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Wie wird eigentlich Geld produziert? Dieser und weiterer vermeintlich einfacher Fragen ist Carmen Losmann mit Bildern und Worten auf der Spur.

Oeconomia (2020)

Eine Filmkritik von Bianka-Isabell Scharmann

Der Elefant im Raum

Carmen Losmann stellt in ihrer Dokumentation vermeintlich einfache Fragen: Wie wird Geld produziert? Wie entstehen Schulden? Wie werden Gewinne erwirtschaftet? Gerade die erste Frage wirkt ziemlich simpel: Es wird gedrückt, würden wohl viele Antworten. Goldwert gleich Geldwert im Umlauf. Dieses Kredo gilt nur schon lange nicht mehr.

Es beginnt mit Vogelgezwitscher. Wir sehen einen Wald, doch etwas stimmt nicht, das Bild wirkt seltsam künstlich. Kein Wunder, handelt es sich doch um den Desktophintergrund eines Apple-Computers. Schon in diesen ersten Sekunden wird ein Motiv eingeführt, dass im Hintergrund – wie passend – immer leise mitschwingt oder mitzwitschert, wenn man möchte: das Problem einer endlichen Welt und einem kapitalistischen System, das von vermeintlich unendlichen Ressourcen ausgeht.

Vom Hintergrund in einen Ordner: Sie öffnet das Projekt „Oeconomia“. Bis hierhin mutet der Film an wie eine Desktop Documentary. Die wohl bekannteste des Genres, das aus dem Bereich der Video-Essays stammt, also einem filmkritischen Format, das versucht, den Bildern anderer Filme mit eigenen Bildern, neuen Reihen und Konstellationen, Collagen und Gegenüberstellungen beizukommen, ist Kevin B. Lees Transformers: The Premake (a desktop documentary) (2014). Lage über Lage werden von B Lee arrangiert, um eine eigene Dokumentation zu kreieren. Losmann lagert ihre Bilder nicht übereinander, sondern gräbt in die Tiefe. Aus der Präsentation, die am Ende des Films eine beeindruckende Sammlung an Diagrammen, Kreisläufen, Informationen und beunruhigenden Zahlen führen wird, wird in das gedrehte Filmmaterial hineingezoomt.

Der schwarze Hintergrund mit weißem Raster wird vergrößert, um durch die Vergrößerung nur wieder auf ein weiteres Raster und ein weiteres und ein weiteres zu stoßen, bis das Schwarz schließlich verblasst und der Blick auf andere Raster fällt: die verspiegelten Banktentürme in Frankfurt am Main. Die Finanzhauptstadt ist dann auch maßgeblicher Schauplatz der Interviews und liefert die Oberflächen, die Menschen in Anzügen und Kostümen, die Bewegungen und Konferenzräume. Alles glatt, perfekt von Servicepersonal dekoriert und ausgestattet.

Wenn man auch anfangs noch über die scheinbar so simple Frage „Wie wird Geld produziert?“ lachen mag – im Verlauf des Films wird klar, dass es darauf keine einfache Antwort gibt. Die Interviews die Losmann führt, um dieser und anderer Fragen nachzugehen, sind in mehr als einer Hinsicht aufschlussreich: Antworten wie „es funktioniert nur so lange es funktioniert“ weisen auf einen grassierenden Zynismus im Finanzsystem hin; „nobody is going to understand what you say“ zeigt deutlich die Hybris, die Arroganz der Leitenden im Sektor. Dabei wird jedoch der Zuschauerin immer deutlicher klar: viele haben selbst keine Ahnung. Denn Losmann hat ihre Hausaufgaben gemacht. Sie bohrt nach. Und oft sitzen ihr mehrere schmerzhafte Sekunden lang Männer in perfekt sitzenden Anzügen gegenüber (keine einzige Frau auf dieser Seite!), ohne eine Antwort auf ihre vermeintlich so simplen Fragen zu finden. Es geht sogar soweit, dass sie am Telefon beleidigt und angegriffen wird. Stellenweise fragt man sich, ob die Arroganz nicht auch einen Hauch Sexismus in sich trägt. Gerne wird auch mit der Floskel „das ist sehr komplex“ oder einer Variante um sich geworfen, um von dem Fakt der eigenen Unwissenheit abzulenken.

Denn, das lernen wir aus der den Interviews gegenübergestellten Szene: an den Universitäten werden die Grundlagen nicht gelehrt. Diese Szene findet mitten in der Frankfurter Einkaufspassage, auf der Zeil, statt. Ein Teppich, ein Tisch, sechs Stühle und ein modifiziertes Monopoli-Spiel, um zu veranschaulichen, wie Geld heute produziert wird. Die Initiatorin ist eine der wenigen Frauen im Film und eine zentrale kritische Stimme, neben den Teilnehmer*innen am Spiel.

