Nackt

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Eine bitter-böse Hommage an die Trostlosigkeit

Der britische Filmemacher Mike Leigh mutet dem Zuschauer mit seinem ungeheuer tristen Werk Nackt, zu dem er auch das Drehbuch verfasste, einiges zu. Da schleppt sich der durchweg unsympathische, heruntergekommene und verschlagene Antiheld Johnny (David Thewlis) mit seinem bitter-bösen Zynismus orientierungslos durch London, nachdem er Sturz auf Fall aus Manchester geflohen ist, wo er sich an einer Frau vergangen hat und nun die Rache ihrer Familie fürchtet.
Eher aus momentaner Verlegenheit denn aus Sehnsucht nach einem Wiedersehen heraus sucht Johnny in London seine ehemalige Freundin Louise (Lesley Sharp) auf, die mit der naiven Sophie (Katrin Cartlidge) dort in einer kleinen Wohnung zusammenlebt. Während Sophie das Auftauchen des redseligen, schnodderigen Schnorrers als amüsante Abwechslung auffasst, ist Louise zunächst wenig begeistert, Johnny bei Sophie in der Wohnung anzutreffen, als sie von der Arbeit nach Hause kommt, zumal der Ex-Freund sie gleich wieder mit beleidigenden, herabsetzenden Attacken begrüßt.

Dennoch bahnt sich eine allmähliche Annäherung zwischen Louise und Johnny an, der allerdings auch gleichzeitig mit Sophie anbändelt. Doch den bei Zeiten von geradezu manischer Unruhe erfüllten Johnny zieht es immer wieder in den desolaten urbanen Raum des nächtlichen Londons, wo er auf allerlei schräge Gestalten trifft, an denen er die Restbestände seiner egozentrischen Eitelkeit wetzt. Gibt er auch vor, sich erneut mit der dann doch recht hoffnungsfrohen Louise verbinden zu wollen, begibt sich der körperlich beeinträchtigte Johnny schließlich doch wieder auf die Flucht hinaus auf die Straße …

Im Wettbewerb der Internationalen Filmfestspiele von Cannes 1993 uraufgeführt wurde Nackt dort zweifach prämiert – für Mike Leigh als Besten Regisseur und David Thewlis als Besten Hauptdarsteller. Darüber hinaus wurde der Film unter anderem für einen BAFTA Award und den Independent Spirit Award nominiert sowie 1994 beim Toronto International Filmfestival und beim Sudbury Cinéfest ausgezeichnet und erhielt den Londoner sowie New Yorker Critics Circle Film Award und den Preis der National Society of Film Critics Awards der USA.

Nicht die schlichtweg banale Handlung, sondern die schwelend intensive, trostlos dichte Stimmung steht bei Nackt im Vordergrund, der ein geradezu beängstigendes Szenario der städtischen Gesellschaft und ihrer Randfiguren heraufbeschwört. Regisseur Mike Leigh (Secrets & Lies / Lügen & Geheimnisse, 1996, Vera Drake, 2004, Happy-Go-Lucky, 2007) ist mit diesem Film eine eindringliche, unsentimentale Betrachtung sozialer wie persönlicher Abgründe gelungen, in dem die unterschwellig permanent präsente Verzweiflung der Protagonisten sich in verbaler wie physischer Gewalt entlädt. Hier herrschen unflätige Unverbindlichkeiten ohne die Hoffnung auf dauerhafte Veränderungen, hier wird die menschliche Kreatur in ihrer trägen Gier nach kurzfristigen Kicks schonungslos demaskiert – kein schöner, doch ein heftig berührender Film mit ungeheuer ausdrucksstarken Bildern einer urbanen Realität als Territorium einer unsagbaren Einsamkeit, deren existentielle Ausprägung sich tief und beunruhigend in das Bewusstsein des Zuschauers gräbt.

Nackt

Der britische Filmemacher Mike Leigh mutet dem Zuschauer mit seinem ungeheuer tristen Werk „Nackt“, zu dem er auch das Drehbuch verfasste, einiges zu. Da schleppt sich der durchweg unsympathische, heruntergekommene und verschlagene Antiheld Johnny (David Thewlis) mit seinem bitter-bösen Zynismus orientierungslos durch London, nachdem er Sturz auf Fall aus Manchester geflohen ist, wo er sich an einer Frau vergangen hat und nun die Rache ihrer Familie fürchtet.
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