten halten, die mordenden Neonazis, die zum Großteil wirklich noch Glatzen tragen, all die anderen wirren Vaterlandsverteidiger. Dem Verhalten dieses Mobs ist gerade deswegen mit realistischer Filmsprache nicht mehr beizukommen, weil es selbst schon grotesk und surreal ist. Solch einer surrealen Realität kann man nur mit parodistischem Humor nahe kommen.

In Parada werden oft Gemeinsamkeiten im Gegensätzlichen gesucht, so wie zum Beispiel die Liebe zu alten Filmen, die das schwule Pärchen auszeichnet aber auch Micky. Mickys Filmfavorit ist dabei eindeutig der Inbegriff tiefer Männerfreundschaft, Ben Hur, mit Radmilos Worten „einer der schwulsten Filme aller Zeiten“. Diesem Urteil widersetzt sich Micky vehement, allerdings merkt auch er immer mehr, dass Männer natürlich auch mit Männern eng befreundet sein können und dass sich nur das individuelle Ausleben solch einer Männerfreundschaft bei jedem unterscheiden kann. Oder: Anfangs sind die Motive von Micky und Radmilo die Parade stattfinden zu lassen, sehr unterschiedlich: Micky möchte mit der Aktion unbedingt das Ja-Wort von Pearl ergattern, während Radmilo politisch für eine Sache kämpft und weiß, dass er vom korrupten Polizeiapparat in Belgrad keinerlei Unterstützung erwarten darf. Im Laufe des kleinen Roadtrips durch Ex-Jugoslawien jedoch entdeckt Micky das Menschliche in Radmilo und das Menschliche in dessen politischem Anliegen.

Apropos Politik: Neben dem Hauptthema Homophobie deutet Regisseur Dragojević nebenbei eine Art Snapshot-Panorama des gegenwärtigen Gemütszustands des Balkans nach den ganzen Unabhängigkeitskonflikten an, nämlich während des eben erwähnten Roadtrips. Micky stellt seine Truppe aus alten Freunden zusammen: Roko, Kroate – Halil, Bosnier – Azem, Kosovo-Albaner. Eigentlich müssten sich die drei die Köpfe einschlagen, wenn man politische Entwicklungen und Trennungen der letzten Jahrzehnte betrachtet. Das tun sie aber nicht. Genauso wie sie es früher nicht getan haben, obwohl es laut üblicher Meinung dem anderen gebührt. (Männer)Freundschaften auf dem Balkan sind trotzig und gehen tiefer als jeder Versuch einer Politisierung von außen. Die Stadt Belgrad als kultureller Schmelztiegel des Balkans und Ort des Geschehens in Parada verbindet sie alle. Als die bunte Truppe nach Belgrad gelangt und in die Stadt hineinfährt, erinnern sich alle an vergangene Erlebnisse, die sich hier abspielten. Jugoslawien ist nämlich noch nicht mausetot, denn: In kultureller Hinsicht existiert Jugoslawien weiterhin im kollektiven Bewusstsein der Menschen dieser Regionen.

Vorgeworfen wird dem Film und seiner Vorgehensweise, sie wären zu platt und vulgär, der Film würde sich anbiedern und eben nicht jedes Tabu brechen, wie zum Beispiel zwei sich küssende Männer zeigen. Das kommt in der Tat nicht vor. Dafür ist Regisseur Dragojević zu schlau. Hätte er eine solche Szene untergebracht, würden sich viele Leute ausschließlich über den Kuss unterhalten oder echauffieren. Damit wäre die breite Themenpalette von Parada auf eine Szene reduziert und die Debatte darüber würde womöglich die inhaltliche Kritik, die der Film vorbringt, übertünchen. Deswegen lässt er sie lieber weg.

Noch mehr des Lobes: Parada versteckt sich nicht hinter dem eigenen Humor, indem er konstant auf der lustigen Ebene verbleibt. Gegen Ende hält die tragische Realität Einzug in den Film. Der Film geht über Leichen, genauso wie die Wirklichkeit, die der Film verzerrt spiegelt, über Leichen geht. Und das ist auch sehr gut so. Der Unterschied zwischen Kunst und Leben ist nun einmal, dass die Kunst nicht töten kann. In diesem Sinne: Gehen Sie ins Kino und schauen Sie sich diesen herrlichen Film an! Und: Homophobie ist heilbar.

Parada

Nein, dies ist keine weitere Kritik von Rosa von Praunheims Experimentalfilm „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“, der 1971 auf der Berlinale uraufgeführt wurde und dessen spätere Fernsehausstrahlung zum Skandal geriet. Allerdings lässt sich der leicht sperrige Titel leider auch noch heute auf sehr viele Gesellschaften beziehen. Über 30 Jahre nach von Praunheim, im Jahr 2012, wiederum auf der Berlinale, widmet sich Srdjan Dragojević mit seinem Film „Parada“ ebenfalls dem Thema Homophobie – und gewinnt damit den Panorama-Publikumspreis.
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Meinungen

Europäer · 22.12.2012

@Tanja

Ich weiß ja nicht welchen Film Du angeschaut hast, aber es war sicher nicht "Parada".

