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Der Hamburger Filmemacher Özgür Yildirim kehrt mit einer für deutsche Kinoverhältnisse echten Rarität auf die Leinwände zurück. „Nur Gott kann mich richten“ ist ein düster-brodelnder Gangsterthriller, der von einer tiefen Milieuverwurzelung und vom Kampf um ein ehrbares Leben erzählt.

Nur Gott kann mich richten (2017)

Eine Filmkritik von Christopher Diekhaus

Kein Entkommen aus der Unterwelt

Kiezgeschichten können nach wie vor für spannende Unterhaltung sorgen. Das zeigte zuletzt die Neukölln-Gangstersaga 4 Blocks, die eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass es auch in Deutschland möglich ist, kantige, unbequeme Serienstoffe zu entwickeln. Auf den hiesigen Leinwänden fristen düstere Unterweltgeschichten, sofern sie nicht aus den USA kommen, in den vorigen Jahrzehnten ein eher trauriges, unbeachtetes Dasein, wenngleich es sehr wohl einige interessante Genre-Vertreter gegeben hat. Zu nennen wäre hier etwa Thomas Arslans meditative Verbrecherballade Im Schatten oder Özgür Yildirims Hamburger Milieustudie Chiko, die dem deutschtürkischen Filmemacher den Durchbruch bescherte. Seine Liebe für hierzulande eher selten bespielte Genre-Kost lebte der Regisseur und Drehbuchautor 2015 in der Jugendbuchadaption Boy 7 aus, einem nicht wirklich innovativen, aber temporeich inszenierten dystopischen Thriller. Auch sein neues Werk, das auf den überzogen bedeutungsschwangeren Titel Nur Gott kann mich richten hört, widmet sich tiefen Abgründen und nimmt das Publikum mit auf Reise durch einen finster-pessimistischen Kosmos.

Fünf Jahre ist es mittlerweile her, dass Ricky (Moritz Bleibtreu) für einen missglückten Raubzug in den Knast wanderte. Als sich die Gefängnistore endlich öffnen, ist der harte Bursche fest entschlossen, fortan ein ehrbares Leben zu führen und sich den Traum von einer eigenen Bar zu erfüllen. Da ihm dafür allerdings das nötige Kleingeld fehlt, lässt er sich von seinem alten Kumpel Latif (Kida Khodr Ramadan) zu einem letzten, vermeintlich todsicheren Coup überreden: Gemeinsam sollen die beiden bei einer Drogenübergabe den Stoff zum Schein stehlen und ihn hinterher wieder den ursprünglichen Besitzern, albanischen Kriminellen, übergeben. Schon vor dem fingierten Überfall gibt es allerdings Schwierigkeiten, weshalb Ricky seinen Bruder Rafael (Edin Hasanović) bekniet, ihm noch ein einziges Mal unter die Arme zu greifen. Auch wenn der junge Mann mit dem Ex-Knacki eigentlich nichts mehr zu tun haben will, willigt er schließlich ein. Eine fatale Entscheidung, denn nach dem Raub kreuzen die Geschwister den Weg der von persönlichen Sorgen geplagten Polizistin Diana (Birgit Minichmayr), die die Drogen im Anschluss an eine wilde Verfolgungsjagd unterschlägt.

Atmosphärisch macht Nur Gott kann mich richten einiges her. Schon der Einstieg, der den fehllaufenden Überfall zeigt, für den Ricky hinter Gitter kommt, entfacht ein intensives Knistern. Auch später gelingen Yildirim brodelnd-packende Szenen, in denen die Anspannung mit Händen zu greifen ist. Den Handlungsort Frankfurt inszeniert der genreerprobte Regisseur als zwielichtigen Sündenpfuhl und konzentriert seine Geschichte auf wenig einladende Schauplätze wie schummrige Lokale, schäbige Hinterhöfe und alte Fabrikhallen. Ein düster-unheilvolles Milieu, aus dem es – so hat es den Anschein – für die Protagonisten kein Entkommen gibt, obwohl sie verzweifelt nach anderen Lebenswegen Ausschau halten. Geldknappheit und falsche Entscheidungen treten einen Strudel los, von dem alle Beteiligten mitgerissen werden.

