ostPunk! too much future

Eine Filmkritik von Joachim Kurz

Der wilde Osten

Punk in der DDR, das klingt zunächst einmal wie ein Widerspruch. Und genau das ist es auch, allerdings weniger, weil Punk im Arbeiter- und Bauernstaat so absurd und deplatziert gewirkt hätte. Vielmehr war Punk in der DDR viel stärker als in Großbritannien und in (West-)Deutschland vor allem auch ein politisches Statement, das für die Akteure der dortigen Szene ungleich gefährlicher war als für ihre Brüder im Geiste im Westen. Die deutlich zur Schau getragene Opposition gegen den wohlmeinenden sozialistischen Staat, der seinen Bürgern das Paradies auf Erden versprach, wandte sich gegen den von oben zwangsverordneten Zwangsoptimismus, gegen das eintönige Einerlei aus Planerfüllung, vorgezeichneten Lebenswegen, Karrierechancen, die sich weniger aus Begabung sondern vielmehr aus Wohlverhalten ergaben und dem uniformierten Gleichmarsch. Ab 1979 entstanden in der DDR Bands wie Wutanfall, Schleimkeim, L’Attentat, Betonromantik und Planlos, die nach dem Vorbild westlicher Bands ihre Wut über die eigene Perspektivlosigkeit herausbrüllten und dazu ihre Instrumente malträtierten.
In ostPunk! too much future haben die beiden Filmemacher Carsten Fiebeler und Michael Boehlke, beide ehemals selbst Angehörige der Punk-Szene im Arbeit- und Bauernstaat, die erste Phase der Bewegung in der DDR Revue passieren lassen. Sie erkunden damit ein bislang weitgehend unbekanntes und unerforschtes Gebiet in der jüngsten deutsch-deutschen Geschichte – das Verhältnis des autoritären Staates zu den verschiedenen Subkulturen, die sich nicht in das Staatsgefüge hineinzwängen lassen wollten. Ihr Anderssein machte sie quasi zu Republikflüchtlingen, die – zumindest in den Augen der Partei – einen gefährlichen Staat im Staate bildeten. Nicht wenige wanderten ins Gefängnis, andere wurden gezielt zur Armee einberufen und wieder andere schafften mit der ersten Ausreisewelle den Absprung in den Westen, so dass Mitte der Achtziger die Szene praktisch ausgetrocknet worden war.

In ausführlichen Gesprächen, die von wilden und rauen Super8-Aufnahmen aus den späten Siebzigern und frühen Achtzigern konterkariert werden, erinnern sich ehemalige Punks – heute sind sie alle mehr oder weniger ruhig und sesshaft geworden – an die unruhigen Zeiten und wie diese ihren weiteren Lebensweg beeinflusst haben. Dabei beeindruckt bei vielen der Porträtierten immer noch die ungeheure Kraft, die sie ausstrahlen, und man darf vermuten, dass es die Ruhe und Gelassenheit jener ist, die vieles gesehen, erlebt und durchgebissen haben – auch wenn für manche die Zeiten der Verfolgung und Disziplinierung unauslöschliche Spuren hinterlassen haben.

Passend zum derzeitigen Punk-Revival bietet der Film ungeahnte Einblicke in die Punk-Szene der DDR, und man merkt schnell, dass der „Wilde Osten“ nicht nur ein dummes Schlagwort, sondern für manche gefährliche Realität war – auch wenn der Film diese Rauheit und Energie leider nur recht selten ausstrahlt. Als historisches Dokument ist er aber allemal sehenswert – vor allem für Menschen, die früher selbst einmal der Punkszene angehört – sei es in der ehemaligen BRD oder in der ehemaligen DDR.

ostPunk! too much future

Punk in der DDR, das klingt zunächst einmal wie ein Widerspruch. Und genau das ist es auch, allerdings weniger, weil Punk im Arbeiter- und Bauernstaat so absurd und deplatziert gewirkt hätte.
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Meinungen

Don Mombasa · 24.04.2008

Starkes Teil. Sehr gut vor allem, dass die Lebenswege der Zeitzeugen nach der DDR-Punk-Ära anschaulich nachgezeichnet werden, und dass nicht über die Maßen politisiert wird, jedoch der Widerspruch zur Wessi-Punk-Bewegung deutlich wird. Sehr kreative Cuts, das sollte auch noch angemerkt werden.