Sie ist es dann auch, die über den Elefanten im Raum spricht: Denn, wie einer ihrer Professoren mal sagte, er interessiere sich nicht für die Realität, als sie ihn auf die Fallibilität seiner Modelle hinwies. Der Elefant im Raum: das Finanzsystem ist ein künstliches, das sich fernab jeder Realität bewegt. Wer es vor der Sichtung der Dokumentation schon geahnt hatte oder wusste, wird sich am Ende bestätigt fühlen. Kann es Alternativen geben?

Das Vogelgezwitscher kam zeitweise zurück, im Zusammenhang mit künstlichen Umwelten, wie am Frankfurter Flughafen: der Wartebereich verspricht mit eindrucksvollen Bildern der Erde Abenteuer, Erlebnisse und Freiheit. Screens zeigen Imagekampagnen für ferne Sehnsuchtsorte, Bilder unberührter Natur. An den Wänden sind Tapeten mit Wäldern und Bachläufen angebracht. Wie lange wird diese Welt noch so existieren, wenn wir aus der Economy keine Oeconomy machen?

Losmanns schafft Bilder, die die Unsichtbarkeit der Geldströme, die Kreisläufe und Zusammenhänge versuchen sichtbar zu machen. Oftmals prallt der Blick an glatten Oberflächen ab, er wird zurückgeworfen, die Fenstergitter, die Türme der Banken scheinen undurchdringlich. Man merkt einmal wieder, wie perfekt diese Architektur zu dem passt, was sie versucht, zu verbergen.

Oeconomia (2020)

Der 89-minütige Dokumentarfilm legt die Spielregeln des Kapitalismus offen und macht in episodischer Erzählstruktur den systembedingten Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum, Verschuldung und Vermögenskonzentration sichtbar.

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Meinungen

Dietmar SCHULZ · 22.11.2021

Leider wurde nach einer interessanten Eingangsfrage die Chance vertan, die Zuschauer gut zu informieren. Zunächst einmal wäre es gut gewesen zu erklären, was Geld ist (bitte nachlesen in Gablers Wirtschaftslexikon), und dann die Zusammensetzung als Bargeld und Sichteinlagen der Nichtbanken bei den Geschäftsbanken (Giralgeld). Die Geldschöpfung ist entgegen des erweckten Anscheins limitiert, weil nur jeweils die freie Liquiditätsreserve für die Kreditvergabe verwendet werden kann. Weitere Restriktionen sind Regulierungen (Eigenkapitalvorschriften) sowie die Kreditnachfrage, um nur einige zu nennen. Geradezu erschrecken waren die nicht vorhandenen Kenntnisse im kaufmännischen Rechnungswesen. So wurde argumentiert Gewinne erhöhen die Verschuldung. Das Gegenteil ist der Fall, sofern sie nicht an die Gesellschafter / Aktionäre ausgeschüttet werden, erhöhen sie das Eigenkapital. Die Gruppe der Diskussionsteilnehmer (w, m, d) bestärkte sich gegenseitig in ihrer Argumentation.´´ zur Kapitalismuskritik und Professorenschelte, die nur in Modellen denken. - Wie sonst will man volkswirtschaftliche Entwicklungen deutlich machen und Prognosen für die Politikberatung erstellen. Die Argumente wurden nicht einmal infrage gestellt. Meine Meinung zu diesem Teil des Films: "Wo alle dasselbe denken, wird nicht viel gedacht." (Karl VALENTIN)

Robin · 10.11.2021

Der Film hat guter Ansätze, ist aber leider voller Lücken und falsche Erklärungen.
Eine Bank, kann definitiv nicht Geld "schöpfen" oder unendlich Kredite ausgeben.
Schade, weil die Vermehrung und das Konzentration des Kapitals, sind Fakt und bereits 1867 von Karl Marx analysiert und vorausgesagt

Jens Elmer · 04.11.2021

Der Film zeigt auf hervorragende Weise, wie Geld entsteht. Solche wirtschaftliche Aktivitäten, die kreditbetrieben realisiert werden, erzeugen erst Geld. Es muss kein Geld von uns zur Bank gebracht weden, das dann erst verliehen werden kann. Dieser Zusammenhang ist vielen Menschen nicht bewußt. Da die ökonomische Bildung in Deutschland noch ausbaufähig ist, ist dies schon eine wichtige Erkenntnis des Films. Zu empfehlen ist an dieser Stelle das Buch "Die Produktion des Geldes" von Ann Pettifor, zu beziehen über die Bundeszentrale für politische Bildung, das wichtige Thesen des Films untermauert. Unsere Abhängigkeit von Wirtschaftswachstum und unser Wunsch nach Renditen sind mit verantwortlich für regelmäßige Finanzkrisen. Einige Dinge bleiben im Film leider unklar, zum Beispiel politische Forderungen zur Verbesserung des Wirtschaftssystems und die Antwort, ob Vollgeld eine mögliche Alternative sein könnte. Dies ist ästethisch gut gemachter Film zum Einstieg in ein genauso wichtiges wie vernachlässigtes Thema - der Film dauert halt nur 90 Minuten und ersetzt kein Buch.

