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Das oscarnominierte Regie-Paar Christina Gallego und Ciro Guerra aus Kolumbien ist zurück. In Birds of Passage exerzieren sie bis zum bitteren Ende durch, was Gier mit Menschen macht.

Birds of Passage - Das grüne Gold der Wayuu (2018)

Eine Filmkritik von Maria Wiesner

Süße Droge Kapitalismus

„Say no to communism“, sagt der langhaarige Hippie-Amerikaner zu Raphayet (Jose Acosta). Er ist für das Friedenscorps nach Kolumbien gekommen und schiebt diesen Satz noch ganz überzeugt nach, als er sich eigentlich schon verabschiedet hat. Raphayet nickt zustimmend: „Klar, lang lebe der Kapitalismus!“ Die beiden haben gerade einen Deal geschlossen, und schon mit dem Satz ist klar, dass das hier nicht gut enden wird.

Der Amerikaner ist nicht im Land, weil er sich um die politische Lage in Lateinamerika sorgt, er ist scharf auf die Drogen, die ihm dieser Einheimische vom Stamm der Wayuu billig besorgen kann. Raphayet redet sich bei ihrem Handschlag noch ein, dass er die Gelegenheit nur nutzt, um schnell an das Geld für seine Mitgift zu kommen. Er ahnt noch nicht, wie verführerisch das Versprechen des Kapitalismus ist, wenn man sich erst einmal an Reichtum gewöhnt hat.

Was Gier mit Menschen macht, exerziert Birds of Passage bis zum bitteren Ende durch. Am Anfang steht noch nicht die Gier, sondern als deren kleine unschuldigere Schwester das Verlangen. Genauer: das Verlangen nach dem Besitz einer Frau. Raphayet will Zaida (Natalia Reyes) haben, die schöne Tochter einer mächtigen Familie seines Stammes. In einem rituellen Tanz umwirbt er sie. Sie ist in rote bestickte Tücher gehüllt, die sie umflattern wie die Schwingen eines großen wilden Vogels, während sie vor und zurück tänzelt, immer im Kreis der Familienmitglieder, und Raphayet versucht, sich ihr ebenso schnell tänzelnd zu nähern. Ein kurzes flirtendes Begehren umspielt ihren Blick. Als die Trommeln aufhören und beide sich außer Atem gegenüberstehen, raunt er ihr zu: „Du gehörst jetzt mir.“ Da hat er seine Rechnung aber noch ohne die Mutter gemacht.

Ursula (Carmina Martinez) ist die Traumdeuterin der Familie, kann verstehen, was die Vögel sagen und spricht mit den Seelen der Verstorbenen. Sie ist eine wichtige Frau in der Familie, vor allem aber ist sie nicht von den Qualitäten des jungen Mannes überzeugt. Sie setzt eine hohe Mitgift an, die er aus seinen Mitteln nicht aufbringen könnte, das weiß sie. Als er nach dem Marihuana-Deal dann doch plötzlich damit auftaucht, ist sie überrascht, gibt ihm aber trotz Bedenken ihre Tochter zur Frau, wie sie es versprochen hat. Damit ist der Untergang ihrer Familie besiegelt, denn Raphayet unterliegt schon bald den Versuchungen, die das schnelle Geld und die Verlockungen des Konsums mit sich bringen. Er will mehr: mehr Status, mehr Geld, mehr Macht – und dafür wird viel Blut fließen.

Der kolumbianische Regisseur Ciro Guerra hat Birds of Passage zusammen mit seiner Frau Cristina Gallego gedreht. Beide arbeiteten bereits für ihr oscarnominiertes Werk Der Schamane und die Schlange (2015) zusammen. Diesmal führte Gallego ebenfalls Regie. Im Gegensatz zu Serien wie Narcos oder der kolumbianischen Telenovela-Variante Escobar: El Patron del Mal findet sich in Birds of Passage keine coole Verherrlichung der Druglords. Der Film erzählt, was das Drogengeschäft mit einem Stamm macht, der – wie es eine der Familienältesten kurz vor dem bitteren Ende sagt – bereits Piraten, Spanier, Engländer und alle anderen Varianten von Landräubern überlebt und vertrieben hat. Nur dass die Amerikaner mit ihrem Kapitalismus eine Droge ins Land bringen würden, die viel mächtiger als jede Tradition, jede Familienbande wäre, damit rechnete die Frau nicht.

