Nightcrawler - Jede Nacht hat ihren Preis (2014)

Eine Filmkritik von Laurenz Werter

Porträt eines Soziopathen

Wenn morgens die Nachrichten über die Mattscheibe laufen und die Schockmomente der vergangenen Nacht Revue passieren, dann muss schließlich jemand das Bildmaterial dazu liefern. Ein Nightcrawler, ein Mensch also, der die ganze Nacht unterwegs ist, den Polizeifunk abhört und dann mit der Kamera drauf hält, wenn Mord- oder Unfallopfer zu betrachten sind.

Ein solcher Mensch ist Lou Bloom (Jake Gyllenhaal), der als kleiner Gauner anfängt, aber dann seine Berufung findet. Als Dokumentar des Grauens ist er geradezu perfekt, denn ihn plagt kein Gewissen, an ihm nagen keine Zweifel, ihn interessiert nur, was der neueste Tote ihm bringen kann. Lou ist ein waschechter Soziopath, ein Mann, der über keinerlei Gefühl verfügt, der Menschen nur als Objekte sieht, die ihm nutzen oder schaden können, der auch gerne mal nachhilft, wenn die Szenerie nicht so ist, wie er es sich wünscht.

Nightcrawler ist weniger ein traditioneller Thriller als vielmehr ein in die Tiefe gehendes Psychogramm. Autor und Regisseur Dan Gilroy hat einen Protagonisten entwickelt, mit dem man sich nicht wirklich identifizieren will. Er hat alle Züge eines Soziopathen, er kann nett und charmant sein, ist aber auch manipulativ. Wenn es seinen Zwecken nützt, ist er geradeheraus, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, was sein Gegenüber dabei fühlen mag. Solchen Menschen mag man im echten Leben begegnen, dieser Lou Bloom ist aber noch mehr als das. Er lässt alle Regeln von Anstand und Moral hinter sich, bricht Gesetze und ist zu praktisch allem bereit, um Hindernisse auf dem Weg zum Erfolg aus dem Weg zu räumen.

Es ist faszinierend, diesem Charakter zuzusehen, aber zugleich ist es auch abstoßend. Denn Lou Bloom ist die Art Mensch, bei der das Gerechtigkeitsempfinden des Zuschauers unter ständiger Attacke steht. Das weiß sich der Film zunutze zu machen, denn er spielt mit der Erwartungshaltung des Publikums. Er weiß, dass man durch hunderte und tausende Filme daran gewöhnt ist, dass jeder am Ende bekommt, was er verdient. Aber das gilt nicht nur für Menschen, das gilt auch für die Gesellschaft als Ganzes. Und eine Gesellschaft, in der Menschen Verletzten nicht helfen, sondern erst mal das Handy zücken, um ein Bild zu machen oder zu filmen, hat einen Menschen wie Lou Bloom verdient. Nightcrawler zeigt die extremen Beispiele dieser Gattung Homo Sapiens, nicht nur am Beispiel des soziopathischen Lou, sondern auch durch seine Kollegen, die auch frei von jeder Scham draufhalten, wenn andere leiden. Hauptsache, der Rubel rollt.

Gilroys Film prangert das System an. Er zeigt das Nachrichtengeschäft als harte Jagd nach der Quote, bei der blutiger auch immer gleichbedeutend mit mehr Zuschauern ist. Die Heuchelei dieses Geschäfts, die Betroffenheitsmasche, das Missachten von Wahrheiten zugunsten sensationsheischender Panikmache sind alles Elemente, die die Nachrichten durchziehen. Man würde gerne sagen, dass Nightcrawler das überzeichnet, dass der Film schamlos übertreibt, aber man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass er im Vergleich zur Realität sogar noch verharmlosend ist.

Das ist ein wichtiges Element des Films, Kern ist aber natürlich das Eintauchen in Lou Bloom, den man fast schon ab der ersten Einstellung zu verabscheuen beginnt. Jake Gyllenhaal scheint sehr genau studiert zu haben, wie die Stärken und Schwächen eines soziopathischen Charakters ausgeprägt sind, denn er trifft immer auf den Punkt. Man ist gewohnt, in ihm den Sympathieträger zu sehen. Das macht sich der Film zu Nutze, denn Lou kann sympathisch sein, aber nur temporär, bis seine Gefühlskälte wieder übernimmt. Nightcrawler ist ganz und gar Gyllenhaals Film – er liefert eine Darstellung für die Ewigkeit ab. Selten hat man eine fiktive Figur mehr verabscheut als Lou Bloom. Nur selten zuvor hat ein Film eine derart verkommene Gestalt in den Mittelpunkt gerückt. Das macht Nightcrawler nicht gerade zur angenehmen Unterhaltung, aber faszinierend ist er auf jeden Fall. Auf seine eigene, grimmige Art und Weise, an deren Ende eine Erkenntnis steht: Menschen wie Lou Bloom möchte man nicht begegnen, da das heißen würde, dass man gerade den miesesten Tag seines Lebens erlebt.
 

Nightcrawler - Jede Nacht hat ihren Preis (2014)

Wenn morgens die Nachrichten über die Mattscheibe laufen und die Schockmomente der vergangenen Nacht Revue passieren, dann muss schließlich jemand das Bildmaterial dazu liefern. Ein Nightcrawler, ein Mensch also, der die ganze Nacht unterwegs ist, den Polizeifunk abhört und dann mit der Kamera drauf hält, wenn Mord- oder Unfallopfer zu betrachten sind.

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Meinungen

Alanis · 30.11.2014

"Kern ist aber natürlich das Eintauchen in Lou Bloom..." Stimmt, aber das ist auch genau das Problem dieses Filmes: Die Nebenrollen sind schwach; potentielle Gegenspieler, die der Geschichte mehr Spannung hätte geben können, haben so absurd wenig Raum in der Handlung, dass es fast besser gewesen wäre, sie ganz weg zu lassen. Letztlich ist ein inhaltlich eher belangloser, aber zugegebenermaßen spannender Thriller geblieben.