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Eine kaleidoskopische Ménage-à-trois zwischen einer Frau (Patricia Adriani) und zwei Männern (Udo Kier und György Cserhalmi) erzählt der legendäre ungarische Regisseur und Videokunstpionier Gábor Bódy 1980 in seinem spektakulösen Opus Magnum „Narziss und Psyche“, das nun restauriert vorliegt.

Narziss und Psyche (1980)

Eine Filmkritik von Simon Hauck

Zwischen Seins-Fiktion und postmodernen Paradigmen

Gábor Bódy ist heute im Rahmen des internationalen Filmkanons nur noch ein Name für echte Spezialisten. Dabei hatte der 1946 geborene Ungar, der 1985 unter mysteriösen Umständen in West-Berlin ums Leben gekommen ist, zeitweise sogar an der Deutschen Film- und Fernseh-Akademie (dffb) gelehrt. Vielen Kinematheken-Kennern gilt er mit seinem kaum zu verortenden Œuvre weiterhin als ausgesprochen experimentierfreudiger Regisseur, der zudem speziell Ende der 1970er Jahre im damals noch jungen Bereich der Videokunst absolute Pionierarbeit geleistet hatte.

Erste Aufmerksamkeit und diverse Auszeichnungen (darunter den Großen Preis des Mannheimer Filmfestivals) hatte der ehemalige Mitbegründer und Organisator der K3-Experimentalgruppe der ungarischen Béla-Balázs-Studios bereits 1976 für Amerikanische Ansichtskarten bekommen. Doch erst mit seinem 1980 fertig gestellten, zwischen hehrer Filmkunst und brachialer Camp-Ästhetik mäandernden Gesamtkunstwerk Narziss und Psyche, für das er unter anderem den Bronzenen Leoparden in Locarno erhielt, war sein Name endgültig auf der Karte der europäischen Filmkünstler vom Schlage eines Peter Greenaway angekommen. 

Mit diesem monumentalen, einzigartigen und aus sämtlichen Filmregistern herausfallenden Experimentalfilmwerk avancierte Bódy schließlich im ehemaligen Ostblock zu einer partiell geachteten Künstlerpersönlichkeit, dem beispielsweise auch ein DAAD-Stipendium nach West-Berlin genehmigt wurde, obwohl er sich parallel mit diversen Zensurmaßnahmen des ungarischen Staatsfernsehens herumschlagen musste. 

Im Zentrum des 261-minütigen Filmkaleidoskops Narziss und Psyche steht die überzeitliche Ménage-à-trois zwischen der titelgebenden Psyche (Patricia Adriani) und zwei ungleichen Verehrern (Udo Kier als László Tóth und György Cserhalmi als Freiherr von Zedlitz). Während der erste Liebespartner im Grunde ein mit Psyche seelenverwandter Poet, Wissenschaftler, Syphilitiker und eben auch Narziss ist, dem Udo Kier unnachahmlich den Wahnsinn ins Gesicht geschrieben hat, gebiert sich der zweite als ultramodern gebender Aufklärer, Astrophysiker und Großgrundbesitzer inklusive Industriegütern, Pomp und reichlich Personal. 

Eingepfercht zwischen diesen ungleichen Liebeskumpanen, sozusagen als „Spielball des Schicksals“, wie es in den ersten metaphysisch-überhöhten Filmminuten von Narziss und Psyche heißt, und als allegorische Komplizin wie Zeitzeugin zwischen den Jahren 1795 bis etwa 1920 schenkt Bódy der Figur der Psyche im ersten Teil seines Filmzyklus besondere Aufmerksamkeit. Die bildhübsche Spanierin Patricia Adriani verkörpert Psyche als ausgesprochen selbstbewusste Frau, die als Nymphomanin ihrem widerwilligen Klosterschülerinnendasein rasch entfliehen möchte und in keiner der 261 Minuten wirklich zu fassen ist. 

Ohne dass eine der Hauptfiguren je altern würde und im Kern auch ohne ein echtes Plotgerüst, fokussiert sich Bódy dabei in jedem der drei Teile in erster Linie auf schier sämtliche Video-,Trick- und Tontechniken im damaligen Prä-CGI-Universum, um so eine metatextuelle (Kunst-)Geschichte seines ungarischen Heimatlandes in einen überzeitlichen Bilderkosmos zu transferieren. Zwischen formidabel arrangierten Tableaux Vivants und einem durchgängig Zeit und Raum sprengendem Stilwillen lotete Bódy zur Entstehungszeit den kinematografischen State of the art emphatisch aus. Dass sich Bódy in seinem künstlerisch-kreativen Werk gleich mehrfach mit Mythen und Philosophien auseinandersetzte, ist auch Narziss und Psyche jederzeit anzusehen: durchaus im wörtlichen Sinn. 

Hier werden kunstgeschichtliche Archetypen nahtlos neben historische Ereignisse gestellt und von Kameramann István Hildebrand quasi pausenlos in visuell berauschende Kadrierungen gebracht, die auch bald 40 Jahre nach der Uraufführung en gros immer noch frisch und freigeistig wirken: Immer am Rande des gerade noch Konsumierbaren, ohne je in reines l’art pour l’art zu verfallen, obwohl Narziss und Psyche durchaus als Angriff auf konventionelle Seh- und Hörgewohnheiten verstanden werden muss. Denn erklärt wird hier nichts und die wunderbar autoreflexiven Kinomomente wie das Drehen der Wagenräder oder das Flimmern der Lichtprismen stehen alleine für sich und wollen auch gar nichts anderes sein. 

Der Wille zur Kunst wie zum Kitsch wird von István Hildebrand mitunter in kongeniale Einstellungen gegossen, die man sich getrost ausstampfen und als paradigmatisch postmoderne Bilder an die Wand nageln könnte. Im Verbund mit dem babylonischen Sprachgewirr des internationalen Darstellerensembles, das Ungarisch, Slowakisch, Deutsch, Englisch, Polnisch und Romani beinhaltet, weshalb es auch keine deutsche Untertitelung gibt, zelebrierte Gábor Bódy mit diesem Ausnahmewerk die Möglichkeiten des Kinomediums wie kaum ein anderer Regisseur im selben Zeitraum. Entstanden ist dabei ein nicht zu bändigendes, durchwegs schimmerndes Filmkunstfabelwesen, das einen ganzen Regenbogen interpretatorischer Decodierungsmöglichkeiten nach sich zieht und intellektuell ebenso extrem wie lustvoll herausfordert. Kurzum: Narziss und Psyche ist ein phantastisch verfremdeter Bilderbogen ohnegleichen und ein König ist, wer den Schlüssel zu dieser surrealen Wundermaschine findet.

Narziss und Psyche (1980)

Eine in Bildwelten des Fantastischen Realismus erzählte allegorische Darstellung der europäischen Kulturgeschichte in Form einer Dreiecksbeziehung zwischen einer Frau und zwei Männern, die alle drei während der sich weit über hundert Jahre erstreckenden Handlung nicht oder nur unwesentlich altern.

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