Nathalie küsst

Eine Filmkritik von Carolyn Höfchen

Die fabelhafte Geschichte eines Kusses

Langsam, ganz langsam geht sie auf ihn zu, fixiert ihn mit den Augen und – küsst ihn. Einfach so. Dann dreht sich Nathalie (Audrey Tautou) um und tut so, als sei nichts passiert. Zurück lässt sie ihren völlig verdutzten schwedischen Arbeitskollegen Markus (François Damiens), den die Situation restlos überfordert. So richtig scheint der Film erst in diesem Moment zu beginnen, obwohl Nathalie küsst da schon seit einer halben Stunde läuft. Der Rückblick vor diesem so viel entscheidenden Kuss dient dazu, Nathalie und ihr bisheriges Leben und Seelenheil kennenzulernen und zu verstehen, ihr „erstes“ Leben sozusagen.
Denn da lernte sie François (Pio Marmaï) in einem kleinen Pariser Café kennen, er wird die Liebe ihres Lebens. Die beiden heiraten, führen eine traumhafte Beziehung, planen Kinder, bis er beim Joggen von einem Auto angefahren wird und stirbt. Um ihre Trauer zu ersticken, stürzt sich Nathalie in ihre Arbeit bei einem schwedischen Unternehmen und will von Männern nichts mehr wissen. Sie kann sich nicht mehr vergnügen und vergräbt sich daheim. Bis zu diesem spontanen Kuss mit Markus.

Der muss von nun an Tag und Nacht an sie denken und versucht alles, um sie für sich zu gewinnen. Allerdings ist Markus so ziemlich das genaue Gegenteil eines gut aussehenden Aufreißer-Typs: Er ist so unauffällig, dass ihn noch nicht einmal seine Kollegen wahrnehmen und wenn doch, lästern sie allenfalls hinter vorgehaltener Hand über ihn. Er hat eine Halbglatze, trägt immer die gleichen geringelten Strickpullis in Beige und ist auch sonst nicht gerade sexy. Aber dafür ist er charmant und witzig. Das Schema erinnert ein bisschen an eine moderne Version des Märchens Die Schöne und das Biest. Das könnte abgedroschen sein, ist es aber nicht. Denn Audrey Tautou und insbesondere François Damiens spielen so überzeugend und authentisch, dass man direkt Mitleid mit dem Außenseiter bekommt und hofft, dass sie ihn doch noch will. Und nicht nur deswegen hält Nathalie küsst immer wieder Überraschungsmomente bereit, in denen man unweigerlich lachen muss.

Genau das war auch das Ziel der Brüder David und Stéphane Foenkinos. La délicatesse / Nathalie küsst ist der achte Roman des jüngeren Bruders und Schriftstellers David, der in Frankreich zu einem Bestseller wurde. Stéphane Foenkinos hingegen hat bislang als Casting-Direktor bei etlichen Filmproduktionen gearbeitet. Es ist das erste Mal, dass die beiden Brüder einen Spielfilm drehen. Sie wollten eine Mischung aus Drama und Komödie machen, eine „Dramedy“ sozusagen, die die Zuschauer bewegt und gleichzeitig zum Lachen bringt. Die Brüder Foenkinos packen das sensible Thema Tod so leichtfüßig an, dass der Film überraschend frisch und charmant daher kommt und zum Schmunzeln anregt. Damit befinden sich die beiden in einer französischen Kinotradition, die es schon seit langem und zumeist höchst erfolgreich versteht, beide Genres gekonnt zusammen zu führen, wie etwa bei Claude Sautets César et Rosalie (1972).

Das Konzept geht auf. Die filmische Umsetzung ist eher klassisch, fast so, als ob sich die Brüder Foenkinos bei ihrem ersten Film an die Regeln halten wollten. Die Musik ist an die jeweilige Stimmung angepasst, die meisten Lieder stammen von Émilie Simon und ihrem neuen Elektro-Pop-Album Franky Knight. Diese Musik trägt eine Melancholie in sich, die gleichermaßen zu Nathalies Verzweiflung passt wie zu ihrer vorsichtigen Hoffnung auf Neues. Bei seelischem Ungleichgewicht oder Trauer wird Nathalie von einer Handkamera begleitet, die Farben sind grau und düster. Wenn es ihr gut geht, ist alles in satte Farben getaucht. Nur die Zeitsprünge sind anders: Zeitraffer, Blenden und bunte Fotos führen uns durch die Jahre ihres Lebens.

So lernt man die zierliche Nathalie kennen. Audrey Tautou hat die Gabe, selbstbewusst und gleichzeitig verletzlich zu wirken – sie passt wie perfekt in diese Rolle. Die Männer im Film hingegen wirken wie Stereotypen: François, der perfekte Ehemann, Markus, der uncoole Trottel und Charles, der verheiratete Chef mit dickbusiger Sekretärin, der Nathalie Avancen macht. Nur eins haben die drei gemeinsam: sie alle wollen Nathalie. Auch sonst sparen David und Stéphane Foenkinos nicht mit vertrauten Bildern, wie etwa einem glitzernden Eiffelturm im Hintergrund einer romantischen Szene.

Weil diese Klischees aber durch Situationskomik wieder durchbrochen werden, kommt Nathalie küsst keineswegs als platter oder gar kitschiger Liebesfilm daher – auch wenn der deutsche Titel diesen Eindruck vielleicht erwecken mag. Der Originaltitel La Délicatesse ist da schon einladender und trifft den Kern des Films eher. „La délicatesse“ bedeutet nicht etwa „Delikatesse“ wie im Deutschen, sondern „Behutsamkeit“ und „Feingefühl“. Also genau die Eigenschaften, mit denen Markus versucht, Nathalie aus der Reserve zu locken.

Nathalie küsst

Langsam, ganz langsam geht sie auf ihn zu, fixiert ihn mit den Augen und – küsst ihn. Einfach so. Dann dreht sich Nathalie (Audrey Tautou) um und tut so, als sei nichts passiert. Zurück lässt sie ihren völlig verdutzten schwedischen Arbeitskollegen Markus (François Damiens), den die Situation restlos überfordert.
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Meinungen

Movienerd · 08.05.2014

Das Ende ist schier umwerfend...macht aus einem solide gemachten Film ein grandioses Glanzstück romantischer Komödie!

Chiara · 30.07.2013

- Weiß einer, wie der Soundtrack heißt ? :)

Josef W. · 26.05.2012

Sehr gefühlvoller Film, tolle Darsteller und ungewöhnliche Situationskomik

Fan · 03.04.2012

Na das hört sich doch super an! Glückwunsch zu dieser Kritik :)

Elisabeth Müller · 07.03.2012

der Trailer macht Lust auf diesen Film!!!!