Nemez

Eine Filmkritik von Sophie Charlotte Rieger

Heimatloser Kunstdieb sucht Frau fürs Leben

In Russland ist er ein Deutscher, in Deutschland ein Russe. Und auch der Spitzname „Nemez“, die russische Bezeichnung für „Deutscher“, verdeutlicht, dass Dima (Mirk Filatov) kulturell zwischen den Stühlen steht. Seine Gefängnisstrafe ist für die Eltern ein Grund, endlich in die sibirische Heimat zurückzukehren, wo sie sich ein besseres Leben erhoffen. Doch Dima hat keine Lust mehr, sich sein Leben von anderen diktieren zu lassen. Weder von seinem kriminellen Auftraggeber Georgij (Àlex Brendemühl), noch von seinem Vater, der den Sohn gerne an einer russischen Universität sähe. Dima verbringt seine Zeit lieber mit Nadia (Emilia Schüle). Die Tochter aus gutem Hause hat wie er eine besondere Verbindung zur Kunst. Doch genau diese Gemeinsamkeit wird ihnen zum Verhängnis als Dima von seiner kriminellen Vergangenheit eingeholt wird.
Mark Filatov spielt seine Rolle mit einer schier unerträglich stoischen Ruhe. Während diese Gleichgültigkeit zuweilen wie eine Bewältigungsstrategie seiner inneren Zerrissenheit wirkt, entsteht insbesondere durch seine betonungslose Sprache an anderer Stelle der Eindruck mangelnden Schauspieltalents. Oft ist unklar, warum Dima auf die Ereignisse mit derartiger Gelassenheit reagiert. Emotionen lassen sich in dem ewig gleichen Gesicht nur erahnen. Im Grunde ist es sympathisch, dass Regisseur und Drehbuchautor Stanislav Güntner hier der Klischeefalle entgeht, seinen delinquenten Protagonisten als impulsiven Haudrauf und Opfer sozialer Benachteiligung zu inszenieren. Andererseits ist es schwer nachzuvollziehen, wie dieser liebenswerte junge Mann einst den Weg in die zwielichtigen Kreise gefunden hat, in denen wir ihn am Anfang des Films antreffen.

Auch der Münzdiebstahl, mit dem Nemez beginnt, wirkt merkwürdig unaufgeregt. Obwohl durch das plötzliche Auftauchen des Eigentümers eigentlich Spannung entstehen müsste, erzählt Regisseur Stanislav Güntner auch diese Passage mit großer Ruhe. Sein gesamter Film scheint merkwürdig gedeckelt. Und wenn einzelne Charaktere, wie beispielsweise Nadias Exfreund Gustav (René Erler), aus diesem Muster ausbrechen, wirkt ihr Verhalten affektiert und überzogen. Die Figuren können durchgehend nur wenig Authentizität entfalten und insbesondere Georgij ist so eindimensional, dass er auch den Bösewicht in einem Kinderfilm geben könnte.

Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Handlung von Nemez ebenso wenig überzeugen kann. Vieles wirkt schlichtweg konstruiert. So kommt es, dass wir am dramatischen Höhepunkt, als Nadia glaubt, von Dima für seine kriminellen Machenschaften missbraucht worden zu sein, verunsichert schmunzeln statt um die Hauptfiguren und ihre junge Liebe zu bangen. Irgendwie bleiben uns sowohl die Figuren als auch ihre Geschichte bis zum Ende fremd.

Vielleicht aber ist es auch genau dieses Gefühl der Entfremdung, um dass es Stanislav Güntner letzten Endes geht. Egal wo er hinkommt, nirgends kann Dima sich in sein Umfeld einfügen. Auch das Verhältnis zu seinen Eltern wirkt distanziert. Von seiner kriminellen Vergangenheit und den früheren Freunden versucht er sich abzugrenzen, aber auch in Nadias Welt ist er aufgrund seiner Gefängnisstrafe nicht willkommen. Statt sich jedoch ganz in das emotionale Erleben seines Protagonisten hinein zu begeben, und dessen Identitätssuche in den Fokus zu stellen, erzählt Güntner eine Kriminalgeschichte, die sich zu keinem Zeitpunkt mit der melancholischen Stimmung des Films zu einer Einheit verbindet. Die verschiedenen Handlungsstränge bleiben im Grunde lose Fragmente, in denen der Zuschauer vorübergehend die Orientierung verliert. In einem Moment dreht sich alles um die Gefahr, die von Georgij ausgeht. Im nächsten Moment spielen seine Drohungen für den Protagonisten scheinbar keine Rolle mehr und der Film widmet sich ganz der Beziehung zwischen Dima und Nadia. Auf diese Weise kann auch kein kohärenter Spannungsbogen entstehen und Nemez zieht sich trotz kompakter 90 Minuten gefühlt in die Länge.

Es ist schade, dass sich Stanislav Güntner mit dem Thema der Heimatlosigkeit nicht intensiver auseinandersetzt und stattdessen (vergeblich) versucht, eine Art Krimi zu erzählen. So gelingt es ihm leider weder die emotionale Welt seines Protagonisten für den Zuschauer greifbar zu illustrieren, noch sein Publikum durch eine spannende Handlung zu unterhalten.

Nemez

In Russland ist er ein Deutscher, in Deutschland ein Russe. Und auch der Spitzname „Nemez“, die russische Bezeichnung für „Deutscher“, verdeutlicht, dass Dima (Mirk Filatov) kulturell zwischen den Stühlen steht. Seine Gefängnisstrafe ist für die Eltern ein Grund, endlich in die sibirische Heimat zurückzukehren, wo sie sich ein besseres Leben erhoffen. Doch Dima hat keine Lust mehr, sich sein Leben von anderen diktieren zu lassen. Weder von seinem kriminellen Auftraggeber Georgij (Àlex Brendemühl), noch von seinem Vater, der den Sohn gerne an einer russischen Universität sähe.
  • Trailer
  • Bilder

Meinungen