Our Beloved Month of August

Eine Filmkritik von Wolfgang Nierlin

Liebesdreieck im Herzen Portugals

Mit einer ungewöhnlich ausführlichen, verzweigt und richtungslos erscheinenden Exposition beginnt Miguel Gomes seinen zweiten langen Film Aquele querido mês de Agosto (Our Beloved Month of August). Mäandernd und fast absichtslos fügen sich darin die einzelnen Episoden, die ein abruptes Fließen miteinander verbindet, zum Mosaik einer Landschaft und seiner Bewohner im Herzen Portugals. Bei aller Komplexität akzentuiert der 1972 in Lissabon geborene genialische Filmemacher damit jedoch nicht die Differenz oder das Auseinanderstrebende. Seine fragmentarische, nebenordnende Erzählweise führt vielmehr auf Nebenwegen zu einer Geschichte, indem sie deren Bestandteile aus einem Mikrokosmos löst beziehungswiese in einen fortlaufenden filmischen Prozess Spuren der Identität integriert.
So dominiert im ersten Drittel des Films ein dokumentarischer Gestus des Zeigens und Beobachtens, der sich zu einer ethnographischen Studie verdichtet. Bewohner des Städtchens Arganil erzählen von örtlichen Dramen und persönlichen Geschichten; Arbeiten in einer Zeitungsdruckerei und in einem Radiosender werden gestreift; ein erlegtes Wildschwein wird abgeschwartet; von einem hochgelegenen Beobachtungsposten in den Bergen werden die feuergefährdeten Waldgebiete überwacht. Dabei unterbrechen und strukturieren Prozessionen und Umzüge sowie sommerliche Musik- und Tanzveranstaltungen den kontinuierlichen Fluss von Alltagsimpressionen. Freud und Leid eines einfachen Lebens werden sowohl in den Vergnügungen der Menschen als auch in den teils kitschigen, stets gefühlsseligen Schlagerliedern transportiert und gespiegelt. Dabei entsteht eine symbolische Ebene, die in Korrespondenz tritt zu den Momenten einer sich entwickelnden fiktiven Geschichte.

Denn das Eingeführte erschließt sich gewissermaßen im Nachhinein, indem reale Personen und dokumentierte Details an vertrauten Orten und in gewohnten Zusammenhängen fiktive Rollen übernehmen, so dass eine dramatische, gleichwohl entdramatisierte Handlung entsteht. Deren dokumentarische Erdung bleibt immer präsent. Ein von seiner Frau verlassener Vater wacht besitzergreifend und eifersüchtig über seine erwachsene Tochter Tânia (Sónia Bandeira), die zusammen mit ihrer Freundin Lena (Andreia Santos) und ihrem Cousin Hélder (Fábio Oliveira) ein Liebesdreieck aus erwachenden Gefühlen, Eifersüchteleien und Unabhängigkeitsstreben bildet. Vater und Tochter, deren Verhältnis in der öffentlichen Meinung unterschwellig inzestuöse Züge trägt, singen zusammen in einer Schlager-Band. Wenn eines der Lieder davon spricht, für die Liebe sterben zu wollen, verweist das auf Tânias Wunsch, Abstand vom Elternhaus zu gewinnen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Und weil die junge Frau deshalb manchmal auch in der Gruppe des Gitarristen Hélder singt, dem Schwarm ihres sehnsuchtsvollen Herzens, entfacht das wiederum den argwöhnischen Zorn ihres Vaters.

Ein Bild der Gefahr und Willkür eröffnet den nur scheinbar unbeschwerten Sommerfilm Aquele querido mês de Agosto: Ein Fuchs pirscht gierig um das Gehege von Hühnern, die instinktiv jeweils zur anderen Seite ausweichen. Ein Naturgesetz anderer Art folgt etwas später, wenn Dominosteine, von Regisseur Miguel Gomes selbst in einer langen Reihe aufgestellt, durch den Luftzug einer abrupt geöffneten Tür in einer Kettenreaktion umfallen. Niemand anderes als der unzufriedene Produzent des Films ist der Verursacher. Immer wieder muss er sich mit dem entschiedenen, wenig kompromissbereiten Regisseur Gomes auseinandersetzen, der selbstreflexiv die Entstehung seines Films gleich mit thematisiert. Das ist jedoch weniger als Film-im-Film zu verstehen. Als Dokument seiner Herstellung ist Gomes‘ filmpraktischer Diskurs im fertigen Werk vielmehr ein Bestandteil unter anderen. Darin geht es vor allem um das Filmemachen selbst: sein prozesshaftes Werden, seine parataktische Gliederung, seine wesentliche Realitätshaltigkeit sowie seine tatsächliche Existenz.

Our Beloved Month of August

Mit einer ungewöhnlich ausführlichen, verzweigt und richtungslos erscheinenden Exposition beginnt Miguel Gomes seinen zweiten langen Film „Aquele querido mês de Agosto“ („Our Beloved Month of August“). Mäandernd und fast absichtslos fügen sich darin die einzelnen Episoden, die ein abruptes Fließen miteinander verbindet, zum Mosaik einer Landschaft und seiner Bewohner im Herzen Portugals.
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