Over Your Cities Grass Will Grow (2010)

Eine Filmkritik von Katrin Knauth

Ein Film über das Werk Anselm Kiefers

Für alle, die Anselm Kiefers Kunst mögen oder seine Kunst schon immer einmal kennenlernen wollen, ist das unkonventionelle Künstlerporträt mit dem sperrigen Titel Over Your Cities Grass Will Grow genau das Richtige. Alle anderen Zuschauer werden sich über den Dokumentarfilm von Sophie Fiennes, der Schwester von Joseph und Ralph Fiennes, eher wundern, wenn nicht sogar langweilen. Der Film ist alles andere als ein unterhaltsames Biopic. Er ist vielmehr eine Studie, die Anselm Kiefers künstlerisches Schaffen in „La Ribaute“ bei Barjac in Südfrankreich betrachtet. In „La Ribaute“ schuf der deutsche Künstler von 1993 bis 2008 einen mystischen Kosmos aus Natur und Kunst.

Bereits der Anfang des Films kostet allerhand Geduld und Konzentration. Er beginnt mit einer fast zwanzigminütigen kommentarlosen, von eindringlicher Musik begleiteten Kamerafahrt. Zu sehen sind menschenleere Schächte und Wände, Beton und Glas, immer wieder Fenster und Licht. Die meditativen Bilder gleichen einem gefilmten Ausstellungsbesuch, ohne das der Zuschauer weiß, in welcher Ausstellung er sich befindet. Schließlich zeigt die Filmemacherin Menschen bei der Arbeit, der Kunstarbeit, und verortet den Zuschauer auf dem von Anselm Kiefer in über 15 Jahren künstlerisch gestalteten Areal der ehemaligen Seidenfabrik „La Ribaute“.

Anselm Kiefer begegnen wir mitten im kreativen Schaffensprozess. Seine Arbeitsmontur ist eine helle, lange Stoffhose und ein schwarzes T-Shirt. Mit einem großen Pinsel spritzt er Farbe auf ein Kunstwerk am Boden. Es ist der Großkünstler in seinem Atelier mit seinen Assistenten, die ihm die Farbe reichen, damit er sich nicht bücken muss und sein Telefon beantworten, damit er nicht gestört wird. Ein Mann wie dieser arbeitet nicht allein. Anselm Kiefer gehört zu den erfolgreichsten, aber auch umstrittensten deutschen Künstlern der Gegenwart. Sein künstlerisches Oeuvre umfasst Malerei und Bildhauerei, hauptsächlich inspiriert von Joseph Beuys.

Sophie Fiennes blickt dem Künstler während seines Schaffens über die Schulter, beobachtet, wie ein Kunstwerk nacheinander entsteht. Betrachtet ohne zu bewerten, wie Erde, Asche, Staub, Farbe, Feuer und Wasser Teil des Ganzen werden. Grau, braune Töne dominieren. Zink und Blei wird auf die Bilder gegossen, Holzplatten übereinander gestapelt, unterirdische Tunnel gegraben. Den poetischen Titel Over Your Cities Grass Will Grow entlehnt Anselm Kiefer einem Kapitel aus dem biblischen Buch des Jesaja, in dem es heißt: „Über euren Städten wird Gras wachsen“. Den Künstler fasziniert der darin innewohnende Kreislauf von Schaffen, Werden und Vergehen.

„Bei der Arbeit denke ich einen in der Kindheit gebildeten Raum zu füllen“, sagt Kiefer in dem Interview mit dem Autor Klaus Dermutz, das etwa in der Mitte des Films einsetzt. Die beiden sitzen in der Bibliothek von Anselm Kiefers Künstlerstudio und sprechen über Licht, Schönheit und Fortschritt. Kiefer wählt jedes Wort so behutsam, als würde er es vorher auf einer Wagschale abwägen. Die Schönheit treibt seine Arbeit an, die sehr aufwendig ist und überdimensional, monumentale Formate annimmt, die den musealen Rahmen allemal sprengen. Umso wichtiger ist es, dass wir über den Film Zugang zu Kiefers Kunst bekommen und von seiner Außergewöhnlichkeit beeindrucken lassen können. Jedoch stellt sich die Frage, wozu ein Kunstwerk dient, wenn es nur über das Medium Film erschlossen werden kann. Ein richtiger Ausstellungsbesuch ist immer noch besser als ein filmischer. Zumindest was die Kunst in „La Ribaute“ betrifft.
 

Over Your Cities Grass Will Grow (2010)

Für alle, die Anselm Kiefers Kunst mögen oder seine Kunst schon immer einmal kennenlernen wollen, ist das unkonventionelle Künstlerporträt mit dem sperrigen Titel „Over Your Cities Grass Will Grow“ genau das Richtige.

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