No Land's Song

Eine Filmkritik von Kirsten Kieninger

Die Stimme gegen das System erheben

Die besten Kino-Erlebnisse sind oft diejenigen, wenn ein Film einen völlig unerwartet packt. No Land’s Song ist so ein Film. Genauer gesagt ein Dokumentarfilm, noch dazu einer, dessen Thema auf den ersten Blick überhaupt nicht nach großem Kino klingt: Eine Komponistin und Sängerin in Teheran will ein Konzert mit Frauen als Solo-Sängerinnen auf die Bühne bringen. Über zwei Jahre hat der in Deutschland lebende Regisseur Ayat Najafi seine Protagonistin (die seine Schwester ist) bei ihrem Vorhaben begleitet – und einen Film gemacht, der von Anfang bis Ende mitreißt und berührt, der einem die Tränen in die Augen treibt und gleichzeitig glücklich macht, und der darüber hinaus vom alltäglichen Wahnsinn des politischen Lebens in Iran erzählt.
Denn das, was Sara Najafi sich vorgenommen hat, ist in Iran eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit. Seit der Islamischen Revolution von 1979 dürfen Sängerinnen nicht mehr öffentlich Solo singen, höchstens vor einem rein weiblichen Publikum. Sangen weibliche Stars früher sogar mit einem Drink in der Hand in Fernsehshows von Tanz, Lust und Liebe, so sind ihre Aufnahmen heute nur noch illegal auf dem Schwarzmarkt zugänglich. Als studierte Komponistin und Sängerin sieht sich Sara der Tradition berühmter Sängerinnen der 1920er und 1960er Jahre verpflichtet. Sie will der weiblichen Stimme in der Öffentlichkeit wieder Gehör verschaffen.

Ein wagemutiger Plan, der gegen die offiziellen Leitlinien des Staats verstößt, für den sie aber dennoch beim Kulturministerium um Genehmigung ersucht. Schließlich sitzen dort auch nur Menschen. Diese bekommt man zwar nicht zu sehen, denn die Kamera ist nicht dabei, wenn Sara zu ihren Terminen vorspricht, aber man wird Zeuge der Dialoge, denn Sara hat sich verkabelt wie eine Spionin ins Ministerium gewagt. Und so gibt es im Verlauf von No Land’s Song immer wieder Passagen mit Schwarzbild, in denen die Tonspur in kurzen Dialogfetzen Bände spricht von der verqueren Eigenlogik eines Systems.

Die absurden Vorschriften stellen jeden Kampf gegen Windmühlen in den Schatten, aber Sara lässt sich nicht entmutigen. Zum Glück nicht, denn schon längst fiebert man als Zuschauer mit Sara und ihren Mitstreiterinnen mit, dass es ihnen gelingen möge, ihre wunderbaren Lieder auf der Bühne vorzutragen. Denn das Herz, das in No Land’s Song pulsiert, ist natürlich die Musik. Immer wieder klingen Lieder an, die mit ihrem Gesang unmittelbar in die Seele treffen, seien es alte Aufnahmen von klassischen Liedern oder Szenen der Proben für Saras Konzertprojekt. Wunderbare Musik, vorgetragen von wunderbaren Stimmen, die nicht nur dem französischen Gitarristen die Tränen in die Augen treiben…

Sara schafft es, auch Sängerinnen und Musiker aus Frankreich und Marokko um sich herum zu versammeln, die mit ihr ein Programm einstudieren und mit ihr für die Umsetzung auf der Bühne kämpfen – interkultureller Austausch ist ein guter Hebel gegenüber dem Kulturministerium. Frauen dürfen übrigens problemlos auf der Bühne singen, solange sie es als Begleitung für einen Sänger tun – also heuert Sara kurzerhand einen Mann als kaum hörbaren Alibi-Sänger an. Mit revolutionärer Dreistigkeit reizt sie jeden noch so kleinen Spielraum aus, den ihr das System gibt. Irgendwann dürfen die Mitstreiterinnen aus dem Ausland tatsächlich anreisen, es wird zusammen geprobt und der öffentliche Auftritt erscheint tatsächlich in Reichweite. Doch die Windmühlen der Willkür drehen sich weiter…

No Land’s Song ist ein Dokumentarfilm, der alles mitbringt, was man sich als Zuschauer im Kino wünscht: Eine Story mit klarem Ziel, Höhen und Tiefen, Rückschlägen und Glücksmomenten. Eine sympathische Protagonistin, um die sich nach und nach eine bunte Schar von Mitstreitern sammelt, die den Film durch ihre Eigenheiten bereichern und denen der Film genug Raum gibt, dass jeder einzelne auch als Individuum zur Geltung kommt. Zusammen bilden sie schließlich eine eingeschworene Gruppe, die für ihren Auftritt kämpft. Ein einziger öffentlicher Auftritt, bei dem Frauen auf der Bühne singen – und der so viel mehr bedeutet als ein bloßes Konzert.

No Land's Song

Die besten Kino-Erlebnisse sind oft diejenigen, wenn ein Film einen völlig unerwartet packt. „No Land’s Song“ ist so ein Film. Genauer gesagt ein Dokumentarfilm, noch dazu einer, dessen Thema auf den ersten Blick überhaupt nicht nach großem Kino klingt: Eine Komponistin und Sängerin in Teheran will ein Konzert mit Frauen als Solo-Sängerinnen auf die Bühne bringen.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen

Mr. Anonym · 17.03.2016

Ich war am Sonntag mit meiner persischen Freundin in diesem Film.
Als deutscher kann man dieses System nicht verstehen.
Ich habe viel geweint: was für tolle iranische Menschen; was für eine absurde Regierung! Mit einem halbwegs gesunden Menschenverstand kann man das alles wirklich nicht verstehen!

Farhad Payar · 20.04.2015

Toller Kommentar zu einem sehenswerten Film, der ein Stück Realität im heutigen Iran zeigt. Hoffentlich traut sich ein deutscher Verleih, ihn Landesweit in die Kinos zu bringen.