Orania

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Zwischen Separatismus und Rassismus

Wir befinden uns im Jahr 2013 nach Christus. Ganz Südafrika bemüht sich um die Etablierung der Rainbow Nation, eines Landes, das durch das friedliche Miteinander zahlreicher Kulturen gekennzeichnet ist. Ganz Südafrika? Nein! Ein von unbeugsamen Buren bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten.
Das Phänomen der Dorfgemeinschaft „Orania“ ist in der Tat ein wenig absonderlich. In einer abgelegenen Siedlung zwischen Kapstadt und Johannesburg ist eine Gruppe niederländisch- und deutschstämmiger Südafrikaner bestrebt, sich eine unabhängige Kulturheimat zu errichten. Vor dem Hintergrund der Geschichte des Landes und dem noch immer vorherrschenden Rassismus infolge der jahrzehntelangen Apartheit, erscheint diese Unternehmung besonders zwiespältig. Umso erstaunlicher ist es, wie vorurteilsfrei sich Tobias Lindner in seinem Dokumentarfilm mit diesem Thema auseinandersetzt. Drei Monate lang hat der Berliner Nachwuchsregisseur in Orania gelebt und die Bewohner mit der Kamera begleitet.

Ganz ohne Kommentar lebt Orania ausschließlich von seinen Protagonisten und den beeindruckenden Bildern der südafrikanischen Landschaft. Tobias Lindner kommentiert nicht. Er will nicht werten, er will erfahren. So nimmt er auch den Zuschauer in die Verantwortung, sich seine eigene Meinung zu bilden. Sind die Bewohner von Orania Rassisten oder einfach nur Menschen, die in einer multinationalen Gesellschaft versuchen, sich ihre eigene Kultur zu bewahren? Dem stillen Drängen des Publikums, diese Frage eindeutig zu beantworten, gibt Lindner nicht nach.

Die Menschen, die wir im Laufe des Films kennenlernen, wirken sympathisch. Sie mögen eine extreme Position vertreten, doch auf rassistische Äußerungen warten wir vergeblich. Erstaunlich ist auch die Haltung der „Volksfremden“, die im Umkreis von Orania leben. Sie sehen das Unternehmen der weißen Afrikaner vor allem mit Humor. Doch Orania zeichnet kein einseitig positives Bild der ungewöhnlichen Enklave. Stattdessen zeigt Tobias Lindner durchaus, wie schmal der Grat zwischen Separatismus und Rassismus ist und wie schnell Abgrenzung zu Ausgrenzung werden kann. Auch die Gefahren einer dogmatisch organisierten Gesellschaft werden deutlich. Theoretisch steht Orania allen offen, die sich mit der Tradition der Buren identifizieren können. Praktisch fallen Menschen, die den strengen moralischen Vorstellungen des Dorfrates nicht entsprechen, schnell durchs Raster. So auch Baksteen, ein junger Mann aus Johannesburg, der nach einer kriminellen Karriere in Orania einen Neuanfang wagen möchte und mit seinem unkonventionellen Auftreten immer wieder aneckt.

Es ist vor allem die Geschichte von Baksteen, die uns als Zuschauer fesselt. Vielleicht, weil er wie wir in gewisser Weise ein Außenseiter ist und bleibt. Vielleicht auch, weil er im Grunde die einzige Figur ist, die im Laufe des Films eine klare Entwicklung durchläuft. Leider bleibt dieser Strang der einzige, der Orania so etwas wie eine Narration verleiht. Davon abgesehen, beschränkt sich Tobias Lindner darauf, uns Einblicke in die Lebenswelt unterschiedlicher Bewohner zu gewähren, ohne diese jedoch zu einer Erzählung zu verbinden. Hierdurch stellt er die Aufmerksamkeit seines Publikums durchaus auf die Probe und macht seinen Film bedauerlicherweise insbesondere für ein junges Publikum schwer zugänglich. Auch die Abwesenheit eines Voice Overs, das das soziale Experiment in einen größeren Kontext einordnen könnte, macht Orania zu einem durchaus anspruchsvollen Film, der vermutlich vor allem Zuschauer erreichen wird, die ein gewisses Vorwissen, zumindest aber ein gesteigertes Interesse für das Thema mitbringen. In Anbetracht der vielen interessanten Fragen über kulturelle Identität und die Legitimität von Ab- und Ausgrenzung, die Orania aufwirft, bleibt diese geringe Reichweite des Films ein echter Wermutstropfen.

Orania

Wir befinden uns im Jahr 2013 nach Christus. Ganz Südafrika bemüht sich um die Etablierung der Rainbow Nation, eines Landes, das durch das friedliche Miteinander zahlreicher Kulturen gekennzeichnet ist. Ganz Südafrika? Nein! Ein von unbeugsamen Buren bevölkertes Dorf hört nicht auf, den Eindringlingen Widerstand zu leisten.
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