Das "die Serben", wie Du in Deinem Kommentar stets schreibst, Homophob sind, wissen diese - deshalb entstand der Film. Was Du aber gänzlich auslässt - auch "die Serben" werden im Film karikiert, wie eben auch alle anderen Figuren. Nur stört es Dich da nicht, weshalb Du es auch nicht monnierst.

Wäre, das was Du schreibst, auch nur annähernd richtig, wäre "Parada" nicht so gut angenommen worden und hätte nicht weit über 160 000 kroatischen Kinobesuchern einen vergnüglichen Abend bereitet. Die Kroaten waren als Erste als Geldgeber eingesprungen (Croatian Audio-Visual Center (HAVC))! In Pula gewann der Film zahlreiche Preise, beim dortigen Filmfestival. Das wäre sicher nicht der Fall gewesen, wenn der Käse, den Du hier aufführst, richtig wäre.

"Jugonostalgie" ist nicht nur in Serbien vertreten, sondern auch in Kroatien, Bosnien ... wahrscheinlich bist Du eine Kroatin, die Gespenster sieht ... sonst hättest Du sicher auch bei der Bosniakischen Figur einen Makel entdeckt.

Auch in den ex-UDSSR Staaten gibt es dieses Phänomen und auch unsere DDRler hegen Nostalgie ... also Calm down.

Tanja · 20.09.2012

einerseits war ich tief ergriffen - der film ist schon gut und wichtig. aber leider flechtet er im gleichen zug wo er primär gegen die eigene homophobie im land ankämpft, alte konservative klischees im bezug zum krieg in den neunzigern ein: von altem hass und selbstrechtfertigungsdrang durchtränkte bilder werden voll zelebriert: nationalistisches kroatien anhand von rokko der noch betont froh zu sein - mitten in serbien serben töten zu dürfen und primitive, prinzipienlose, drogendealende, allesfickende kosovo-albaner.
dabei hat der serbische kriegsveteran (hauptfigur) all diesen 'feinden' das leben gerettet und sie tun ihren 'job' dem hinter der dicken schale eines kriegsverrohten matchos einen 'freundschaftsdienst' zu erweisen, da er obwohl damals feind, so gut war, sie zu retten...
auch wird ein weiteres in serbien oft weitergeträumtes bild heraufbeschworen: die rück-vereinigung aller ehemaliger jugo-staaten. es ist als würden die russen wieder von der sowjetunion träumen..
hach, schade, dass er diesen roadtrip derart mit alten, negativen bildern aufladen mussste über ihre nachbarn, die sich nun mal von ihnen SCHEIDEN LIESSEN und gern ihr eigenes leben, auch wenn in frieden und gegenseitiger kollegialschaft - so doch, unabhängig sein wollen. etwas, was die serben im kern noch nicht annehmen können. leider geschieht dadurch dass der kroate so extrem nationalistisch und der albanre so drecks-primitiv gezeichnet wurde ... auch noch so ne erhöhung der serbischen kriegsfigur. edel im innern, ein weiterer rehabilitierungsversuch der serben, ihre schuld an diesen (angriffs)-kriegen zu verwischen, zumindest richtig gut zu verteilen.

schade darum im film. es ist als hätte er ZUCKER geben müssen nebst der BITTEREN PILLE die er seinem volk und der welt verabreicht über ihre selbstreflexion: ZUCKER: nationalistische kroaten, primitive kosovo-albaner, BITTERE PILLE: wir serben sind homophob und das muss sich ändern...

Mira · 19.09.2012

Ich fande den Film alles andere als unterhaltsam. Zusammengewürfelte und überzogene Klischees aus der "gay-community" mit vielen parallelen zu "Ein käfig voller Narren" (Das Original von 1978!) - mit starker Würze Balkan-Konflikt. Meiner Meinung nach misslang es Tiefe in den Film zu bringen. Schade.

Hermann Berlin · 17.09.2012

Die völlig an jeder Realität vorbei gehende Abarbeitung aller denkbaren schwulen Klischees mit einem Ensemble, das eben den Klischees widerspricht, hat uns einen wirklich begeisternden Abend verschafft. Chapeau !!

Daniel · 16.09.2012

Na also ,geht doch.. Europa ist in der Lage sehr gute Filme Film aus Serbien..Kenne ja sehr viele Leute aus dem ehemaligen Jugoslawien.. Serben, Kroaten, Bosnier etc.. aber auf jedenfall was für die DVD-Sammlung später..