Omnivoros - Das letzte Ma(h)l

Eine Filmkritik von Rochus Wolff

"Soylent Green" als Haute Cuisine

Dass Kannibalismus, obgleich er de facto nur selten vorkommt, den Horrorfilm fasziniert und beschäftigt, versteht sich fast von selbst. In keinem anderen Akt wird die Sentenz „Homo homini lupus“, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei, viszeraler und unmittelbarer verwirklicht, es gibt kaum eine größere Verrohung, nur so ist das Ende von …Jahr 2022 — die überleben wollen / Soylent Green in seiner ganzen Abgründigkeit zu verstehen.
Oft genug wird Kannibalismus im Horrorfilm deshalb auf Figuren verlagert, die „außerhalb“ unserer Zivilisation liegen – die „Wilden“ aus dem Dschungel, wie im berüchtigten Nackt und zerfleischt oder erst jüngst in Eli Roths The Green Inferno, die in Inzucht lebenden Hinterwäldler aus Tobe Hoopers Blutgericht in Texas oder seltsame Figuren wie die Familie in Wir sind was wir sind.

Der spanische Horrorthriller Omnivoros („Allesfresser“) legt die Lust am Verzehr von Menschenfleisch direkt ins Herz der westlichen Gesellschaft. Der Restaurantkritiker Marcos Vela wird engagiert, um einem angeblichen Trend zu „klandestinen“, geheimen Restaurants nachzugehen – konspirativ organisierten Treffen, auf denen enorm ungewöhnliches Essen serviert wird: Teure, seltene Gerichte, potentiell tödliche Speisen wie Fugu. Man trifft sich privat, kleidet sich feierlich und reicht besten Wein.

Bei seinen Recherchen stößt Marcos auf Gerüchte über solche Treffen, bei denen auch Menschenfleisch gereicht werde, und beginnt, genauer zu recherchieren, bis er schließlich selbst eingeladen wird. Allerdings sind seine Gastgeber natürlich wenig an einer Berichterstattung interessiert, so dass es schwierig für ihn wird, nur als Beobachter teilzunehmen – „niemand geht, ohne von dem Fleisch gegessen zu haben.“

Óscar Rojo inszeniert seinen Thriller (sein zweiter Film nach Brutal Box), darin ganz dem spanischen Genrefilm verbunden, recht geradeheraus, mit immer wieder etwas nackter Haut – schließlich geht es hier um Fleischeslüste jeder Art – und einer konsequent voranschreitenden Handlung ohne allzu große Überraschungen. Es geht erheblich weniger blutig zu als in den eingangs genannten, eher exploitativ agierenden Streifen, aber seine FSK 18-Freigabe hat der Film gleichwohl nicht für die erotisch angehauchten Momente erhalten.

Aber so richtig überzeugen kann der Film am Ende doch nicht. Die Lust des geheimnisvollen Gastgebers am Kannibalismus – die er schließlich zu einem anscheinend sehr einträglichen Geschäftsmodell umgewandelt hat – wird zu Filmbeginn mit der Not eines verängstigten Kindes erklärt, aber letztlich bleiben Motivationen und Hintergründe vieler Figuren zu sehr im Dunkeln, um ein wirklich dichtes Psychogramm des elitären Zirkels der Menschenfresser zu erlauben.

Stattdessen bleiben sie Karikaturen: eben doch wieder der Gesellschaft außenstehende Sonderfälle, deren enormer Reichtum es ihnen (vermeintlich) erlaubt, sich über „gewöhnliche“ Moralvorstellungen und Normen (von Gesetzen zu schweigen) hinwegzusetzen. Einzig und allein der Koch und Metzger, der nachts einsame, aber besonders ausgewählte Personen mit dem Fleischerhammer niederschlägt und in seine Küche bringt, ist eine wirklich zwiespältige und zugleich geheimnisvolle Figur.

Omnivoros - Das letzte Ma(h)l

Dass Kannibalismus, obgleich er de facto nur selten vorkommt, den Horrorfilm fasziniert und beschäftigt, versteht sich fast von selbst. In keinem anderen Akt wird die Sentenz „Homo homini lupus“, dass der Mensch dem Menschen ein Wolf sei, viszeraler und unmittelbarer verwirklicht, es gibt kaum eine größere Verrohung, nur so ist das Ende von „Jahr 2022 — die überleben wollen“ in seiner ganzen Abgründigkeit zu verstehen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen