Os Famosos e os Duendes da Morte

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Wege aus der Jugend

Das soll Brasilien sein? Bob Dylan statt Samba, Nebelschwaden statt Sonnenschein und Weltschmerz statt Allegria? Das ist Brasilien – in der Lebenswelt eines Heranwachsenden. Os famosos e os duendes da morte (The Famous and The Dead) ist ein Coming-of-Age Drama der besonderen Art.
Mr. Tambourine Man ist sechzehn und lebt mit seiner Mutter in einem kleinen Ort im Süden Brasiliens, wo die deutschen Wurzeln vieler Einwohner noch lebendig sind in der Sprache der Großelterngeneration, in Gebräuchen und Volksfesten. Aber auch die Teenage Angst ist hier präsent. Mr. Tambourine Man sucht noch seinen Platz in der Gesellschaft, er leidet an der Welt und hat sich deshalb seinen eigenen Ort geschaffen: Das Internet ist seine Zuflucht. Er klinkt sich teilweise regelrecht aus seinem monotonen (Schul-)Alltag aus, um stattdessen lieber neue Texte über seine emotionale Realität zu posten. Sein Pseudonym hat er in Anlehnung an Bob Dylan gewählt, in dessen Musik und Texten er Trost sucht. Im Internet tauscht er sich mit Freunden aus und plant einen Besuch eines Bob Dylan Konzerts.

Aber immer wieder verliert er sich in Fotos und Videoclips, die ein hübsches Mädchen zeigen. Die Videos sind von ihrem Freund mit der Digitalkamera gedreht. Die beiden inszenieren sich vor der Kamera. Einmal hat das Mädchen eine Plastiktüte über den Kopf gezogen und atmet langsam und lächelnd. Ein geheimnisvoller Sog geht von diesen Bildfragmenten aus, die sich als zweite visuelle Ebene mit der Realität verweben. Dieser Sog führt Mr. Tambourine Man zu einer Brücke am Ortsrand. Die dargestellte Welt wirkt sehr hermetisch, die Brücke markiert Grenze und Ausweg zugleich, obwohl eine Welt hinter der Brücke gar nicht unbedingt existent zu sein scheint. Da taucht plötzlich der junge Mann aus den Videoclips fast wie ein Zombie im Ort auf. Für Mr. Tambourine Man beginnt eine Auseinandersetzung mit traumatischen Ereignissen von Verlust und Tod und der Realität des Erwachsenwerdens.

Os famosos e os duendes da morte ist das Spielfilmdebüt des jungen brasilianischen Regisseurs Esmir Filho, der davor einige Kurzfilme realisiert hat. Sein Langfilmdebüt wurde in Brasilien mehrfach preisgekrönt und hatte beim Filmfest in Locarno seine Europapremiere. Bei der Berlinale ist der Film in der Sektion Generation14plus untergekommen.

Hier findet er ein jugendliches Publikum, das sicher größtenteils an die Gefühlswelten des Films anknüpfen kann. Allerdings muss man sich dafür als Zuschauer erst einmal auf das anfänglich zähe Erzähltempo einlassen, das ganz auf situative Momente und die Beschreibung der emotionalen Realität des Protagonisten setzt, statt auf Handlung und Aktion. Das Erzählen der Geschichte tritt in den Hintergrund zugunsten der poetischen Bilder von Gefühlszuständen. Dabei schafft es der Film, über weite Strecken eine beklemmende Atmosphäre zwischen Poesie und Angst heraufzubeschwören. Mal weckt die Wackelkamera Assoziationen an Blair Witch Project, in den Sequenzen der hell überstrahlten Bilder mit dem Mädchen durchweht ein Hauch von Picknick am Valentinstag den Film. Eine schlafwandlerisch depressive Grundstimmung, verstärkt durch die Musik von Nelo Johann, bestimmt den Fluss des Films, der durchaus auch Gefahr läuft, als zu träge abgelehnt zu werden. Ein formal mutiger Film, und dieser Mut der Inszenierung fördert auch manche Details von unverbrauchter Schönheit und verstörendem Zauber zutage. Die Schlußsequenz, wenn Mr. Tambourine Mans Verzweiflung auf die erbarmungslose Fröhlichkeit des deutschen Dorffestes prallt, besitzt eine große Kraft.

Os famosos e os duendes da morte basiert auf einem gleichnamigen Roman von Ismael Caneppele, der im Film in der Rolle des jungen Mannes zu sehen ist. Die Geschichte hat autobiographische Wurzeln, der Autor ist selbst an einem solchen Ort aufgewachsen. Manche seiner Freunde haben den Ort auf normalem Weg über die Brücke verlassen, aber einige haben den Weg von der Brücke hinunter in den Freitod gewählt. Am Ende des Films wird sich Mr. Tambourine Man auf der Brücke für seinen eigenen Weg entscheiden…

Os Famosos e os Duendes da Morte

Das soll Brasilien sein? Bob Dylan statt Samba, Nebelschwaden statt Sonnenschein und Weltschmerz statt Allegria? Das ist Brasilien – in der Lebenswelt eines Heranwachsenden. Os famosos e os duendes da morte (The Famous and The Dead) ist ein Coming-of-Age Drama der besonderen Art.
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