Os residentes

Eine Filmkritik von Verena Schmöller

Die Macht der Inszenierung

Viel zitiert ist die Sequenz, in der sich eine Frau von einem Mann die Schamhaare abschneiden lässt und diese einige Szenen später selbst als Oberlippenbart trägt. Kurz zuvor hatte der Mann seinen eigenen Schnauzer entfernt. Und sie ist charakteristisch für den Film: In Os residentes sind die Übergänge von Mann und Frau also fließend, ebenso wie die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation, zwischen Ästhetik und Ethik. Der – nach O Quadrado de Joana (2006) – zweite Film von Tiago Mata Machado ist ein experimentelles Filmkunstwerk, das als solches auch verstanden werden will und das viel Stoff zum Nachsinnen liefert.
Eingeteilt in titeltragende Kapitel und jeweils eingeleitet durch ein Kleidungsstück, das auf einem Bügel an einer sonst leeren Wand hängt und das Zentrum der Einstellung bildet, widmet sich Os residentes einer Gruppe von Hausbesetzern, die sich an der Erklärung der Welt versuchen. Sie unterhalten sich über Leben und Lieben, über die Politik und das eigene Engagement und versuchen, sich dabei selbst zu finden – und sind doch nur, aber ein selbstbewusstes Abbild der Künstlergeneration der 1960er und 1970er Jahre.

Der Brasilianer Mata Machado verwendet Zitate und auch Archivmaterial, wiederholt wie seine Figuren, was schon – nicht nur auf der Leinwand – zu sehen war, und sagt selbst: „Wenn sich Geschichte als Farce wiederholt, dann lasst uns die Farce in Kunstgeschichte verwandeln, in das letzte Kunstwerk: als Geschichte von obskurer Klarheit oder als rein begriffliche Burleske.“ Eine solche Farce ist auch sein Film. Ob er damit in die Kunst- oder Filmgeschichte, in das kollektive Wissen seiner Kultur eingehen wird?

Der Film, der im Forum der 61. Berlinale 2010 zu sehen war, ist ein Kaleidoskop an Inszenierungen und gefilmten Happenings, von mal schönen, mal verstörenden Klang- und Bildmontagen, die letztendlich über alle Ideologien, die dem Film zugrunde liegen mögen, dominieren. Ein Mann dreht mit seinem Fahrrad auf ein paar Metern Asphalt Kreise – der Kreis ist ein wiederholtes Motiv im Film. Dabei fährt der Radfahrer durch eine schmutzige Pfütze und zieht somit eine Spur hinter sich her, malt braune Kreise auf den grauen Boden. Eine von vielen kurzen Szenen, die sich aneinanderreihen, die den cinematographischen Blick schärfen, die den Zuschauer Geduld üben lassen und irgendwie zum Dranbleiben zwingen.

Die Filmsprache von Os residentes ist eine eigenwillige: Den Film kennzeichnen lange Einstellungen und wiederholte Kamerahandlungen, bedeutungsgeladene und faszinierend schön fotografierte Bilder und ein Soundtrack, der den experimentellen Charakter des Films unterstreicht. Überhaupt scheint alles Experiment und alles Inszenierung zu sein. Der Film erscheint nicht – auch wenn er als solcher ausgegeben wird – als Spielfilm, aber er ist auch keine Dokumentation, sondern changiert irgendwo dazwischen. Die Darsteller mimen Figuren, diese inszenieren sich selbst und scheinen gleichzeitig um die Kamera zu wissen, die ihre Inszenierungen aufnimmt und nochmals in Szene setzt, also re-inszeniert; die Figuren sind sich scheinbar dieser weiteren fiktionalen Ebene bewusst. Oder die Kamera nimmt eine Dia-Show auf, die aber nur über das Weiterklicken des Projektors identifizierbar wird; die Dia-Bilder sind visuell kaum von den anderen Einstellungen des Films zu unterscheiden, hier werden Bilder zum Film und der Film zu Bildern. In Os residentes verschwimmen die Grenzen nicht nur zwischen den Formaten, sondern auch zwischen den verschiedenen Ebenen.

Um die zwei Stunden Filmexperiment durchzuhalten, muss man ein gewisses Interesse an Filmkunst und Philosophie mitbringen. Dann aber genießt man ein beeindruckendes filmisches Werk. Umso schöner, dass Arsenal Distribution, der Verleih des Instituts für Film und Videokunst e. V., den Film in die Kinos und damit auf die große Leinwand bringt. Dort gehört er hin, dort muss man sich als Zuschauer den Eskapaden und Experimenten von Tiago Mata Machado stellen, und nur dort wirken seine Bilder am besten.

Os residentes

Viel zitiert ist die Sequenz, in der sich eine Frau von einem Mann die Schamhaare abschneiden lässt und diese einige Szenen später selbst als Oberlippenbart trägt. Kurz zuvor hatte der Mann seinen eigenen Schnauzer entfernt. Und sie ist charakteristisch für den Film: In Os residentes sind die Übergänge von Mann und Frau also fließend, ebenso wie die Grenzen zwischen Fiktion und Dokumentation, zwischen Ästhetik und Ethik.
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