Okja (2017)

Eine Filmkritik von Beatrice Behn

Schwein gehabt!

Okja ist Bong Joon-hos zweiter internationaler Film und er ist wahrlich ein Meister des globalisierten Kinos geworden, der sein Ensemble wunderbar und facettenreich zusammenstellt. Mit dabei ist abermals Tilda Swinton als July Mirando, Leiterin einer agrochemischen(!) Firma namens Mirando Corporation, die sie von ihrem psychopathischen Vater und ihrer Zwillingsschwester übernommen hat. War Mirando vorher als skrupelloses Unternehmen bekannt, so will July es nun neu ausrichten. Zumindest im Marketing, denn „bio“ verkauft sich besser. Dafür wurde ein neues Superschwein gezüchtet und ein Wettbewerb ausgerufen: 26 Superschweinchen werden an Biobauern aus der ganzen Welt verteilt und nach zehn Jahren soll das größte Schwein prämiert werden. Die unglückliche Gewinnerin ist Mija (Seo-Hyun Ahn) mit ihrem Schwein Okja aus Korea. Ihr Großvater hatte ihr nichts von dem Wettbewerb gesagt und so ist sie völlig verzweifelt, als Okja, mit der sie aufgewachsen ist, plötzlich von Dr. Johnny Wilcox (Jake Gyllenhaal) abgeholt wird. Sie folgt Okja nach Seoul und kann sie dort mit unerwarteter Hilfe der ALF, der Animal Liberation Front, einer nicht-gewalttätigen Tierschützergruppe um Jay (Paul Dano), fast befreien. Doch die ALF will mit Okjas Hilfe die Mirando-Machenschaften aufdecken und lässt Okja und Mija, ausgestattet mit einer versteckten Kamera, dann doch wieder einfangen.

Das Interessante an Okja ist Okja selbst. Dem Schwein, nicht den Menschen, gebührt der Name des Filmes, und sie, die Supersau, ist das Wichtigste in diesem Werk. Von Anfang an sorgen Perspektive, Erzählung und vor allem das wunderbar liebevolle Creature Design dafür, dass Okja ein Individuum ist, eine stille Heldin und neben Mija die einzige Trägerin von Ehrlichkeit in diesem Film mit korrumpierter Menschheit. Bong Joon-ho hat hiermit in der Tat ein familienfreundliches creature feature geschaffen, dass an große andere Werke dieses Genres wie E.T. — Der Außerirdische, Wo die wilden Kerle wohnen oder an ganz allgemein an die Werke von Roald Dahl erinnert. Dabei spielen vor allem die überaus gelungenen Spezialeffekte eine tragende Rolle. Diese sind nicht nur auf den Punkt und perfekt ausgeführt, sie erlauben dem Tier auch, Emotionalität, Intelligenz und Mitgefühl überzeugend darzustellen, ein unbedingtes Muss. Okjas und Mijas Freundschaft ist tief und vielfältig, man vergisst schnell, dass Okja ein Schwein ist. Aber sie sind nicht die Einzigen, denen Charakterentwicklung und Feingefühl in der Darstellung erlaubt werden. Auch die meisten anderen Charaktere sind detailliert und facettenreich.

Dazu gehört auch July Mirando, eine Frau, die von Swinton zwar mit viel Humor und etwas Slapstick gespielt wird, dabei aber immer eine tieftragische Komponente in sich trägt. July ist, das wird schnell klar, Opfer einer missbräuchlichen Familie, in der Profit und Aktien mehr gelten als Menschen. Geschweige denn Tiere. Und hier wird Okja letztendlich auch vom fluffig-lustigen Film zu einem Werk, das bei aller Kinderfreundlichkeit die Realität nicht außer Acht lässt, sondern die Daumenschrauben der Wahrheit langsam und beharrlich anzieht. Und die Wahrheit ist eindeutig: Okja und Co. sind zum Verzehr gedacht, sie sind genetisch manipulierte Schnitzel und Steaks, Filets und Braten. Sie sind Objekte, nicht Subjekte und dienen nur einem einzigen Zweck: Menschen satt und die Mirando Corporation reich zu machen. Und so spart der Film auch nicht das Leiden der Tiere aus, das exemplarisch an Okja vollzogen wird. Der Trick, den Bong Joon-ho hier nur zur Perfektion vollzieht, ist, das Tier erst zum Individuum zu machen, um dann zu zeigen, was die Industrie damit tut. Und so ist Okja auch ein Film mit einer sehr klaren Message, die so zeitgemäß und allumfassend ist wie sein globalisiertes Ensemble. Die Frage danach, woher und wie wir unsere Nahrung bekommen und wer dafür leiden und sterben muss, ist relevanter denn je und lässt sich auch nicht lange unter einem Marketing-Label wie „bio“ verstecken.

Doch beim Stichwort „verstecken“ muss auch noch einmal auf die Distribution des Filmes verwiesen werden. Es ist eine Krux mit Netflix. Einerseits beweist die Firma hier Händchen und Mut, finanzierte sie doch dieses Autorenwerk, während klassische Finanzierungen ausblieben. Doch gleichsam ist es ein Elend, diesen Film nicht auf der großen Leinwand sehen zu können. Nicht nur, weil er gut ist, sondern weil er visuell ebenso vielfältig, ambitioniert und visionär ist wie seine Geschichte. All dies auf ein iPad oder einen Laptop zu bannen, ist, man kann es nicht anders sagen, eine Schande. Und so bringt dieser Film zwei weitere Fragen mit sich: Warum lässt die klassische Filmindustrie visionäre Autorenfilmer immer mehr Stich? Und wie wollen wir, die Zuschauer, Filme eigentlich konsumieren?

Okja (2017)

In seinem neuen, für Netflix produzierten Film erzählt der Südkoreaner Joon-ho Bong („Snowpiercer“) von einem Mädchen namens Mija, dessen bester Freund ein seltsames Haustier mit dem Namen Okja ist. Als das Tier eines Tages verschwindet, nimmt das Mädchen den Kampf mit einem Großkonzern auf, der es auf das Wesen abgesehen hat. In Deutschland wird der Film am 28. Juni 2017 auf Netflix ausgestrahlt, in den USA wird es zudem einen „limited release“ in ausgesuchten Kinos geben.

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Meinungen

sabine · 01.07.2017

so gerne ich den film sehen möchte,er ist mir keinen netfliy account wert. einen kinobesuch allerdings schon. schade.