Regisseurin Gallego setzte den Fokus der Geschichte mit Absicht auch auf die Frauen, wie sie in Cannes vor der Premiere des Films sagte. Birds of Passage beruht auf wahren Begebenheiten, die sich in Kolumbien in der Gegend des Wayuu-Stammes in den Jahren 1960 bis 1980 abspielten. Es sei schwer, den Mut zu finden, über diese Geschichten zu sprechen, besonders wenn man selbst eine Frau in einem Entwicklungsland ist, sagt Gallego in Cannes. Ihr Film zeigt die Frauen der Wayuu als Bewahrerinnen der Tradition, die unter der Gier ihrer Männer am meisten leiden müssen. Ihnen allein obliegt es, die Toten zu beklagen und zu beerdigen. Und es wird etliche Tote geben, wenn der Kampf um den Drogenmarkt beginnen. Neffen werden ihre Onkel tödlich beleidigen. Ein Mann wird für einen Sack Geld wortwörtlich Scheiße fressen. Familien werden sich in der Gier nach dem Geld der Amerikaner gegenseitig auslöschen.

Guerra und Gallego erzählen diese blutige Geschichte als kraftvollen ruhigen Thriller in vier Kapiteln, beginnend mit der Entdeckung des „Wilden Grases“, auf das die Amerikaner so scharf sind, über die „Gräber“, die es auszuheben gilt, bis hin zur Goldgrube „La Bonanza“, in der sich die Familie um Raphayet durch den Reichtum endlich in Sicherheit wiegt, dabei aber nicht merkt, dass sie auf dem Höhepunkt ihrer Machtbesessenheit bereits im Fall begriffen ist und kein Haus, kein Dekor, kein Schmuck sie vor dem unvermeidlichen Untergang retten kann. Diesen Untergang inszenieren Guerra und Gallego in epischen Bildern. Das schöne weiße Haus, das Raphayet einem Leuchtturm gleich in das flache Grasland bauen ließ, um von seinem Reichtum weithin zu künden, wird beim Showdown spektakulär in eine Ruine verwandelt, über deren rauchenden Überresten sich apokalyptische Gewitterwolken ballen.

Das letzte Kapitel heißt „Limbo“. Nur zwei Frauen haben die Massaker überlebt. Eine wird ihre letzte Habe, ihren Schutz und ihren Stolz aufgeben müssen, um ihre Toten würdig zu beerdigen. Die andere wird in die Steppe ziehen, vergessen und sich ein eigenes Leben aufbauen. Allein – aber frei von allem.

Birds of Passage - Das grüne Gold der Wayuu (2018)

Kolumbien in den 1970er Jahren: Eine Familie der indigenen Wayuu wittert im Handel mit der Modedroge Marihuana das großes Geschäft und will sich ein Stück vom Kuchen sichern. Doch neben Geld und Macht bringt ihnen das auch Gewalt ein, die sie fortan in ihrem bis dahin friedlichen Leben begleiten wird.

