Palindrome (2004)

Eine Filmkritik von Michael Spiegel

Der Mensch ein Hcsnem!

Was sind Palindrome? Wörter und Sätze, die vor- und rückwärts gelesen identisch sind. Warum heisst der fünfte Spielfilm von Todd Solondz nur so? Interpretationsmöglichkeiten nach einer recht unbequemen, weil schmerzhaften Sichtung: unendlich viele. Der gutmeinende Rat des Regisseurs von Welcome to the Dollhouse und Happiness: „Auch wenn ihr nicht sicher seid, ob ihr das Wie und Warum von all dem begreift (und ich bin mir nicht sicher, ob ich es selbst begreife), lehnt Euch einfach zurück und schaut.“ Ein Hinweis, der eigentlich eine weitere Kritik verbietet. Ganz abgesehen davon, dass man auch keine Lust mehr hat, noch eine zu schreiben — zuviel geht einem nach dem Schauen durch den Kopf. Deshalb hier nur ein Versuch:

Irgendwie geht alles vom zwölfjährigen Mädchen Aviva (Achtung: Palindrome!) aus, die, beseelt von einem enormen Kinderwunsch, alles darauf anlegt, schwanger zu werden und auch wird. Nach vorpubertärem, spaßlosen Sex flippen die zwanghaft-liebevollen, selbst psychisch kranken Eltern aus („You are my one and only“) und zwingen Aviva zur Abtreibung, was die eh schon traumatisierte Tochter zur Flucht aus dem Elternhaus veranlasst. Doch besser wird es alles nicht; sie gerät in eine rohe, manchmal auch seltsam aufregende Welt, es kommen hässliche, manchmal auch gutmeinende Menschen auf sie zu … Dass Aviva dabei von einer Vielzahl unterschiedlicher Darstellerinnen im Alter zwischen sechs Jahren und dem Erwachsenenalter gespielt wird — mal schwarz, mal weiß, mal dick, mal dünn – stört nur zu Anfang und lässt die Dimension erahnen, die der Regisseur im Auge hatte.

Im Endeffekt handelt es sich bei Palindrome, der aufgrund seiner Beschreibung in Kapiteln auch märchenhafte Züge trägt, um einen großen Horrortrip voll abstruser Freaks und Tabubrüchen, der bei Easy Listening Musik von einer verrückten Welt berichtet, die komplett neurotisch und irrwitzig ist, in der von fatalen Abhängigkeiten, falscher Liebe und der ewigen Suche nach Glück erzählt wird. Ein Fünkchen Hoffnung oder Mut lässt einem Todd Solondz bei all der Schonungslosigkeit auch am Ende nicht — denn das Leben bleibt für ihn unausweichlich, die Suche nach Veränderung totale Illusion. Und hier erschließt sich vielleicht dann doch das Palindrome dieses Films: der einzelne Mensch bleibt aufgrund seiner genetischer Bestimmung immer der, der er ist. Der Mensch ein Hcsnem!
 

Palindrome (2004)

Was sind Palindrome? Wörter und Sätze, die vor- und rückwärts gelesen identisch sind. Warum heisst der fünfte Spielfilm von Todd Solondz nur so?

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Meinungen

· 22.09.2008

Ein ganz heftiger Film, den ich letztens in der Nacht im TV noch einmal geschaut habe, und es gibt immer noch neue Details zu entdecken. Allerdings ein schwerer, verstörender Stoff, der einen eine Weile nicht loslässt.