Die stimmungsvolle Aufmachung und die mitunter prägnant-eindringlichen Schauspieldarbietungen – besonders erwähnenswert: Edin Hasanović – liefern beste Voraussetzungen für einen durchgehend mitreißenden Unterwelttrip. Leider erweist sich das Drehbuch mit zunehmender Dauer jedoch als ernsthaftes Problem, das den Unterhaltungswert deutlich schmälert. Ist man zunächst gerne bereit, über die aufgerufenen Klischees und Standardsituationen hinwegzusehen, da Yildirim seinen Plot unnachgiebig voranpeitscht, tritt das wackelige Erzählgerüst mit der Zeit immer stärker in den Vordergrund. An mehreren Stellen braucht es krasse Zufälle, um die Eskalation weiter zu forcieren, während das naive Verhalten einiger Figuren für Verwunderung sorgt. Egal, wie sehr Diana unter Druck stehen mag, irgendwann wirken ihre Entscheidungen und ihr Vorgehen nur noch unglaubwürdig. Wenig gewinnbringend ist außerdem der Kurzauftritt von Rickys Ex-Freundin Valerie (Alexandra Maria Lara), die lediglich eine dramaturgische Funktionsrolle erfüllt und mittlerweile – die Schwarz-Weiß-Malerei lässt grüßen – in einer pastellfarbenen Wohlfühlwelt samt neuem Spießer-Partner lebt. Dass sie mit Ricky früher einmal verbandelt war, ist nun wirklich schwer vorstellbar.

Eigentlich muss man den Regisseur dafür loben, dass er sein infernalisches Gangsterszenario mit emotionalen Zwischentönen aufzuwerten versucht. Die Passagen, in denen sich Ricky mit seinem demenzkranken Vater (Peter Simonischek) und familiären Konflikten auseinandersetzt, fallen meistens aber ebenso plakativ aus wie die aufgesetzte, im Titel anklingende religiöse Komponente, die sich aus heiterem Himmel Bahn bricht. Spannend wäre es durchaus gewesen, die Aspekte Schuld und Sünde genauer in den Blick zu nehmen. In der präsentierten Form wirkt der Überbau allerdings, als wäre er nachträglich über die Handlung gestülpt worden. Ein weiterer Grund, warum man das Kino trotz einem gut aufgebauten Bedrohungsklima und einer erfreulich kompromisslosen Erzählhaltung mit höchst gemischten Gefühlen verlässt.
 

Nur Gott kann mich richten (2017)

Kiezgeschichten können nach wie vor für spannende Unterhaltung sorgen. Das zeigte zuletzt die Neukölln-Gangstersaga „4 Blocks“, die eindrucksvoll unter Beweis stellt, dass es auch in Deutschland möglich ist, kantige, unbequeme Serienstoffe zu entwickeln.

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Meinungen

Christopher Diekhaus · 26.01.2018

Lieber Herr Dierks, vielen Dank für die anerkennenden Worte, was die Abdeckung des Films mit unterschiedlichen Kritiken betrifft. Zur Erklärung: Als freier Autor (nicht als Webseitenbetreiber) ist es in der Tat so, dass ich häufig für diverse Online- und Printmedien Rezensionen zu ein und demselben Film schreibe. Dass die Texte jedes Mal neu formuliert sind, ist für mich selbstverständlich und wird von den Auftraggebern auch so eingefordert, da jedes Magazin das Recht auf eine gewisse Exklusivität hat.
Viele Grüße,
Christopher Diekhaus

Georg Dierks · 23.01.2018

Also, Herr Diekhaus, langsam wundere ich mich, auf wie vielen Portalen Sie Ihre Meinung zu dem Film äußern. Sind Sie wirklich für mehr als zwei oder drei unterschiedliche Websites verantwortlich? Und damit meine ich nicht, dass Ihre Kritik einfach nur eins zu eins übernommen wird, sondern dass Sie sich die Mühe machen, immer wieder neue Kritiken zu dem ein und denselben Film zu schreiben.
Chapeau!
Ich kann leider Ihre Meinung zu diesem Film absolut nicht teilen, da Ihre Kritik objektiv betrachtet sehr plakativ daherkommt.
Oder sagen wir mal anders: Die Wahrnehmung und die Reichweite des Blicks ist von enormer Bedeutung, den Film richtig zu interpretieren. Der Titel ist absolut nicht aufgesetzt, sondern eine Frage der Interpretation. In einem Interview habe ich gelesen, dass der Titel eher symbolisch zu verstehen ist und nicht wörtlich. Auch die Geschichte zwischen Ricky und seinem Vater berührt stark. Nun, da scheinen Sie immun gegen zu sein. Aber letztendlich ändert Ihre Meinung auch nichts daran, dass der Film das ist, was er ist. Genau so wenig wie meine. Wir können uns nur über ein Kunstwerk unterhalten, ihn loben oder auseinander nehmen. Der Film hat es geschafft, wahrgenommen zu werden. Und das scheint ja eine gute Voraussetzung zu sein für das, was er will.