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Meinungen

Martin Zopick · 13.07.2023

Wir sind in den 60er Jahren in Kolumbien. In einer archaischen Männergesellschaft haben auch Frauen ein Wörtchen mitzureden, wenn es um die Hochzeit geht. Die indigene Bevölkerung lebt in Stammesformationen. Die Familie ist alles. Sie verleiht Schutz und Ansehen. Bei einer Heirat wie hier zwischen Rapayet (José Acosta) und Zaida (Natalie Reyes) verhandeln die Stammesältesten. Auch die alte Ursula (Carmina Martinez), die Mutter von Zaida ist dabei. Beide gehören zum Stamm der Pushiana, einer mächtigen Volksgruppe innerhalb der Wayuu. Wenn es zu Unstimmigkeiten kommt, werden Wort Boten ausgetauscht, die die Verhandlungen leiten. Wenn das nicht zur Lösung des Problems führt, gibt es Krieg. Da ist Sippenrache an der Tagesordnung.
Man hatte den anderen Clans seine Macht demonstriert z.B. durch eine Demütigung: Hier ein Koffer voll Geld, wenn der Übeltäter Hundekot isst. Man dezimiert sich gegenseitig bis am Ende fast keiner mehr überlebt. Also keine Happy End für Rapa und Zaida.
Das Regiepärchen Guerra/Gallego erzählt in fünf Kapiteln – Lieder genannt – in einer beeindruckenden Bildersprache den Aufstieg und das Ende eines Clans.
Die Menschen leben zwischen Traditionen mit Geisterglauben und Traumdeutungen und Moderne. Ein Talisman ist von zentraler Bedeutung. Die meisten sind steinreich, fahren dicke SUVs und die Männer sind ständig dabei ihre Ehre hochzuhalten. Die Frauen wie hier die alte Ursula reden bei den Geschäften ein wichtiges Wörtchen mit.
Die Fülle von Figuren neben den drei Hauptakteuren lässt dem Zuschauer Platz für Distanz zu ihnen. So beeindrucken nur die Bilder weniger die individuellen Schicksale.
Eine andere Welt. Voller Dämonen und Gewalt. Eine völlig andere Welt. Und das im 21. Jahrhundert.

Martin Zopick · 30.10.2020

Wir sind in den 60er Jahren in Kolumbien. In einer archaischen Männergesellschaft haben auch Frauen ein Wörtchen mitzureden, wenn es um die Hochzeit geht. Die indigene Bevölkerung lebt in Stammesformationen. Die Familie ist alles. Sie verleiht Schutz und Ansehen. Bei einer Heirat wie hier zwischen Rapayet (José Acosta) und Zaida (Natalie Reyes) verhandeln die Stammesältesten. Auch die alte Ursula (Carmina Martinez), die Mutter von Zaida ist dabei. Beide gehören zum Stamm der Pushiana, einer mächtigen Volksgruppe innerhalb der Wayuu. Wenn es zu Unstimmigkeiten kommt, werden Wort Boten ausgetauscht, die die Verhandlungen leiten. Wenn das nicht zur Lösung des Problems führt, gibt es Krieg. Da ist Sippenrache an der Tagesordnung.
Man hatte den anderen Clans seine Macht demonstriert z.B. durch eine Demütigung: Hier ein Koffer voll Geld, wenn der Übeltäter Hundekot isst. Man dezimiert sich gegenseitig bis am Ende fast keiner mehr überlebt. Also keine Happy End für Rapa und Zaida.
Das Regiepärchen Guerra/Gallego erzählt in fünf Kapiteln – Lieder genannt – in einer beeindruckenden Bildersprache den Aufstieg und das Ende eines Clans.
Die Menschen leben zwischen Traditionen mit Geisterglauben und Traumdeutungen und Moderne. Ein Talisman ist von zentraler Bedeutung. Die meisten sind steinreich, fahren dicke SUVs und die Männer sind ständig dabei ihre Ehre hochzuhalten. Die Frauen wie hier die alte Ursula reden bei den Geschäften ein wichtiges Wörtchen mit.
Die Fülle von Figuren neben den drei Hauptakteuren lässt dem Zuschauer Platz für Distanz zu ihnen. So beeindrucken nur die Bilder weniger die individuellen Schicksale.
Eine andere Welt. Voller Dämonen und Gewalt.

Sneaker · 28.03.2019

Für mich war der Film einfach nicht logisch, brutal und zu lang. Evtl. kann man den FIlm nur verstehen, wenn man das Land kennt.