Anton Berghammer · 04.06.2021

Dieser Film ist eine Ausredensuche für die Weigerung der Produzenten, sich mit Makroökonomie auseinanderzusetzen. Die Behauptungen dieses Films über die Funktion von Geld und das Handeln von Zentralbanken sind falsch. Bizarr mutet die Argumentation mit Verweisen auf Buchhaltungsregeln (Unterschiede zwischen den Rechnungslegungsstandards werden selbstverständlich ignoriert) an. Was hat Buchhaltung mit Zentralbanken zu tun? Die Produzenten wissen das wohl selber nicht. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei den Ausführung zu Wachstum, die nicht den Verdacht nahelegen, dass diesen eine Auseinandersetzung mit der Wachstumstheorie nicht zugrunde liegt.

Die kritiklose Darstellung von falsifizierten Thesen wie der Silvio Gesells Freiwirtschaft legt den Verdacht nahe, dass dies ein ideologisch motiviertes Traktat ist, das zu repetitiven Bilder von Hochhausfassaden verlesen wird.

Martin Meister · 21.11.2021

"Die etwas von Wirtschaft verstehen, wissen, dass mit unserem System alles in Ordnung ist und der Rest soll sich raushalten". Die Haltung (die ja auch eine Ideologie ist) klingt aus dem Kommentar und diese Haltung zeigen auch einige Akteure in dem Film. Umso sehenswerter ist, wie diese Akteure bei einfachen Fragen ins Stammeln kommen.
Unstrittig dürfte auch die Aussage sein, dass dem Schuldner, also dem der sich verschulden will, eine zentrale Rolle zukommt und dass es immer schwieriger wird, Akteure zu finden, die sich in diese Rolle begeben wollen und können. Das führt dazu, die Konstruktionen und Eingriffe, um immer neue Schuldner zu finden, immer gewagter werden. Neuerdings müssen Sparer Strafzinsen zahlen. Altersvorsorge funktioniert auf klassischem Weg nicht mehr.....
Sicher hätte der Film auch die Kontrollmechanismen hinweisen könnten. Das wäre aber auch wenig beruhigend. Denn die sind in der Hand derer, die im Film bei den einfachen Fragen ins Stammeln kommen.

Jacob Hornung · 22.10.2020

Der Film von Carmen Losman schafft es, vor allem durch die ungeschnittenen Intervies, auf eine sehr Unterhaltsame Weise einen für den Durchschnittsbürger durchaus Verblüffenden Fakt klar zu machen. Nämlich dass Privatbanken durch Kreditvergabe Buchgeld schöpfen können.
Allerdings bleibt es leider auch bei dieser sehr verkürzten Darstellung. Der Zuschauer bleibt mit dem Eindruck zurück, Privatbanken könnten nach belieben Geld erzeugen und vernichten. Es wird weder auf den unterschied von Buchgeld und Zentralbankgeld eingegangen noch erwähnt, was denn bei einem Kreditausfall mit dem geschöpften Buchgeld geschieht. Im Rest des Films wird eine Kapitalissmuskritik geübt, die zwar versucht das Wort Zins durch Rendite zu ersetzen, aber in ihren Grundzügen und Forderungen stark an jene von Gottfried Feder erinnert. Zusammengefasst: Aufgrund der interessanten vor allem amüsanten Interviews durchaus sehenswert aber nur sehr bedingt dafür geeignet beim Zuschauer Klarheit über das Finanzsystem zu schaffen.

Christian Savrola · 13.10.2020

Der Film ist sehr einseitig und zeichnet das Feindbild des Kapitalismus. Es werden einige gute Denkanstöße gegeben, wie zB die Überschuldungsproblematik und die Ungleichheitsdebatte. Unter dem Strich aber nur Durchschnitt, es werden fundamentale Fakten weggelassen, zB die Rolle des Zinses zur Regulierung der Geldmenge und die Baselregularien. Lösungen Fehlanzeige.

Liliane Steffen · 21.10.2020

Welche Zinsen?!?
Die existieren kaum noch, oder?
Alternativen werden auf der Webseite des Films aufgezeigt.

Wolfgang Gross · 09.03.2020

Deutlich weniger Text als vermutet ....