Nach einer wahren Geschichte

Eine Filmkritik von Marie Anderson

Dokumentation eines Verbrechens aus Liebe

Bekennt ein Bankräuber, sein Verbrechen allein aus Liebe verübt zu haben, kann es rasch geschehen, dass sich die Medien und damit eine breite Öffentlichkeit für seine Geschichte interessiert. Wenn zudem basierend auf dieser Geschichte ein äußerst erfolgreicher Spielfilm von Sidney Lumet mit Al Pacino als Liebestäter gedreht wird, der sehr darum bemüht ist, die ungewöhnlichen Umstände und Hintergründe dieser Ereignisse zu beleuchten, bleibt dieser Fall erst recht im Gedächtnis. Doch was geschah damals tatsächlich und wie ist es dem Bankräuber John Wojtowicz ergangen, dessen Überfall auf eine Filiale der Chase Manhatten Bank in Brooklyn 1972 den Film Hundstage (1975) inspiriert hat? Walter Stokman beschäftigt sich in seiner Dokumentation Nach einer wahren Geschichte erneut mit diesen Vorgängen, ihren Folgen und ihrer Verfilmung, doch vor allem mit der Person John Wojtowiczs, der mittlerweile seine Strafe verbüßt hat und noch immer im Sog dieser Geschichte gefangen ist.
John Wojtowicz führt zunächst ein recht unspektakuläres Leben, doch zwei Jahre nach der Trennung von seiner Frau und seinen zwei Kindern verliebt er sich in den transsexuellen Ernest Aron alias Liz, und rasch heiraten die beiden. Doch ihr Glück ist von dem Umstand getrübt, dass sich Liz im Körper eines Mannes gefangen fühlt und unter heftigen Depressionen leidet, die immer wieder zu Suizidversuchen und Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken führen. Als Liz eines Tages nach einem solchen Versuch nur noch mit Mühe wiederbelebt werden kann und daraufhin auf unbestimmte Zeit zwangsweise in das Kings County Hospital in Brooklyn eingewiesen wird, fasst Wojtowicz den Entschluss, das notwendige Geld für eine operative Geschlechtsumwandlung aufzutreiben, koste es, was es wolle. „Ich wollte einfach jemandem, den ich wirklich liebte, das Leben retten“, erklärt er später bei der Gerichtsverhandlung.

Zwei Tage später sucht er mit zwei Freunden die Chase Manhatten Bank auf, um durch einen Blitzüberfall die Summe aufzutreiben, doch nichts läuft wie geplant. Bereits zu Beginn der Aktion steigt einer der Freunde aus, doch Wojtowicz und der erst 18jährige Sal Naturale stürmen dennoch in die Bank, wo Wojtowicz mit vorgehaltener Waffe die Herausgabe der beträchtlichen Summe fordert. Wider Erwarten ist jedoch kaum Geld vorrätig, zudem trifft äußerst rasch die Polizei ein und versperrt den Ausgang. Nun beginnt an diesem heißen Nachmittag im August ein Drama, an dem neben dem Polizeiapparat, den Bankräubern und Geiseln in der Bank auch zahlreiche Schaulustige und nicht zuletzt die Medien teilnehmen, währenddessen Sal Naturale vom FBI erschossen wird und das erst nach vierzehn Stunden mit der Verhaftung Wojtowiczs endet.

Im Fokus der Medien setzt sich die Geschichte jedoch fort. Wojtowiczs Geliebte ist später zu Gast in einer Talk-Show, wo er ihr Grüße über eine Kamera zukommen lässt: „Es war wohl Liebe, denn Liz war lausig im Bett“, äußert er sich. Schließlich kann sich Liz durch den Verkauf der Rechte an der Story die lang ersehnte Operation leisten, doch ihrem Geliebten, der zu zwanzig Jahren Haft verurteilt wurde, begegnet sie nie wieder, denn sie stirbt 1987 an den Folgen von AIDS. Wojtowicz lebt seit seiner Entlassung wieder in Brooklyn, noch immer im Bann jener Ereignisse und seiner Version der Geschichte, die bisher nahezu die einzige der zahlreichen Beteiligten und Augenzeugen ist, die noch keine Darstellung fand.

Mit Nach einer wahren Geschichte wollte der Dokumentarfilmer Walter Stokman ursprünglich der Perspektive John Wojtowiczs selbst Ausdruck verleihen, doch die Verhandlungen scheiterten an unannehmbaren Forderungen des Mannes, der wahrscheinlich im Laufe der Zeit die Kontrolle über die Ereignisse und seine Erinnerungen verloren hat und auch konfrontiert mit Widersprüchen nicht bereit ist, seine Sicht der Dinge zu relativieren. Dennoch entsteht aus Archivmaterial, Interviews mit damaligen Geiseln und Polizisten sowie im Gespräch mit Sidney Lumet, der bereits für seinen Film Hundstage an ausführlichen Recherchen beteiligt war, eine spannende Dokumentation über diesen spektakulären Bankraub sowie seine Hintergründe und Folgen. Erscheint Wojtowicz auch nicht wie zunächst geplant vor der Kamera, so entwerfen doch nicht zuletzt die eingespielten Telefonate mit dem Regisseur ein Bild des Täters aus Verzweiflung und Liebe, der selbst über dreißig Jahre nach den Ereignissen noch ein Leben führt, das ganz besessen ist von seinen Vorstellungen der einzig wahren Geschichte, die nur er selbst zu kennen beansprucht – ein Recht, das ihm weder Berichte der Medien, noch die fiktive Verarbeitung seines Schicksals oder die Dokumentation von Walter Stokman nehmen können.

Nach einer wahren Geschichte

Bekennt ein Bankräuber, sein Verbrechen allein aus Liebe verübt zu haben, kann es rasch geschehen, dass sich die Medien und damit eine breite Öffentlichkeit für seine Geschichte interessiert.
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